Quartalsergebnisse blieben hinter Erwartungen zurück

Oracle muß sich allmählich mit normalem Wachstum anfreunder

27.04.1990

Paris (qua) - Die Oracle Corp. gehört nach wie vor zu den wachstumsstärksten Unternehmen der Softwarebranche, doch am tiefblauen Himmel schwebt unübersehbar eine dunkle Wolke: Nach Bekanntgabe der jüngsten Quartalsergebnisse büßte die Oracle-Aktie ein Drittel ihres Wertes ein.

Auf der diesjährigen Tagung der European Oracle User Group (EOUG) präsentierte sich Unternehmensgründer und -präsident Larry Ellison weitaus zurückhaltender als gewohnt. Hatte der Softwareanbieter mit Hauptsitz in Belmont/Kalifornien seit einem halben Jahrzehnt mit jährlich verdoppelten Umsatzraten geglänzt, so fiel jetzt erstmals ein Schatten auf das bisherige Hätschelkind der Analysten.

Selbstgestecktes Ziel verfehlt

Ursache für den Stimmungsumschwung ist die Reaktion der New Yorker Börse auf die Geschäftsergebnisse des am 28. Februar 1990 beendeten dritten Quartals - Ergebnisse, nach denen andere Softwarehäuser sich die Finger lecken würden: Ein Umsatz von 236,4 Millionen Dollar bedeutet gegenüber dem vergangenen Jahr ein Plus von 54 Prozent.

Allerdings lag der Gewinn mit rund 42 Millionen Dollar lediglich 1 Prozent höher als im Vorjahr. Außerdem hatte sich das Unternehmen selbst eine Umsatzsteigerung um 65 Prozent vorgegeben. Und dieses Ziel wurde klar verfehlt.

Der Aktienmarkt reagierte sensibel: Der Wert der Oracle-Anteilscheine fiel von rund 28 Dollar Ende Februar auf wenig mehr als 16 Dollar Mitte April. Wie die renommierte Analystengruppe Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith Inc. (MLPF & S) in einer am 28. März 1990 veröffentlichten Einschätzung des Unternehmens mutmaßte, könnte dieser Aktiensturz möglicherweise einen allmählichen Niedergang des Highflyers einläuten.

Abgesehen davon, daß Branchenbeobachter wie MLPF & S das Softwaregeschäft ohnehin als risikoträchtig einschätzen, kreiden die Marktkenner den Kaliforniern vor allem zweierlei an: zum einen den negativen Cash-Flow, zum anderen die langjährige Fixierung auf das relationale Datenbank-Management-System "Oracle". Wie das Schicksal der Mainframe-Datenbank-Anbieter ADR und Cullinet bestätigt, können sich sogenannte One Product Companies nämlich nur begrenzte Zeit am Markt behaupten.

"So etwas haben wir alle befürchtet", kommentierte Bruce Lupatkin, Oracle-Spezialist bei der Hambrecht & Quist Inc., San Francisco, gegenüber der amerikanischen IDG-Schwesterpublikation Computerword, die Entwicklung am Aktienmarkt. "Seit langem schon hören wir ständig, daß die Stagnation des Mainframe- und Minicomputermarkts den Datenbankleuten nichts anhaben könne. Offensichtlich stimmt das wohl doch nicht."

Solche Kassandra-Rufe konterte Oracle-Chef Ellison ausgesprochen unwirsch: "Die Börse ist ein Ort, wo Wetten abgeschlossen werden. Ob jemand für oder gegen mich wettet, hat nichts mit dem Unternehmen zu tun." Er habe sich um die Qualität der Produkte sowie um Umsätze und Gewinn zu kümmern, nicht um den Wert der Oracle-Aktien.

Von Umsatzverdopplung ist bei Oracle allerdings nicht mehr die Rede. Ellison erwartet eigenen Aussagen zufolge, das am 31. Mai 1990 endende Fiskaljahr mit einem Umsatz von einer Milliarde Dollar abschließen zu können. Gegenüber dem Vorjahresumsatz von 584 Millionen Dollar, würde das eine Steigerung von etwa 70 Prozent bedeuten.

Eine ähnliche Wachstumsrate strebt die europäische Oracle Zentrale in London an. Chief Executive Officer Geoff Squire will im laufenden Geschäftsjahr Einnahmen von 350 Millionen Dollar erzielen, um damit den Vorjahresumsatz von 200 Millionen Dollar um 75 Prozent zu übertreffen.

Die bislang 2500 Köpfe zählende europäischen Oracle-Belegschaft soll laut Squire in den kommenden zwölf Monaten um weitere 1500 Mitarbeiter ergänzt werden.

Die Frage, wie sich ein derartiges Personalwachstum bewältigen lasse, beunruhigt Squire offenbar nicht: "Wenn Sie einen Personalleiter bitten, 1500 Leute zu engagieren, wird er behaupten, das sei vollkommen unmöglich. Sagen Sie jedoch 1500 Mitarbeitern, sie sollen jeweils einen neuen Kollegen einstellen, so ist dies eine verteilte Aufgabe; und jeder Anbieter von Parallelrechnern wird Ihnen die Vorteile einer solchen Aufgabenverteilung nennen können."