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Gewinnmaximierung zulasten von Arbeitnehmern unter Kritik

Nokia-Misere: "Verklärtes Bild des Kapitalismus"

23.01.2008
Von pte pte
Mit der Ankündigung, am profitablen Bochumer Standort künftig nicht mehr produzieren zu wollen, setzt der finnische Mobiltelefonhersteller Nokia ungeachtet massiver Proteste seine bisherige Shareholder-Value-Strategie fort.

Indem Nokia anstrebt, von den insgesamt 2.300 geplanten Stellen rund 2.050 abzubauen und seine Neuansiedlung im profitableren Rumänien zu forcieren, handelte sich der Konzern nicht nur einen großen Imageschaden ein. Auch der politische Unmut im Hinblick auf die Vergeudung staatlicher Subventionen fachte die Debatte über das marktwirtschaftliche Kalkül von Top-Managern weiter an. Kritiker weisen darauf hin, dass sich die Bewertung des Konzerns immer stärker an dessen freien Cash-Flows ausrichtet und sich dieser Grundsatz nicht länger mit der Verantwortung gegenüber dem Standort und dessen Beschäftigten verbinden lässt.

"Die heutige Wirtschaft ist dominiert von großen Unternehmen, die mit einem verklärten Bild von Marktwirtschaft und Kapitalismus handeln. Damit Marktwirtschaft funktioniert, ist vielmehr eine Chancengleichheit im Sinne eines gleichberechtigten Wettbewerbs nötig. Am Beispiel Nokia wird deutlich, dass wir es zumeist mit Formen der Kommandowirtschaft zu tun haben, die verhindern, dass diese Chancengleichheit auch tatsächlich eintritt", analysiert der selbstständige Unternehmensberater Bernd Höhne die Situation im Gespräch mit pressetext. Dem Experten zufolge sollte die Politik ihre Förderungspraktiken überdenken und Unternehmen ab einer bestimmten Größe stärker besteuern. "Diese wären somit gezwungen, sich zu teilen, sodass neue Unternehmen mit Arbeitsplätzen entstünden und der Wettbewerb nicht länger auf dem Prinzip David gegen Goliath beruht", so Höhne weiter.

Obwohl Nokia in einer Stellungnahme bekannt gab, die Schließungspläne nicht rückgängig zu machen und "nach sehr sorgfältigen Analysen der Kosten und der Wettbewerbsfähigkeit des Bochumer Werkes die Entscheidung zur Schließung genau durchdacht ist", bleibt ein fader Beigeschmack. Analysten verweisen indes wiederholt auf die nach dem Shareholder-Value-Prinzip ausgerichtete Unternehmenspolitik. Diese handele vermehrt nach falschen, rein ökonomischen Grundsätzen, um ausschließlich den Kurswert und damit den Marktwert des gesamten Konzerns zu maximieren. So prangern vor allem Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften wie die IG Metall regionale (EU-)politische Förderpolitiken an und starteten daraufhin eine Großkundgebung mit 15.000 Teilnehmern.

Andererseits bekam Nokia die bei der Werksgründung von 1995 bis 1999 subventionierten 88 Millionen Euro nur bei einer vom Gesetzgeber vorgeschriebene Bindungsfrist zum Erhalt von 2.860 Arbeitsplätzen. Da diese Arbeitsplatzgarantie bis zum September 2006 eingehalten wurde, streiten Insider über den rechtlichen Sinn dieser Regelung. Dessen ungeachtet prüft das Land Nordrhein-Westfahlen nun, ob Nokia gegen die geltenden Auflagen verstoßen hat und wenn ja, ob bereits geflossene Fördermittel zurückerstattet werden müssen. Da mit der Schließung des Bochumer Produktionsstandortes voraussichtlich auch der Jobverlust von weiteren 1.000 Zulieferern droht, schaltet sich nun auch die EU ein. Zudem hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Wort gemeldet.

Laut dem EU-Industriekommissar und SPD-Mitglied Günter Verheugen würden staatliche Subventionen keinen Sinn machen, wenn somit versucht würde, Unternehmen anzulocken. Auch kritisierte der Vizepräsident der EU-Kommission das Verhalten Nokias als "Ausfluss einer neuen Religion, die den Shareholder-Value vergöttert", zitiert die Welt am Sonntag den deutschen EU-Politiker. "Da hinter Megakonzernen wie Nokia immens große Kapitalbündel stehen, sollte sich die Wirtschaft - wie auch Ingenieure in der Technikentwicklung - an Konzepten der Biologie orientieren. Hier ist die Politik gefordert, den Konzernen einen größeren Steuerballast zuzumuten. Ich bin davon überzeugt, dass Verlagerungsprozesse dieser Art somit künftig wesentlich stärker abgemildert werden könnten", so Höhne abschließend gegenüber pressetext. (pte)