Motivationsdelle in der New Economy

23.01.2001
Von Arna Vogel
Die Begeisterung für Obstschalen und Massageservice ist der Internet-Wirtschaft abhanden gekommen. Mitarbeiter wollen sinnvolle Organisationsstrukturen, um nicht für den Mülleimer produzieren zu müssen, und normale Arbeitszeiten. Mit Aktienoptionen lässt sich kaum noch jemand ködern.

Mit den fallenden Börsenkursen am Neuen Markt verloren die Aktienoptionen als Motivationsinstrument ihren Reiz. Gerade bei Startups war es üblich, auf marktgerechte Gehälter zugunsten der Aussicht auf Aktien beziehungsweise auf Aktienoptionen zu verzichten. Die sind nun bei einer ganzen Menge von Unternehmen vorerst wertlos geworden. Seit die Aussichten auf den großen Aktienreibach geschwunden sind, fassen sich viele an den Kopf und fragen sich, ob sie nicht viel zu naiv waren. Doch kaum jemand fühlt sich betrogen. Vera Sommer (der richtige Name liegt der Redaktion vor ) arbeitet seit fast zwei Jahren bei einem Berliner Internet-Startup und kennt die Branche gut. Loyalität und Solidarität mit der Firma bezeichnet sie als die vorherrschende Reaktion ihrer Kollegen, die Stock Options als Teil des Gehaltes akzeptiert und nun verloren haben. „Die Mitarbeiter wissen: Der Arbeitgeber hat die Optionen nicht mit dem Ziel ausgegeben, seine Beschäftigten hinters Licht zu führen.“

Die Gründer glaubten selber an den Erfolg und arbeiteten zum Teil unter viel größeren Entbehrungen als bisher. Sommer hat mitbekommen, dass die Kollegen Verständnis für diese schwierige Situation zeigen, und sagten sich: „Wir ziehen alle an einem Strang. Wenn es in den Keller geht, dann geh ich mit.“ Die Mitarbeiter konnten sich mit dem Slogen der New Economy: „Erwirb das Recht auf Anteile! Werde Mitunternehmer!“ bestens identifizieren.“ Solche Aussichten zerplatzen wie eine Seifenblase, wenn im Strudel der allgemeinen Talfahrt Unternehmen den Sprung an die Börse nicht mehr schaffen.

Nach den Erfahrungen der Berliner Startup-Managerin sind jedoch nicht die entwerteten Optionen der Grund, warum Mitarbeiter eine Firma verlassen. Die Überlegungen sehen in der Regel eher so aus: Man hat einen Traum und will etwas aufbauen nach dem Motto: So eine Chance kommt nur einmal im Leben. Geht der Traum nicht in Erfüllung, kann es auch mit der Motivation schnell vorbei sein. Bei Dieter Scheitor, bei der IG Metall zuständig für IT-Themen, klingelt seit Ende der Sommerpause 2000 in der Regel mindestens zweimal täglich das Telefon. Es sind Anfragen von Startup-Beschäftigten. Bis vor kurzem war „Gewerkschaft“ in der Branche ein Unwort. Jetzt suchen ehemalige Mitarbeiter unter anderem Rechtsbeistand im Streit um ausstehende Gehaltsforderungen. Bezüglich der Aktienoptionen, kontastiert Rolf Schmidt von der Technologie- und Medienabteilung (TIM) der geplanten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, sind ihm aber die Hände gebunden: „Nicht immer werden Vereinbarungen über Aktienoptionen schriftlich und rechtlich einwandfrei getroffen, sondern mitunter als mündliche Zusage oder in einem persönlichen Brief.“ In solchen Fällen werde der Nachteil einer Verwischung von privaten und dienstrechtlichen Beziehungen deutlich. Zunehmend wird auch in der Internet-Welt eine organisierte Mitarbeitervertretung zum Thema. Allerdings herrscht da noch große Unsicherheit, denn eigentlich, so die gängige Meinung der jungen Wilden, passen Gewerkschaften und Betriebsrat mit der New Economy nicht zusammen.

Als Alternativen werden dann Modelle wie die eines Tutors, eines Kommunikations-Managers oder eines externen Supervisors genannt. Bei einigen Unternehmen sind bereits institutionalisierte Gespräche zwischen Mitarbeitervertretern und Geschäftsführung in Form eines runden Tisches eingerichtet worden. Allerdings funktionieren die nur so lange gut, so ein Insider, wie keine Konflikte entstehen. Spätestens, wenn es um Entlassungen geht, ist die Harmonie vorbei, und die Mitarbeiter müssen feststellen, dass sie sich auf keine gesetzlichen Regelungen berufen können, wenn dann zum Beispiel ein Sozialplan erstellt werden müsste. Beschäftigte beschweren sich eher über die Unzulänglichkeiten der internen Kommunikation. Der neue Stil bringt eine neue Art von Konflikten hervor, auf die die Mitarbeiter nicht vorbereitet waren. „Unsere Firma musste nach einem halben Jahr das Geschäftsmodell komplett ändern, weil der Markt plötzlich nervös wurde“, so Sommer.

Durch den hohen Druck und die Schnelligkeit der Geschäfte wurden die Unternehmensstrukturen häufig überstrapaziert. „Das hätte auch in der Old Economy keiner ausgehalten“, glaubt die Berlinerin. Für eine vernünftige Personalführung bleibe da nicht mehr viel Platz übrig. Wenn die Mitarbeiter dann auch noch merken, dass sie permanent für den Papierkorb arbeiten, zum Beispiel eine große Datenbank voller kommentierter Links im Internet aufbauen, die dann nach mehreren Monaten Arbeit erst gar nicht in Betrieb geht, dann ändert sich der Blick auf den Arbeitgeber. Der Vorteil flacher Hierarchien für die Abwicklung des normalen Arbeitsalltags kehre sich in Krisenzeiten in sein Gegenteil um, wenn es an eindeutig zuständigen Ansprechpartnern fehle.

Bei Michael Rückert, dem Berliner Niederlassungsleiter der WWL Internet AG, einem bereits etablierten Unternehmen in der Multimedia-Industrie, bewarben sich in den letzten Monaten auffallend viele vormalige Mitarbeiter von Startups. Nach einem teilweise nicht unüblichen Arbeitspensum von vierzig Stunden an zwei Tagen sehnten sie sich nach den geordneten Strukturen eines Unternehmens, das es geschafft hat. Einen Lernprozess bei den Unternehmen der New Economy beobachtet Yousmile-Finanzchef Thomas Braun. „Es kommt immer seltener vor, dass Leute sich komplett für die Firma aufgeben. Wir haben uns vorgenommen, für das Jahr 2001 in normale Arbeitszeiten reinzuwachsen.“

Aktienoptionen, die das Geschenkeportal als zusätzlichen Bestandteil des Vergütungspaketes offeriert, haben für Yousmile auch weiterhin eine Bedeutung als Mittel der Mitarbeiterbindung. Das ersetze jedoch nicht die Personalgespräche und den Raum für Diskussionen. Christoph Isenbürger, Gründer des Expertenportals Meome, hält Transparenz für ein wesentliches Kriterium der unternehmensinternen Kommunikation. Er hat keine Probleme, Fehler zuzugeben. „Wir befanden uns zwischen Juni und September 2000 in einer internen Krise. Im Zuge der schlechten Stimmung am Neuen Markt war der geplante Gang an die Börse nicht mehr möglich. Die vergebenen Aktienoptionen zählten nicht mehr.“ Um dennoch die Firma und einen Großteil der Mitarbeiter zu halten, entschied Isenbürger sich für eine Partnerschaft. Seit dem 1. Oktober 2000 gehört Meome zu 75 Prozent zur Freenet-Gruppe. Nach einem neuen Optionsprogramm, das Funktion, Leistung und die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit berücksichtigt, konnten die Optionsverträge der Mitarbeiter in neue Abmachungen mit dem Internet-Dienstleister überführt werden.

Wenigen Unternehmen am Neuen Markt gelang es, sich in Schwierigkeiten so schnell zu konsolidieren und die Aktienoptionen, wenn auch zu veränderten Bedingungen, für die Mitarbeiter zu sichern. In manchen Firmen wie in der von Vera Sommer kam das Tief an der Börse der aufwändigen Entwicklung des Optionsprogrammes zuvor. Die Aussicht auf eine Notierung war somit geschwunden, und die Mitarbeiter hatten das Interesse an einem Beteiligungsprogramm verloren. Solche Nachrichten erreichen auch die Universitäten. Informatikabsolventen in Tübingen stellten dem Gewerkschafter Schmidt bei einem Vortrag verunsichert die Frage, ob es sich noch lohne, bei einem Startup anzuheuern. Der Technik- und Medienfachmann hielt sich mit einer konkreten Empfehlung zurück und meinte nur: „Ein Verlust an Pioniergeist wäre gerade bei der nachwachsenden Generation von IT-Spezialisten sehr bedauerlich.“ Patrick Scheel, Geschäftsführer der Fenner Interselect GmbH, sieht aus der Erfahrung seiner täglichen Personalberatungspraxis die Alternative zu den Optionsprogrammen in der Betonung der „soften Themen“. „Man kann mit Geld Menschen nur bedingt kaufen“, lautet sein Credo. Damit lasse sich einiges kompensieren.

Am Ende seien aber vernünftige Teamstrukturen und ein gutes Betriebsklima wichtiger als monetäre Anreize. Funny money, das Lehrgeld für den vermeintlichen Spaß bei der Arbeit, haben die Startups bezahlt. Mit dem Erwerb von Aktienoptionen gaben die Mitarbeiter ihrem Vertrauen in die Idee und den Business-Plan eines Unternehmens Ausdruck. Auch wenn dieser emotionale Wert sich fürs Erste mit den Stock Options nicht mehr verbindet, so ist die Idee davon nicht auf ewig zu verwerfen.