Multicard '94: Plastikkarte im Jahr 2000 als Zahlungsmittel

01.04.1994

BERLIN (ms) - Ein Kartensystem wird das Bargeld als Zahlungsmittel abloesen, da sind sich die Experten einig. Wann es soweit ist, weiss allerdings niemand so recht. Experten zufolge ist vor allem noch die Frage offen, wie sich die in den Chip-Karten gespeicherten persoenliche Daten vor Missbrauch schuetzen lassen.

Auch auf der "Multicard '94", die die Forschungs- gruppe Telefonkommunikation der FU Berlin und die Firma In Time im Berliner Grand Hotel Esplanade veranstalteten, konnte nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, wann es die bargeldlose Gesellschaft geben wird. Dafuer wurde unter den rund 300 Teilnehmern der Konferenz - eine gute Mischung aus Wissenschaftlern, Herstellern und Anwendern - drei Tage lang um so heftiger diskutiert. Mit dem Resultat, dass keiner heute exakt wissen koenne, wann das Bargeld durch Plastikkarten ersetzt werde.

War noch vor einiger Zeit das Jahr 2000 eine Zukunftsvision fuer die "allumfassende Revolutionierung unseres Alltagslebens", so ist diese Jahrtausendwende fuer Ulrich Lange von der Forschungsgruppe Telefonkommunikation an der FU Berlin viel "zu nah dran", als dass man sie noch als "utopische Zukunft" bezeichnen wuerde. Die Zeit sei gekommen, endlich die Chipkarte "vom Entwicklungstopf auf die Anwendungsbeine zu stellen", verkuendete der Wissenschaftler.

Bei der Telefonkarte - der ersten Chipvariante - sei das bestens gelungen: Bis Ende 1993 habe die Deutsche Bundespost Telekom mehr als hundert Millionen Stueck verkauft. Rund eine Million Krankenversichertenkarten (bei 70 Millionen Versicherten) seien mit Chips ausgeruestet worden; die genutzten eine Million Mikroprozessorscheiben im Mobilfunk (C-, D1- und D2-Netze) nicht zu vergessen. Fuer die naechsten zwei Jahre prognostiziert Lange die Umstellung von 35 Millionen Eurocheque-Magnetkarten auf Chiptechnik.

Aber nicht nur als Kreditausweis oder zum Bezahlen kleinerer Betraege biete sich das neue System an, so Michael Alff, Produkt- Manager der Firma Gie- secke & Devrient GmbH aus Muenchen.

Als "aufladbare elektronische Geldboerse" ermoegliche es einen flexiblen Zugang zu Dienstleistungen aller Art. Die technische Basis sei bereits vorhanden, um verschiedene Anwendungen auf einer Karte zusammenzufassen und unabhaengig voneinander zu verwalten. Der Muenchner denkt dabei an Dienste wie Telefonieren, Geld abheben, Bezahlen von Waren, den Personenverkehr etc. sowie das "Auftanken" des Chips mit einer bestimmten Geldsumme.

Fuer den Einsatz der Plastikscheibe in der Medizin brach Claus Koehler, Spezialist fuer medizinische Informatik und Sprecher der Forschungsgruppe Bioinformatik im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), eine Lanze. Eine eindeutige Definition wuerde zeigen, welche Vorteile die via Chip dokumentierte Krankengeschichte fuer die Behandlung und Betreuung kranker Menschen bringen koennte. Zumal einige gute Argumente fuer den Einsatz dieser Karten und gegen die "fast uebermaechtigen Protagonisten eines europaeischen Gesundheitsnetzes" sprechen.

Karten seien nicht nur billiger, so der Informatiker, sondern auch sicherer und wesentlich schneller zu implementieren. Ausserdem wuerden sie von den Betroffenen eher akzeptiert, da sie eine freiwillige Angelegenheit seien. Juergen Dethloff, der 1968 auf die Idee kam, integrierte Schaltungen in Plastik zu packen und sich 14 Jahre spaeter die erste Chipkarte patentieren liess, sieht in der Geldscheibe "ein Medium, dass uns hilft, die groesser werdenden Probleme des Zusammenlebens zu loesen".

Auch kritische Einwaende verlangten in Berlin Gehoer: Die neue Karte als Mittel zur Kontrolle der Buerger? Um solchen zynischen Beschreibungen der Bedeutung von Chipkarten entgegenzutreten, sei die Multicard '94 zwar erst ein Anfang, meinen die Veranstalter, aber auch ein erster Schritt auf dem Wege zu einer elektronischen Geldtasche. Und diesen Weg sollten Wissenschaftler, Techniker, Hersteller, Politiker und Anwender gemeinsam gehen.