Nichts geht über den Praxisbezug

14.03.1997

Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers fühlte sich bestätigt, als ihm der CW-Redakteur die aktuellen Ergebnisse der CW-Umfrage nach den besten Informatikfakultäten im deutschsprachigen Raum mitteilte: "Ich bin jemand, der unsere Hochschulen lobt, weil sie trotz der Überlast immer noch gute Ergebnisse produzieren." Recht hat der Bonner Minister, zumindest in bezug auf die Computerwissenschaften.

Zwar erreichte keine Ausbildungsstätte auf einer Skala von 0 bis 100 die Kategorie Top-Hochschule, die bei 80 Punkten beginnt, jedoch bescheinigen die Praktiker 39 Hochschulen eine "gute" und 35 eine "durchschnittliche" Ausbildungsqualität. Der Abstand zwischen dem Sieger Karlsruhe (77,09 Punkte) und dem letzten mit der Beurteilung "gut", der FH München (60,38 Punkte), beträgt weniger als 17 Punkte. Lediglich fünf Hochschulen erhielten die Bewertung "unterdurchschnittlich" (20 bis 40 Punkte), und keine wurde als "schlecht" eingestuft. Selbst die Letztplazierte, die Universität Klagenfurt, kam auf immerhin 38 Punkte.

Damit schneiden die Informatiker besser ab als die anderen technischen, die wirtschaftswissenschaftlichen und juristischen Fakultäten, die die Unternehmensberatung Westerwelle & Partner im Auftrag des "Manager Magazins" begutachtete.

Daß die technischen Universitäten im Vergleich zu den Fachhochschulen so gut wegkommen - unter den 20 Bestplazierten finden sich nur sechs FHs - liegt nach Meinung von Berater Westerwelle an der hohen Praxisorientierung der Uni-Ausbildung. Dies bestätigen Studenten, Professoren und Praktiker unisono. "Computerwissenschaften lassen sich nicht nur durch Frontalunterricht erlernen", lautet eine gängige Aussage, und ein Personalverantwortlicher erklärt die Vorteile eines praxisorientierten Studiums: "Bis die Studenten in den Beruf einsteigen, haben sie schon alle irgendwo Programmiererfahrung gesammelt.

Die befragten Führungskräfte - mehrheitlich aus IT-Abteilungen - verteilten Punkte in 13 Kategorien (siehe Seite 14), die außerdem nach ihrer Wichtigkeit in eine Rangfolge gebracht werden mußten. Mit Abstand wurde das Kriterium "Praxisbezug des Studiums" als wichtigstes bewertet. Allerdings attestierten die Manager den Hochschulen in dieser Kategorie auch das größte Ausbildungsdefizit.

So kritisieren Unternehmensvertreter oft, daß die Absolventen eine falsche Vorstellung von der Berufswelt haben. Integrata-Personalchef Wilhelm Vieljans hat den Eindruck, daß Berufseinsteiger zuwenig über Projektarbeit wissen, "eine Form der Tätigkeit, die in unserer Branche bestimmend ist". Peter Ernst, bei Hewlett-Packard zuständig für das Hochschul-Marketing, wünscht sich idealerweise ein mehrmonatiges Praktikum im Hauptstudium, "damit der Praxisschock nicht so groß wird".

Gerhard Krüger, Informatikprofessor in Karlsruhe, hält dem entgegen, daß es nicht Ziel des Studiums sein könne, der Industrie "paßgenaue" Mitarbeiter zu liefern. Lange Industriehospitanzen seien gar nicht nötig, glaubt Oliver Burgert, der sich in einem Praktikum in drei Tagen C-Programmierung beibrachte und eine Steuerung zum Laufen bekam. "Zuviel Praxis geht zu Lasten einer soliden Ausbildung, die entscheidend ist", meint der Student.

Insgesamt bewerteten die Auskunftgeber in der Rubrik Praxisbezug vier Hochschulen als "top":

Die nächsten Ränge in dieser Kategorie belegen: Hochschule St.Gallen, FH Albstadt-Sigmaringen, FHTW Reutlingen, FH Saarbrücken, Gesamthochschule Paderborn und Universität Dortmund.

Zweitwichtigstes Kriterium für die Befragten war die Arbeit der Professoren in der Lehre. Mit dieser Frage wollte Westerwelle die Rolle des Professors und Institutsleiters herausstellen, der die Schlüsselfigur und Hauptansprechpartner der Studenten sei. Drei Hochschulen bekamen hier Spitzennoten:

Es folgen: RWTH Aachen, Universität Saarbrücken, FH Aalen, TU Berlin, TU Hamburg-Harburg, TU Wien und ETH Zürich.

Drittwichtigstes Kriterium ist die Qualität der Theorievermittlung. Dabei geht es um Fragen wie: Welche Methoden verwendet das Lehrpersonal? Wie alt sind die Methoden? Wie werden Studieninhalte vermittelt? Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch die Frage nach der Qualität von Lehrveranstaltungen.

Den Vertretern der Wirtschaft ist dieser Punkt - auch wenn sie immer wieder auf den Praxisbezug pochen - sehr wichtig. Denn Manager wissen, daß es ohne solide theoretische Grundlagen schwierig wird, komplexe Zusammenhänge zu verstehen.

Immerhin acht Hochschulen dürfen sich in dieser Kategorie zu den Top-Ausbildungsstätten zählen.

Weitere 45 Hochschulen gelten als "gut", und nur eine wurde als "unterdurchschnittlich" bewertet.

Als Hauptproblem in dem Verhältnis zwischen Hochschule und Unternehmen sieht Westerwelle Mängel in der Kommunikation, die die Auskunftgeber als nächstes wichtiges Kriterium nannten. Der Hamburger Berater ist der Auffassung, daß es Aufgabe der Wissenschaftler sei, "ihre Produkte, ihr Angebot den Abnehmern, zum Beispiel den Unternehmen, zu erklären und deren Vorteile hervorzuheben".

Genau wie beim Praxisbezug stehen die Augsburger mit 85,42 Punkten ganz oben auf dem Treppchen gefolgt von der Uni Bern mit 81,67 Punkten, der FH Ravensburg-Weingarten mit 81,25 Punkten und der FH Furtwangen mit 80,21 Punkten.

Unter den ersten zehn sind noch zu finden: Uni Ulm, FH Heilbronn, RWTH Aachen, FH Emden, FH Flensburg und FHTW Reutlingen.

Kritisch äußern sich die Befragten zur Internationalität der Ausbildung, womit unter anderem die Anzahl ausländischer Gastprofessoren, das Fremdsprachenangebot und offizielle Austauschprogramme gemeint sind. Lediglich St. Gallen mit 81,73 Punkten wird als "top" bezeichnet. Es folgen mit gewissem Abstand die Uni Saarbrücken, FH Saarbrücken, Uni Ulm, FH Heilbronn, TU Berlin, RWTH Aachen, Uni Bern, FHTW Reutlingen und TH Darmstadt. Insgesamt gelten nur 26 Hochschulen als gut, so wenig wie in keiner anderen Kategorie.

Sechstes Kriterium in der Reihenfolge ist die Forschungsleistung. Diese kann aber nur überzeugen, wenn genügend Ressourcen vorhanden sind. Genau darin liegt das Problem. Wissenschaftler sind besorgt, daß die Gelder von Staat und Wirtschaft ausbleiben.

An der Hochschule selbst werden sie zusätzlich mit administrativen Arbeiten zugeschüttet. Praktiker ihrerseits monieren, daß Forschungsergebnisse an Massenuniversitäten mittelmäßig sind und daß einige Professoren noch immer ein Elfenbeinturm-Dasein genießen. Bei den Fachhochschulen ist reine Forschung nicht vorgesehen.

Die nächsten sind: TH Darmstadt, GH Paderborn, Uni Saarbrücken, TU Wien, Uni Oldenburg, TU Berlin und TU München.

Im Zusammenhang mit Kategorie sechs steht auch das Kriterium, Zusammenarbeit der Hochschulen mit der Industrie bei Forschungsprojekten. Die größte Sorge bereitet den Managern laut Westerwelle das gespannte Verhältnis zwischen Instituten und Unternehmen. Auch Minister Rüttgers sieht hier Handlungsbedarf: "Wirtschaft und Forschung haben nicht gelernt, miteinander zu reden." Es sei allerdings nicht wahr, daß sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter dagegen wehren, mit der Wirtschaft zu kooperieren.

"Wenn ein Wissenschaftler an einem bestimmten Thema arbeitet", so der Minister weiter, "aber nicht darüber nachdenkt, was für ein Produkt daraus wird, braucht er sich nicht zu wundern, wenn ihm Firmen antworten, das würde nicht in ihr Programm passen." Man müsse versuchen, beide Seiten schon in der Projektfindung zusammenzubringen, "was gar nicht heißt, daß der eine dem anderen reinredet", vielmehr gehe es um eine gemeinsame Kommunikationsebene.

Einzige Top-Hochschule ist bei diesem Kriterium die FH Wedel mit genau 80 Punkten. Die nächsten Ränge belegen die Uni Bern, ETH Zürich, RWTH Aachen, Uni Passau, TU Dresden, GH Paderborn, FHTW Reutlingen, TH Karlsruhe und FH Furtwangen.

Kriterium Nummer acht ist die Qualität der studentischen Aktivitäten. Als solche gelten Kontaktmessen oder Workshops und Vorträge von Praktikern. An der Spitze stehen die Uni Mannheim mit 85 Punkten, gefolgt von der FH Heilbronn mit 82,14 Punkten und FH Furtwangen mit 80,43 Punkten. Zu den ersten zehn zählen außerdem: Uni Passau, FHTW Reutlingen, TH Karlsruhe, Uni Dortmund, RWTH Aachen und Uni Saarbrücken.

Im neunten Kriterium geht es um die Effizienz der Verwaltung. Diese Kategorie ist nach Meinung des Hamburger Beraters deshalb wichtig, weil ein gutorganisiertes Institut einen Beitrag dazu leisten kann, die Studiendauer zu verkürzen. Hier dominieren eindeutig die kleinen Hochschulen, wobei keine als "sehr gut" abschloß. Erster ist die TU Claustahl-Zellerfeld mit 78,33 Punkten. Dann kommen FH Wedel, FH Ulm, FH Ravensburg-Weingarten, FH Fulda, Fernuni Hagen, ETH Zürich, TU Wien, Uni Fribourg und TU Braunschweig.

Die besten Chancen bietet die DienstleistungsbrancheDie Kriterien zehn bis 13 beziehen sich eher auf allgemeine Fragestellungen, die gemeinsam mit anderen Themen im letzten Abschnitt behandelt werden. Darin geht es um:

- Anforderungen an die Informatikausbildung,

- Schwachstellen des Studiums,

- Professoren mit besonderer Reputation und "stille Stars" (siehe auch Kasten),

- Hochschul-Marketing der Unternehmen,

- Wege für Firmen, IT-Stellen zu besetzen,

- Zukunftsbranchen für Informatiker sowie

- Nutzen von Hochschulstudien.

Unter anderem wurde gefragt, bei welchen Themen Anspruch und Wirklichkeit am weitesten auseinanderklaffen. Das Ergebnis wird all jene bestätigen, die schon immer das Training von fachübergreifenden Schlüsselqualifikationen ins Studium einführen wollen. Demnach vermissen die Unternehmensvertreter am meisten Team- und Führungsqualitäten, die Fähigkeit, Alternativen zu reinen IT-Lösungen zu finden und ergebnisorientiertes Arbeiten.

Die größten Chancen für den IT-Nachwuchs sehen die Befragten in der Dienstleistungsbranche. Allgemein glauben sie, daß auf allen Gebieten ein starker Bedarf an IT-Experten existiert. Sowohl Rüttgers als auch der Karlsruher Professor Krüger sind überzeugt, daß es in den nächsten Jahren einen erheblichen Mangel an Technikern geben wird. Bereits jetzt sei es laut Krüger sehr schwer geworden, die wissenschaftlichen Stellen zu besetzen: "Wir bekommen das Graduiertenseminar kaum noch voll."

Das zukünftige Arbeitsgebiet der IT-Fachleute liegt im Netz. Als Aufgaben von morgen gaben die Praktiker in der Reihenfolge: Telearbeit, Netze, Multimedia sowie das Internet beziehungsweise Intranet an.

Theorie

1. TH Karlsruhe 88,83 Punkte2. TH Darmstadt 87,14 Punkte3. RWTH Aachen 85,14 Punkte4. Uni Kiel 82,95 Punkte5. Uni Saarbrücken 81,58 Punkte6. Uni Bonn 81,48 Punkte7. TU München 80,63 Punkte8. Uni Dortmund 80,36 Punkte

Lehre

1. TU Braunschweig 81,67 Punkte2. TH Darmstadt 81,62 Punkte3. TH Karlsruhe 80,95 Punkte

Praxisbezug

1. FH Augsburg 86,46 Punkte2. FH Furtwangen 86,36 Punkte3. FH Wedel 80,56 Punkte4. FH Heilbronn 80,36 Punkte