DV und Umwelt/Grundlagenprojekt: Modell zur Steuerung von Produktionsprozessen

Ökologische Probleme sollten überhaupt nicht entstehen

20.09.1996

Eine der wesentlichen Aufgabenfelder der industriellen Produktion ist neben Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität künftig die Reduzierung der produktions- und produktbezogenen Umweltbelastungen. Unternehmen tragen aufgrund des hohen Material- und Energieeinsatzes sowie der entstehenden Reststoffe in beträchtlichem Umfang zu ökologischen Problemen bei. Eine Empfehlung der Enquetekommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" lautet, Methoden zur Verfügung zu stellen, die es erlauben, Stoff- und Energieströme so aufeinander abzustimmen, daß sich Emissionen aller Art, vermeiden, vermindern oder Ressourcen möglichst effizient einsetzen lassen.

Verordnungen und Normen wie die EU-Öko-Audit oder die ISO 14000 versuchen, diese Problematik zu systematisieren und für die Unternehmen bewertbar zu machen. Vor dem Hintergrund sich wandelnder Maßstäbe ist eine Adaption der eingesetzten Verfahren innerhalb der Auftragsabwicklung erforderlich. Häufig diskutierte "End-of-the-pipe"-Technologien reduzieren die Auswirkungen durch additive Maßnahmen, ohne jedoch nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Dem "intelligenteren Weg", über primäre Maßnahmen ökologische Probleme überhaupt nicht erst entstehen zu lassen, fällt hingegen eine noch zu geringe Bedeutung zu. Unterstützungssysteme für den gesamten Prozeß der Auftragsabwicklung auf der Basis einer umweltorientierten Produktentwicklung existieren nicht. So findet der Konstrukteur keine Hilfe in den am Markt verfügbaren CAD-Systemen, die es erlauben würden, ein "design to ecology" zu unterstützen. Auch die Arbeitsplangestaltung erfolgt immer noch mit Ausrichtung auf die prozeßtechnische Optimierung innerbetrieblicher Lösungsansätze ohne eine seriöse Möglichkeit, die ökologischen Auswirkungen entlang der logistischen Kette abschätzen zu können.

Ausgehend von der Architektur sind etablierte PPS-Systeme darauf ausgerichtet, die Abwicklung eines Auftrags ausschließlich mit Blick auf das eine Endprodukt hinsichtlich Termin und Menge zu optimieren.

Eine Berücksichtigung von ökologischen Zielen, die es nicht nur einzuhalten, sondern auch als Grundlage für Optimierungsstrategien in den Planungsprozeß einzubeziehen gilt, erfolgt bisweilen nicht.

Ebenso sind keine Geschäftsprozesse und Maßnahmen zur Organisationsentwicklung beschrieben und etabliert, die sich dieses Themas annehmen. Dies ist um so bedeutungsvoller, weil Umweltschutz in der Produktion nur mit den Mitarbeitern erreicht wird. Sie müssen in den Gesamtprozeß eingebunden werden. Sie brauchen folglich Instrumente, die es erlauben, einen produktionsintegrierten Umweltschutz aufzubauen. Ziel wäre ein kontinuierlicher Verbesserungsprozeß bis hin zu einem unternehmensübergreifenden Stoffstrommanagement unter Einbeziehung von Bilanzierungs- und Controlling-Instrumenten.

Derzeitige Aktivitäten zur Realisierung eines umweltorientierten Wirtschaftens in den Firmen beziehen sich zumeist auf den Bereich der Produkt- und Produk- tionsprozeßentwicklung. Mithin gestaltet sich die Auftragsabwicklung so, daß keinerlei Rückkopplung von erhobenen Daten in zukünftige Planungsszenarien für die Auftragsabwicklung einfließen. Der Weg zur kontinuierlichen Verbesserung der auch überbetrieblichen Auftragsabwicklung unter dem Aspekt der Umweltorientierung ist versperrt.

Bei der kundenorientierten Auftragsabwicklung wird der Auftrag vom Unternehmen mit dem Kunden und dem für die Produktgruppe Verantwortlichen festgelegt. Die Zusammenführung der technischen Planungsfunktionen erfordert die Zusammenarbeit von Konstruktion und Arbeitsvorbereitung. In der Arbeitsvorbereitung werden Aufgaben der Arbeitsplanerstellung übernommen und bereits hier weitreichende Entscheidungen für den späteren Produktionsprozeß festgelegt. Nach der Annahme des Auftrags wird die vom Kunden gewünschte Liefermenge und der erforderliche Termin unternehmensintern auf Realisierbarkeit überprüft und die "Auslastung" für die Produktion ermittelt.

Halbzeuge völlig unberücksichtigt

Diese kapazitätsbezogenen Funktionen sind im Bereich der Kapazitätsterminierung angesiedelt. Die Bedarfstermine basieren auf den Durchlaufzeiten im Teilestamm. Den Teilestamm wiederum stellt die Konstruktion zur Verfügung. Dies bedeutet, daß sich die Realisierbarkeit derzeit ausschließlich an Mengen und Zeitattributen ausrichtet. Die Berücksichtigung von Umweltaspekten bleibt in dieser Phase außen vor. Parallel dazu wird der Auftrag im Hinblick auf die Kosten analysiert. In diese Vorkalkulation fließen Produktions-, aber auch Verwaltungskosten ein. Eine monetäre Betrachtung des jeweiligen Auftrags im Hinblick auf notwendige Entsorgungskosten für Wertstoffe und etwa den auftragsspezifischen Einsatz von Energie geschieht nicht im erforderlichen Maße.

Völlig unberücksichtigt bleiben in Arbeitsvorbereitung sowie anschließender Produktionsplanung und -steuerung Umweltbelastungen, die von Rohstoffen oder von Zulieferunternehmen bezogenen Halbzeugen herrühren. Es werden also keine Verfahren oder Vorgehensweisen in den Unternehmen eingesetzt, die es erlauben, die Umweltbelastungen, die bei der Erstellung von Halbzeugen entstanden sind, zu berechnen und davon ausgehend die Umweltbelastung gezielt auch im eigenen Unternehmen im Zusammenspiel mit den vor- und nachgelagerten Märkten zu optimieren.

Verbesserungen lassen sich zum einen durch weitreichende organisatorische Maßnahmen in Form von kooperativen dynamischen Netzwerken erzielen, zum anderen durch flankierende Maßnahmen mit Hilfe moderner Informationssysteme auf der Basis innovativer Kommunikationstechnologien und Software-Engineering-Methoden.

Wissenschaft und Wirtschaft haben sich an der Diskussion über die in den Unternehmen vorhandenen Rationalisierungspotentiale beteiligt und orientiert. Dezentralisierung von Aufgaben und Verantwortung oder Gruppenarbeit wurden im Zuge der Lean- Management-Diskussion eingeführt - mit den Ziel der Produktivitätssteigerung. Völlig unbeachtet blieb die sinnvolle Einbindung und Berücksichtigung von Aufgaben des Umweltschutzes innerhalb der gesamten Auftragsabwicklung.

Ökologisch ausgereifte Produkte haben mittlerweile ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellenwert errungen. Einem Fragenkatalog im Hinblick auf eine ökologieorientierte Organisation der Auftragsabwicklung wurde aber entweder kaum Beachtung geschenkt, oder er wurde überhaupt nicht erst erstellt. Wie eine solche Abwicklung organisiert sein muß, darf gerade aufgrund der vielfältigen Aktivitäten im Bereich der Organisationsentwicklung nicht isoliert behandelt werden, sondern muß in die Weiterentwicklung des bereits Erreichten eingebettet sein.

Das Qualitätsmanagement hat in den vergangenen Jahren durch Bemühungen der Unternehmen, eine Zertifizierung nach ISO 9000 f zu erhalten, sehr starken Aufwind erfahren. Die Zertifizierung wird mindestens alle drei Jahre durch eine Wiederbegutachtung erneuert.

Hierzu zählen insbesondere Aspekte des Qualitäts- und Umweltmanagements. Doch die als Entwurf vorliegende ISO 14 000 f. verspricht hier auf Ebene des Umweltmanagements keine grundlegende Verbesserung. Häufig schleichen sich gegenüber den in der Zertifizierung vorgesehenen und dokumentierten Geschäftsprozessen Abweichungen ein, die dem Gedanken der Nachhaltigkeit entgegen laufen. Die weltweit geltende ISO-Norm scheint darüber hinaus eine EU-Öko-Audit "light" zu sein (Weber), die wesentliche Elemente aus der ISO 9000 f. übernommen hat und das nachhaltige sich kontinuierlich verbessernde Wirtschaften nicht nachdrücklich genug unterstützt.

Es bleibt jedem Unternehmen überlassen, geeignete Instrumente zu schaffen, die es erlauben, ein gezieltes und simulativ bewertbares Agieren in Richtung Einhaltung der Umweltziele zu ermöglichen.

Bislang sind umsetzbare Ansätze für Informationssysteme in den Bereichen, die für eine umweltorientierte Auftragsabwicklung maßgeblich sind, noch nicht vorhanden. So sind Verfahren zur kurzfristigen Produktionsplanung und zur Produktionssteuerung oder zur Abstimmung von Stoff- und Energieströmen in vernetzten Produktionssystemen im allgemeinen nicht ausreichend. Dies gilt insbesondere in bezug auf die Abbildung der Komplexität von Produktionsprozessen, des verfügbaren Steuerungs- und Prozeßwissens sowie des zeitlichen Verhaltens von Produktionssystemen.

Eine Untersuchung der am Markt befindlichen zirka 150 Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme kommt zu dem Schluß, daß die planerische Abwicklung eines Auftrags derzeit ausschließlich mit Blick auf das eine Endprodukt, nämlich das des Auftrags, existiert. Das Fehlen einer planerischen Einordnung umweltbezogener Zusammenhänge läßt daher ein Agieren nicht zu, sondern mündet in reaktivem Verhalten der Verantwortlichen eine geplante Umweltfürsorge und Ausnutzung von Recyclaten oder anderen Wertstoffen ist nicht möglich.

Neue Software-Engineering-Methoden wie zum Beispiel objektorientierte Technologien versprechen eine anforderungsgerechte Umsetzung der geschaffenen Basismodelle. Erste rudimentäre Ergebnisse liegen vor. Aufbauend auf einer objektorientierten Planungs- und Steuerungsarchitektur soll ein Modell der Produktion geschaffen werden, das ein Management von Stoffströmen erlaubt.

Ziel des Projekts ist die Entwicklung von Organisationsmodellen und Unterstützungssystemen für die Auftragsabwicklung inner- und überbetrieblicher Logistiknetzwerke zur Realisierung einer ökologisch verträglichen Produktion, die durch sparsamen Einsatz der Ressourcen bei gleichzeitiger Emissionsreduktion gekennzeichnet ist. Dies erfordert einerseits eine Vorgehensweise zur ökologisch orientierten Gestaltung von Produkten bereits in der Phase der Produktentstehung. Andererseits muß ein umweltorientiertes Unternehmen den gesamten Bereich der Auftragsabwicklung auch unter Einbeziehung von Kunden und Lieferanten betrachten, um das Potential zur ökologischen Optimierung nutzen zu können.

Der Schwerpunkt der Betrachtungen liegt bei den vorgelagerten Lieferanten und den nachgeschalteten Kunden. Insbesondere die aus Kunden-Lieferanten-Beziehungen entstehenden Aspekte gewinnen vor dem Hintergrund der EU-öko-Audit-Verordnung und der in Vorbereitung befindlichen Zertifizierung nach ISO 14000 an Bedeutung.

Berücksichtigt werden die Bereiche:

- Konstruktion,

- Arbeitsvorbereitung,

- Produktionsplanung und -steuerung sowie

- die Ebene einzelner Leitsysteme für Maschinen oder gekoppelte Produktionssysteme.

Neben den vorgeschalteten Bereichen wird das Controlling miteinbezogen. Dies ist erforderlich, weil dadurch ein umweltorientiertes Controlling in der Lage ist, Planung, Steuerung und Produktion zu einem Regelkreis zusammenzuführen. Künftige Handlungsalternativen lassen sich so zu einem frühen Zeitpunkt bewerten.

Die Lösungsansätze beziehen sich auf:

- die systematische Gestaltung ressourcenschonender Produkte durch den Aufbau geeigneter Hilfsmittel und Mechanismen im Bereich der Konstruktion,

- die Ausrichtung der Arbeitsvorbereitung im Hinblick auf die Abbildung von Stoff- und Energieflüssen und der damit zusammenhängenden Arbeitsplangestaltung,

- die Schaffung eines unternehmensübergreifenden Stoffstrommanagements unter Berücksichtigung und Einführung umweltorientierter Abstimmungsmechanismen für den Einsatz beispielsweise von Recyclaten,

- Methoden, Modelle und Verfahren der Produktionsplanung im Rahmen neuer innovativer Produktionsplanungs- und -steuerungs-Systeme,

- Abstimmungsmechanismen in umweltschutzorientierten Prozeßleitsystemen auf Produktionsebene,

- die Bewertung der Maßnahmen durch Schaffung von Controlling- Instrumenten,

- die Beschreibung von Organisationsmodellen eines produktionsintegrierten Umweltschutzes im gesamten Bereich der Auftragsabwicklung als auch

- die Definition einer durchgängigen informationstechnischen Infrastruktur als Grundlage eines nachhaltigen Wirtschaftens im Sinne eines überbetrieblichen Ressourcen- und Stoffstrommanagements sowie

- die Erarbeitung von Vorschlägen für zukünftige Entwicklungen und Einführungsszenarien für die genannten Bereiche.

Das Gesamtprojekt gliedert sich in:

- einen wissenschaftlichen Grundlagenteil und

- einen umsetzungsbezogenen Teil mit Betriebsprojekten.

Bereits in einer frühen Phase des Projekts werden in einzelnen ausgewählten Industrieunternehmen Anforderungen an Informationssysteme zur Unterstützung eines produktionsintegrierten Umweltschutzes erhoben. Auf der Basis dieser Anforderungen erfolgen konzeptionelle Grundlagenarbeiten, Designvorschläge und erste prototypische Funk- tionsmuster. Bereits nach zwölf Monaten werden die Design- und Gestaltungsvorschläge von einzelnen Softwarehäusern aufgenommen und umgesetzt. Nach einer Projektlaufzeit von 24 Monaten werden die erarbeiteten Lösungen Schritt für Schritt in den Industriebetrieben eingeführt und damit die Praxisrelevanz der Unterstützungsinstrumente und Organisationsmodelle evaluiert.

Das Projekt wird in Kooperation mit dem Fraunhofer IAO unter der Federführung des Instituts für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart zusammen mit dem Fraunhofer IPT, dem WZL und dem FIR an der RWTH Aachen sowie der Universität Bremen durchgeführt. Die Institute erarbeiten Grundlagen in Form von Methoden, Modellen und Prototypen, die sie in einer weiteren Phase in industriellen Anwendungsbetrieben umsetzen, einführen und evaluieren.

In der Anfangsphase des Projekts wird ein begleitender Innovationskreis eingerichtet. Er hat zwei Funktionen: Einerseits stellt er für die Analyse und Diskussion von Kriterien, die auf die Organisationsmodelle und Lösungsvorschläge wirken, eine breitere Basis dar. Andererseits lassen sich hier frühzeitig Projektergebnisse auch mit Firmen diskutieren, so daß eine frühzeitige Verbreitung und Nutzung der Ergebnisse gesichert ist. Ein Überblick über die Projektstruktur ist Abb. 2 zu entnehmen.

Anwender und damit Zielgruppe sollen kleine und mittelständische Unternehmen sein. Hauptfokus liegt bei Unternehmen aus dem Bereich der Investitionsgüterindustrie und damit innerhalb des Maschinen- und Anlagenbaus, aber auch bei den jeweiligen Zulieferunternehmen. Ziel ist, die konzeptionellen Arbeiten auf andere Branchen zu übertragen, beispielsweise auf die Kfz-Zulieferindustrie. Damit wird auf Unternehmen Bezug genommen, die die Probleme aufgrund des mangelnden Know-hows sowie fehlender Kapazitäten nicht eigenständig lösen können, jedoch auf Erfahrungen und Ergebnisse in diesem Bereich zurückgreifen müssen.

OPUS

Das vom Projektträger Umwelttechnik des Bundesministeriums für Forschung, Technologie, Bildung und Wissenschaft geförderte Projekt OPUS widmet sich der Fragestellung, wie eine umweltorientierte Auftragsabwicklung in Unternehmen zu organisieren ist und durch welche informationstechnische Maßnahmen und Systeme eine flankierende Unterstützung zu gewährleisten ist.

Angeklickt

Eine der wesentlichen Aufgaben produzierender Unternehmen ist künftig, neben der Steigerung der Produktivität auch die Kontrolle beziehungsweise Reduktion der produktions- und produktbezogenen Umweltbelastungen. Die Unternehmen tragen aufgrund ihres hohen Material- und Energieeinsatzes sowie der entstehenden Reststoffe in beträchtlichem Umfang zu ökologischen Problemen bei. Sogenannte "End-of-the-pipe"-Technologien reduzieren diese negativen Auswirkungen durch additive Maßnahmen, ohne jedoch nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Doch bieten daneben Organisation und Informationstechnik Ansatzpunkte und Tools, die Umwelt gezielt zu entlasten.

Literatur

Weber, J.: Weltweite Umweltnorm: Öko-Audit "light"? In: VDI- Nachrichten Nr. 9 vom 1. März 1996.

Liedtke, C.: Umweltmanagement, produktlinienbezogene Materialintensitätsanalysen und ökologisches Design. In: Jahrbuch 94. Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie. 1995.

*Hans-Peter Laubscher ist Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation in Stutgart.