Trend geht in Richtung Gesamtinformationssytem:

Netzplan ist bald nur noch ein Modul unter vielen

28.08.1987

Systeme, die noch auf reiner Netzplantechnik basieren, werden möglicherweise schon bald vom neuesten Stand der Entwicklung überrollt. Klaus Nölke* beobachtet seit kurzem eine Tendenz hin zu integrierten "Projekt-Informationsmanagement-Systemen". Seiner Ansicht nach wird dieser Trend in absehbarer Zeit eine neue Generation von Projektmanagementsystemen hervorbringen.

Die Projektmanagementsysteme herkömmlicher Art waren die logische Folge aus der Entwicklung und Verbreitung der Netzplantechnik. Diese Methode hat sich bei der Planung komplexen Projekte hervorragend bewährt. Der Nachteil der Netzplantechnik ist die rechenintensive Vorwärts- und Rückwärtsterminierung. Wer schon einmal einen Netzplan von beispielsweise nur 20 Aktivitäten durchgerechnet und dabei auch noch alle Wochenenden und Feiertage berücksichtigen mußte, weiß, welcher zeitliche Aufwand notwendig ist. Hierfür boten sich entsprechende Programme an.

Anfänglich waren dies - bedingt durch den damaligen Stand der Technik - reine Lochkartensysteme. Zu den Terminplanungsfunktionen kamen nach und nach die Kapazitätsplanung und Ansätze für eine Kostenkontrolle hinzu.

Batchbetrieb ist nicht prinzipiell ein Nachteil

Darüber hinaus wurden die Systeme den sich weiterentwickelnden technischen Möglichkeiten angepaßt. Hierzu zählen zum Beispiel eine Bedieneroberfläche, die die Eingabe der Daten direkt am Bildschirm erlaubt. Die Verarbeitung erfolgte aber weiterhin im Batchbetrieb. Das muß nicht prinzipiell ein Nachteil sein. Bei vielen Änderungen in großen Netzplänen ist eine Batch-Verarbeitung durchaus sinnvoll. Ein interaktiver Betrieb würde bei jeder Änderung eine sofortige Neuberechnung des gesamten Netzplans auslösen, was äußerst zeitraubend sein kann.

Die Grundfunktion dieser Projektmanagementsysteme sind einfache Rechenoperationen und mehr oder weniger starre Sortiermöglichkeiten. Ein wesentliches Prinzip, das Anwender leider häufig vergessen, ist, daß nur die Informationen zur Verfügung stehen, die einmal eingegeben wurden. Dies klingt im ersten Moment banal, soll aber verdeutlichen, daß ein steigender Informationsbedarf mit einem erheblichen Mehraufwand bei Dateneingabe und Rückmeldung verbunden ist.

Die Informationen, die diese Systeme zur Verfügung stellen, dienen in erster Linie dem Projektleiter. Für die übrigen am Projekt Beteiligten bieten sie nur mittelbar Vorteile. Werden diese Vorteile nicht gesehen, erweist sich die Einführung und der Einsatz derartiger Systeme als problematisch.

Solche Projektmanagementsysteme sind ausgereifte Produkte, die wenn sie erst einmal richtig laufen jahrelang problemlos im Einsatz sind. Programmtechnisch befinden sie sich jedoch häufig nicht mehr auf dem neuesten Stand.

Die Referenzlisten dieser Systeme sind meistens beeindruckend lang. Aber dies muß nicht unbedingt positiv sein. Je mehr Anwender ein System hat, desto mehr Wünsche nach Änderungen oder Zusätzen werden an den Hersteller herangetragen. Je länger ein System am Markt ist, desto mehr entwickelt es sich zu einem "Balkonsystem"; Experten sprechen auch von "Rucksackprogrammierung": Hier wurde eine Funktion erweitert, dort eine hinzugefügt und dort wiederum eine modifiziert. Der programmtechnische Überblick bleibt dabei auf der Strecke. Aus dem ursprünglich klaren Grundkonzept wurde ein kompliziertes Programmpaket.

Funktionsvielfalt für den Anwender ärgerlich

Für den Anwender wird das System immer mächtiger. Sämtliche Funktionen, die irgendwo im Unternehmen einmal zur Projektabwicklung gebraucht wurden, sind im System enthalten. Für die Anwendung ist dies aber tödlich. User, die nur gelegentlich das System nutzen wollen - und die sind wohl in der Mehrzahl - stehen jedes Mal vor dem gleichen Problem: Um das System für ihre Belange optimal einsetzen zu können, benötigen sie eigentlich eine neue Einweisung. Fehlversuche kosten Zeit und frustrieren. In der Konsequenz wird das System immer seltener oder in immer geringerem Maße genutzt.

Also schaute man sich nach einfacheren Hilfsmitteln um. Die Folge war ein Anstieg bei der Nachfrage nach PC-Programmen. Heutzutage steht hier eine Vielzahl relativ leistungsfähiger und- anwenderfreundlicher Projektmanagementsysteme zur Verfügung. Diesem Trend konnten selbst eingefleischte Mainframe-Programmhersteller nicht entgehen.

Den Anforderungen komplexer Projekte sind diese PC-Systeme aber nicht gewachsen. Deshalb gewannen gleichzeitig die Großrechner-Programme, die sich für die Bedürfnisse des Anwenders flexibler zeigten, Marktanteile. Diese Projektmanagementsysteme verwenden häufig echte Datenbanksysteme, Darüber hinaus nutzen sie die Möglichkeiten technischer Weiterentwicklungen, so daß sich beispielsweise auch die Bedieneroberflächen individuell gestalten lassen. Diese Leistungsstärke hat natürlich ihren Preis, was auf potentielle Anwender im ersten Moment meist abschreckend wirkt.

Allerdings handelt es sich auch bei diesen PMS-Produkten um "geschlossene" Systeme, die nur das liefern, was man eingibt. Schnittstellen zu anderen Informationsquellen lassen sich zwar realisieren, werden aber wegen des Aufwands häufig nicht verwirklicht. Diese Systeme bieten neben dem Projektleiter einem erweiterten Kreis von Projektbeteiligten unmittelbare Vorteile. Die Akzeptanz und damit auch der Nutzungsgrad dieser Programme ist deshalb meistens höher.

Trotzdem findet man heutzutage in vielen Unternehmen Zweigleisigkeit: Einerseits ist eine Vielzahl von PC-Programmen im Einsatz, andererseits finden Mainframe-Systeme für unternehmensübergreifende Projekte Verwendung. Dies stellt insgesamt eine wenig zufriedenstellende Lösung dar.

"Projektleiter-System" nicht länger gefragt

Die neue Generation der Projektmanagementsysteme führt diese beiden Gleise wieder zusammen - die Einfachheit der PC-Programme mit der Leistungsstärke der technisch hochentwickelten Mainframe-Version. Hinzu kommen die diversen Möglichkeiten moderner Informations-Management-Systeme. Somit können diese Systeme ein erhebliches Plus aufweisen: Sie bieten fast allen Projektbeteiligten Vorteile, indem sie relevante Informationen, die über die reinen Termin-Kapazitäts- und Kostendaten hinausgehen, zur Verfügung stellen.

Die Tendenz geht also vom "Projektleiter-System" hin zum "Projektinformationsmanagement-System". Welche Möglichkeiten sich hierdurch für alle Projektbeteiligten bieten, sei an einem kurzen Beispiel erläutert:

Der Markt verlangt ständig neue Produkte. Damit diese wettbewerbsfähig sind, müssen die richtigen Systeme zum richtigen Zeitpunkt am Markt sein. Das klingt trivial, stellt aber einen Projektmanager vor fast unlösbare Probleme.

Unter der Annahme, daß eine erfolgversprechende Idee bereits vorhanden ist, muß diese zunächst einmal auf ihre Chancen am Markt untersucht werden. Der Projektmanager ist auf externe Daten angewiesen, unter anderen auf Preissituationen, Marktaufteilung und potentielle Konkurrenten. Gleichzeitig benötigt er interne Informationen, die in erster Linie aus dem Rechnungswesen stammen. In dieser wichtigen Phase der Entscheidung für oder gegen das Projekt hilft ihm ein Netzplansystem kaum. Noch weniger hilfreich ist ein derartiges System in der Phase der Entscheidung für oder gegen das Projekt hilft ihm ein Netzplansystem kaum. Noch weniger hilfreich ist der Phase der Ideefindung: Welche Ideen hat es bereits gegeben, welche wurden wie beurteilt, warum verworfen?

Auch im weiteren Verlauf eines derartigen Projektes reichen die Informationen der herkömmlichen Systeme für eine marktgerechte Abwicklung nicht aus. Planung und Verfolgung von Terminen und Kapazitätseinsatz mit Hilfe der Netzplantechnik liefern zwar realistische Werte, sind aber nicht ausreichend für notwendige Entscheidungen geeignet. Sie können die reinen Durchlaufzeiten bis zur Markteinführung um keinen einzigen Tag verkürzen. Dabei sind die Suche und die Bereitstellung von Informationen wesentlich für die Dauer eines Projektes.

Untersuchungen haben gezeigt, daß das Informationsmanagement im Entwicklungsbereich bis zur Hälfte der Arbeitszeit eines Konstrukteurs ausmachen kann. Die Informationen, die benötigt werden, sind meistens vorhanden. Es fehlt nur am geeigneten Instrumentarium, um darauf zuzugreifen. Genauso können sich im Laufe des Projektes wesentliche Randbedingungen ändern, die Revidierung einer früheren Entscheidung verlangen. Hierzu müssen dem Verantwortlichen aber die relevanten und aktuellen Daten, zum Beispiel aus dem Marketing, zur Verfügung stehen.

Alle diese Informationen lassen sich mit den Projektmanagementsystem herkömmlicher Art nicht bereitstellen. Zwar kann man entgegnen, daß sich das Problem mit entsprechenden Schnittstellen lösen läßt. Das trifft in gewissem Maße auch zu. Nur kann man zu Beginn eines Projektes schlecht abschätzen, zu welchem Zeitpunkt welche Informationen und somit welche Schnittstellen benötigt werden. Das läßt sich im Prinzip nur mit flexiblen Informations-Management-Systemen realisieren.

Daraus resultiert auch das Konzept dieser Systeme: Im Mittelpunkt steht nicht mehr wie bisher die Netzplantechnik, sondern die Möglichkeit einer effektiven und effizienten Bereitstellung notwendiger Projektinformationen. Die Netzplantechnik ist nur noch ein Modul unter mehreren: Sie stellt ein Hilfsmittel für das Projektmanagement dar.

Daneben kann auf eine Vielzahl anderer Module zugegriffen werden, wie beispielsweise Kalkulationsverfahren, Statistikprogramme und leistungsstarke Grafikpakete. Das Projektmanagement kann den Nutzungsgrad der vorhandenen Möglichkeiten selbst bestimmen, zum Beispiel durch die entsprechende Gestaltung der Oberfläche. Mit wachsenden Anforderungen wird dann unter Umständen der Nutzungsgrad erhöht. Gleichzeitig kann mit diesen Systemen auf alle im Unternehmen vorhandenen Daten zugegriffen werden, um sie projektbezogen auszuwerten.

Zur Zeit gibt es noch nicht sehr viele derartige Systeme am Markt. Außerdem weisen die verfügbaren Produkte erhebliche Unterschiede im Leistungsvermögen und in den Einsatzmöglichkeiten auf. Jedoch ist damit zu rechnen, daß diese Projektmanagementsysteme weiterentwickelt werden und das Angebot auf dem Markt in naher Zukunft erheblich steigen wird.

* Klaus Nölke ist Projektleiter bei der Roland Berger & Partner GmbH International Systems Consultants, München.