OCG-Schwerpunkt Rechnergestützte Fertigung:

Österreich geht bei CAD/CAM auch eigene Wege

10.09.1982

WIEN (eks) - Österreichs Wirtschafts- und Technikfachleute kritisieren seit einiger Zeit den Rückstand gegenüber dem Ausland beim Computereinsatz in der Fertigung. Die Österreichische Computergesellschaft (OCG) setzt heuer zwei Schwerpunkte auf dem Gebiet des rechnergestützten Konstruierens und Fertigens (CAD/CAM). Ende Mai fand in Wien-Laxenburg eine international besetzte CAD/CAM-Tagung statt. Und als herbstliches Gegenstück befaßt sich die "Austrographics 82" vom 21. bis 23. September ebenfalls mit diesem Thema.

Nur für wenige Erzeugnisse weist der Markt derzeit ein ähnlich starkes Wachstum auf wie für CAD/CAM-Systeme. Der Umsatz in Europa soll sich von 300 Millionen US-Dollar im Jahr 1981 bis zum Ende des Jahrzehnts verzehnfachen.

Drei Faktoren sind hauptsächlich für dieses starke Wachstum verantwortlich:

- Die Spitzenprodukte der Elektronik sowie der Luft- und Raumfahrt können nur mehr mit rechnergestützten Methoden konstruiert und gefertigt werden. Obwohl die Zahl der hier tätigen Unternehmen klein ist, so legt ihre Forschungsarbeit über CAD/CAM und die Entwicklung der wichtigsten Bausteine solcher Systeme doch die Basis für den gesamten weiteren Einsatz.

- Die Marktlage für zahlreiche Industrieprodukte wie Pkw oder Haushaltsgeräte erfordert die Beschleunigung von Entwicklung, Projektierung und Fertigungsvorbereitung. Es ist zu erwarten, daß immer mehr Industriezweige CAD/CAM werden einsetzen müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dies auch dann, wenn die Einfachheit der Erzeugnisse selbst diese Verfahren nicht unbedingt nötig erscheinen läßt.

- Die rasch fallenden Kosten bei gleichzeitig immer vielfältiger werdenden Leistungen der Mikroelektronik erlauben den Einsatz von CAD/CAM auch im Kleinbetrieb. Damit kann die Zentralisierungs- und Konzentrationstendenz der letzten Jahre umgekehrt werden. Schlüsselfertige Systeme erlauben die rasche, sichere und verhältnismäßig billige Installation von CAD/CAM auch in Firmen, die bisher nicht computerorientiert gearbeitet haben.

In seinem hier teilweise zitierten Einführungsvortrag warnt J. Hatvany von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften allerdings auch vor der Inflexibilität dieser schlüsselfertigen Systeme. Dadurch würden gerade Klein- und Mittelbetriebe, die durch CAD/CAM größere Flexibilität am Markt gewinnen könnten, daran wieder gehindert. Der Anteil schlüsselfertiger Systeme am CAD/CAM-Gesamtumsatz werde jedoch in den nächsten Jahren stets mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes betragen.

Berater fast unentbehrlich

Der Einsatz von CAD/CAM bringt eine völlige Änderung des gesamten Arbeitsstils einer Firma mit sich. Als bestes Verfahren für die Vorbereitung des Einsatzes bezeichnet Hatvany die Inanspruchnahme eines erfolgreichen, unabhängigen Beraters zur Ausarbeitung der Spezifikationen sowie Auswahl von Geräten Programmen und Ausbildung. Am ungünstigsten sei, wenn ein Laie nur auf Basis der Herstellerangebote eigene Entscheidungen treffe.

Oft wird Österreichs Industrie- und Gewerbestruktur als Ursache für verzögerten technischen Fortschritt genannt. Daher überraschte die Feststellung von Otto Zich, Elektronik-Direktor der Voest Alpine AG, das Industrieprofil Österreichs unterscheide sich hinsichtlich der Aufteilung in Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe nicht wesentlich von der übrigen westlichen Industriewelt. Man könne daher durchaus auf die Erfahrungen der bereits fortgeschrittenen Industrieländer bei der Planung des CAD/CAM-Einsatzes zurückgreifen. Problematisch für ein kleines Land sind die gigantischen Entwicklungsaufwände für die CAD-Basis-Technologien. Einerseits bringt es wenig, bestehende Systemphilosophien nachzuempfinden, wenn diese "in die Zielgerade eingebogen sind". Revolutionäre Entwicklungen andererseits erfordern die Kooperation höchstqualifizierter Repräsentanten verschiedenster Wissenszweige in einer durch EDV-Basis-Technologien stark informatisierten Umgebung.

Daher entwickelte die Voest Alpine auch nicht selbst ein CAD-System - obwohl ihr als Hersteller von CAM-Systemen die Probleme der geometrischen und grafischen EDV durchaus vertraut waren , sondern entschied sich für den Zukauf eines flexiblen, universell einsetzbaren Systems. Dieses System wird nun, gestützt auf die Erfahrungen aus zahlreichen Konzernbetrieben an die unterschiedlichen Einsatzerfordernisse angepaßt.

Zich meint auch, daß die rechnergestützte Darstellung von Konstruktionsergebnissen nicht an den Firmengrenzen der Klein- und Mittelbetriebe haltmachen wird. Dies erfordert allerdings große Anstrengungen zur Standardisierung von Geometrie- und Grafikdarstellungen. Dem stehen die Firmeninteressen der Hersteller gegenüber.

Die Austrographics 82 wird besonders auf den Entwurf des Grafischen Kern-Systems GKS als erste internationale Norm der Computergrafik eingehen.

Maschinen gehorchen

In seinem - zum großen Teil allerdings bereits 1980 in Paris gehaltenen Vortrag befaßte sich Mike Cooley von der Offenen Universität London mit den möglichen negativen Auswirkungen des CAD/CAM-Einsatzes. So schätzt man in den USA daß technische Zeichner, so wie wir sie heute kennen, bereits Mitte dieses Jahrzehnts verschwunden sein werden. Gleichzeitig damit werden aber auch große Bereiche von tradiertem Wissen beseitigt. Die oft zitierte Schaffung neuer höherqualifizierter Arbeitsplätze zum Ersatz der verlorengegangenen bezweifelt Cooley. Obwohl es nur Einzelbeispiele seien, scheint ihm bezeichnend, daß der "American Machinist" von einem Unternehmen berichtete dessen bester Maschinbediener ein geistig behinderter Arbeiter mit dem geistigen Alter eines Zwölfjährigen war. Und daß man in einem englischen Unternehmen einen Architekten, der zwei Jahre lang mit einem computergestützten System gearbeitet hat, als dequalifiziert und für normale Entwurfsarbeiten unfähig betrachtet.

Einführungszeit ein Jahr

Bei der Maschinenfabrik Andritz wurde nach viermonatige Projektstudie im Mai 1980 der Entschluß zum CAD-Einsatz gefaßt. Das Unternehmen verfügte bereits seit 1971 über NC-Bearbeitungsmaschinen und CAM-Erfahrungen. Anfang 1981 begann die Bearbeitung von Aufträgen des ersten Arbeitsgebiets. Bis Mitte Mai waren alle Arbeitsgebitete implementiert und im Echteinsatz.

Laut K. Kysela von Andritz zeigten sich als wesentliche Rationalisierungsergebnisse:

- Verringerung der Durchlaufzeit,

- Zwang zur Standardisierung

- kostengünstige Fertigung durch vorgegebene Makros,

- geringe Fehlerquoten durch Systemkontrollen

Alles über CAD/CAM Wissenwerte ist auf 700, Seiten in einem Tagungsband "CAD/CAM - Rechnergestütztes Konstruieren und Fertigen", Herausgeber Reinhard Goebl und Franz Pacha, zusammengefaßt und kostet 490 Schilling.

Informationen über CAD/CAM und die Austrographics 82 erteilt die OCG, 1010 Wollzeile 1-3, Telefon: 52 02 35.