Wechseln die Mitarbeiter zum Online-Dienst?

Netscape-Gründer Andreessen begräbt alte Feindseligkeiten mit AOL

09.12.1998
MÜNCHEN (CW) - Nach der Ankündigung von America Online (AOL), den Internet-Pionier Netscape zu übernehmen, fragen sich Beobachter, ob AOL die hochkarätigen Spezialisten von Netscape halten kann. Entscheidend wird unter anderem sein, wie sich Marc Andreessen verhält - und der scheint sein Scherflein zum Gelingen beitragen zu wollen.

Zusammen mit Jim Clark hatte Andreessen 1994 das Unternehmen gegründet und wesentlich dazu beigetragen, daß das Internet mittels eines Browsers massentauglich wurde. Andreessen ist erst 27 Jahre alt, doch gilt er ähnlich wie Bill Gates als Wunderkind des amerikanischen Wirtschaftslebens. Entscheidet sich der Multimillionär definitiv für ein langfristiges Engagement bei AOL, könnte das großen Einfluß auf das Gelingen der Fusion haben.

Die Verhandlungsvoraussetzungen für Andreessen könnten kaum besser sein. Eigentlich müßte er nicht mehr arbeiten: Geht die Fusion wie geplant über die Bühne, verdient der Internet-Star zirka 100 Millionen Dollar daran. Doch AOL möchte die Integrationsfigur im Unternehmen behalten. Unternehmenschef Stephen Case sagte im Interview mit dem "Wall Street Journal": "Wir hätten ihn gern in einer der wichtigen Schlüsselpositionen, in denen wir künftige Trends im Online-Business ausloten." Andreessen bringe jedem Unternehmen eine "unglaubliche Menge an Glaubwürdigkeit", weil er zu den Pionieren im Web zähle.

Es gibt jedoch auch konkretere Vorstellungen, die Andreessen betreffen. Während das Portal-Geschäft bei AOL gut aufgehoben sein dürfte, fragen sich Beobachter, wie der Online-Dienst mit der Unternehmenssoftware von Netscape verfahren will. Für deren Weiterentwicklung, die gemeinsam mit Sun Microsystems betrieben werden soll, braucht AOL gut ausgebildete Arbeitskräfte, wie sie gegenwärtig bei Netscape zu finden sind. Andreessen wäre die Führungsfigur, die dieses Geschäft voranbringen könnte.

Ob das gelingt, ist jedoch fraglich. Noch Ende 1996 hatte der Netscape-Mitbegründer öffentlich AOL für sein proprietäres Geschäftsmodell kritisiert. Es sei eine Sackgasse, Anwender dazu zu zwingen, das Internet über einen separaten Online-Dienst aufzusuchen. Die Fronten verhärteten sich weiter, als AOL den Web-Browser von Microsoft in seinen Dienst integrierte, anstatt mit Netscape zu kooperieren.

Inzwischen schlägt Andreessen jedoch versöhnliche Töne an. AOL sei vor allem im Marketing brillant, davon könne Netscape eine Menge lernen. Seine Mitarbeiter wüßten es zu schätzen, künftig bei der Nummer eins zu arbeiten und Produkte zu erzeugen, die jeder kennt. AOL habe eine klare Strategie und eine Vision, die überzeuge. Zusammen mit Sun und AOL werde Netscape sein Softwareportfolio für den Unternehmensbereich ausbauen und sich im Bereich der Internet-Zugangsprodukte besser positionieren.