Deutsche Geldhaeuser und ihr nicht ganz freiwilliger Weg ins Internet

Mit Direct-Banking um die Konfetti-Generation buhlen

01.03.1996

Irgendwie koennte sich einem fast der Eindruck aufdraengen, dass die Verantwortlichen von Deutschlands zweitgroesstem Kreditinstitut in Sachen Online-Banking einiges missverstanden haben. Wer jedenfalls beim Surfen im Internet Interesse an einem Anlagekonto des erst vor einigen Monaten neu aufgelegten Deutschen Investment- Trust (DIT) bekommen hat, sieht sich gezwungen, zunaechst die gute alte gelbe Post zu bemuehen. Vom WWW-Server der Dresdner Bank Investmentgruppe ist ein Antragsformular abzurufen, auszudrucken und persoenlich zu unterzeichnen, welches dann als herkoemmliches Einschreiben den Weg nach Frankfurt finden muss. Nach der Bearbeitung geht das Ganze zurueck an den Absender - als Einschreibebrief mit Rueckschein, versteht sich. Erst dann, naemlich durch Autorisierung des Kontoinhabers per nochmaliger Unterschrift und Vorlage eines Ausweises, kann das beginnen, womit die Marketiers besagter Grossbank derzeit gerne Werbung machen: die individuelle und interaktive Fuehrung eines Wertpapier-Fonds im Internet.

Einschreibebrief im digitalen Zeitalter

Also letztlich doch Fehlanzeige bei dem, was Bankgeschaefte im Internet unter anderem so interessant machen soll? Insbesondere fuer eine Klientel, der man nachsagt, dass sie vor allem mit zwei Dingen nichts mehr am Hut hat: einem zeitaufwendigen und daher ueberfluessigen Administrationsaufwand sowie dem vielzitierten Medienbruch, der Verwendung von Papier im digitalen Zeitalter also? Nein. Noch muss man fuer das gemaechliche Tempo der Frankfurter Banker bei ihren ersten Internet-Gehversuchen Verstaendnis haben. Mangelnde Sicherheitstechnik sowie das ungeloeste juristische Problem der Autorisierung einer "elektronischen Unterschrift" lassen bis auf weiteres kein anderes Procedere zu.

Wer aber glaubt, die Fonds-Verkaeufer der Dresdner Bank waeren so etwas wie Pioniere beim Aufbrauch in den Cyberspace, sieht sich getaeuscht. Laengst, so scheint es, hat hier die auslaendische Konkurrenz ihre Claims abgesteckt, etwa die US-Banken Wells Fargo und Citicorp (deren deutsche Tochter Citibank Marktfuehrer im deutschen Telebanking-Markt ist) oder auch, man hoere und staune, der oesterreichische Bankenverbund PSV Austria. Sie alle bieten fuer Zehntausende ihrer Kunden das an, wovon die Bundesbuerger derzeit (angeblich) noch traeumen: nicht nur die Kontofuehrung, sondern die Abwicklung weitergehender Bankgeschaefte im Internet. Und all jene, die diesem Zukunftsmarkt das Wort reden, koennen sich bei ihrer Argumentation auf ein im deutschen Markt vorhandenes Potential stuetzen. Von mittlerweile fast drei Millionen Telefon-Banking- Kunden ist da die Rede, und von nahezu 1,4 Millionen Konten, die ueber Btx beziehungsweise T-Online bei deutschen Banken und Sparkassen gefuehrt werden.

Doch der Sprung vom, wenn man so will, rudimentaeren Ansatz des PC- Home-Bankings per Btx zu professionellen Bankgeschaeften im Internet ist weit. Zunaechst gilt dies fuer das Marketing und die strategische Neuausrichtung einer ganzen Branche - ein Problem, das man sich vergegenwaertigen muss, will man das ploetzliche Internet-Engagement deutscher Banken verstehen. Die Maxime Albert Einsteins "Denke nicht an die Zukunft, denn sie kommt frueh genug" waere hier jedenfalls nach Ansicht von Oskar Betsch, Professor fuer Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Darmstadt, fatal. Und Experten wie Betsch haben derzeit Hochkonjunktur - will heissen, die deutsche Finanzwirtschaft steht im Zeichen von Internet und Multimedia vor dem vielleicht tiefgreifendsten Strukturwandel ihrer Geschichte.

Es genuegt beileibe nicht, "alte Dienstleistungen und Bankprodukte auf die neuen elektronischen Vertriebswege zu packen", bringt Markus Walch, Verantwortlicher fuer das Internet-Business beim Branchenprimus Deutsche Bank, die Problematik auf den Punkt. Laengst sind es bekanntlich nicht nur auslaendische Banken, die auf den Markt des elektronischen Zahlungsverkehrs draengen, sondern im Branchenjargon Non- und Near-Banks heissende neue Anbieter, etwa Automobilhersteller mit Banklizenz, Kreditkartenunternehmen und natuerlich Softwarefirmen wie Microsoft und Intuit, die mit PC- Home-Banking-Programmen fuer Furore sorgen.

Eine vollstaendig neue Zielgruppen- und Produktdefinition ist also angesagt, ins Visier kommt die vielbeschworene Infoelite von morgen, zahlungskraeftig, mit dem Einsatz von Multimedia-Technik aufgewachsen, sowie gewohnt, unabhaengig zu denken, zu arbeiten und zu leben. Die Finanzdienstleister haben es daher bald mit einer "Konfetti-Generation" zu tun, heisst es hierzu in der Analyse des Betriebswirtschaftlers Betsch - eine neue Anspruchsgesellschaft ohne lebenslang gueltige Lebensstilkriterien. Was die neue Generation indes auf jeden Fall wuenscht, ist Insidern wie ihm laengst klar: eine deutlich hoehere Service- und Beratungsqualitaet. Dies aber im Zweifel ohne den herkoemmlichen Bankschalter, eher interaktiv, online und bei Bedarf durch den Austausch von E-Mails mit dem persoenlichen Berater.

Dieses Szenario vor Augen, begleitet von Schlagworten wie Direct- Banking und Virtuelle Bank, machen sich nun landauf, landab Internet-Beauftragte wie Walch an die Arbeit. Der Vorstand und die Marketing-Abteilung haben das "Unternehmen Internet" zur Chefsache erklaert, heisst es vielerorts hinter vorgehaltener Hand. Damit einher geht die Forderung nach einem entsprechend hohen Innova- tionstempo - ein Druck, der zunaechst an die hauseigenen DV- Spezialisten weitergegeben wird.

Deutsche-Bank-Manager Walch ist hier durchaus bereit, ein bisschen aus dem Naehkaestchen zu plaudern. Fuer ihn bedeutet die Einrichtung eines WWW-Servers zunaechst ein "Experiment nach innen und nach aussen". Neben dem Echo, das man innerhalb der Internet-Gemeinde ausloest (oder auch nicht), interessiert also zunaechst die Erfahrung im Zusammenhang mit der internen Ablauforganisation, wieviel beispielsweise an personellem wie technischem Aufwand fuer die Pflege der eigenen Homepage notwendig ist. Was dies aber im Detail bedeutet, behaelt Walch lieber fuer sich, im Gegensatz zu den Zugriffszahlen, die seit dem Start des WWW-Engagements vor rund fuenf Monaten zu verzeichnen sind. Monatlich rund 130000, heisst es hierzu bei der Deutschen Bank; abgefragt werden in erster Linie aktuelle Boersenkurse und Unternehmensnachrichten. Nicht mehr und nicht weniger laesst sich derzeit auf den Homepages anderer deutscher Grossbanken finden - Repraesentation und Information im Internet heisst die Devise; Electronic Banking demzufolge erst, wenn alle Sicherheitsprobleme geloest sind.

Ausnahme ist einzig und allein besagtes Angebot der Dresdner Bank Investmentgruppe, deren Internet-Projektleiter Andreas Sauer den eigenen Cyberspace-Auftritt mit einer angesichts des derzeitigen Internet-Fiebers nicht unbedingt ueblichen Mischung aus Skepsis und Pragmatismus betrachtet. Ob der Internet-Boom wirklich das haelt, was sich viele davon versprechen, bleibt seiner Ansicht nach noch abzuwarten. Fest steht fuer ihn und seine Mitarbeiter auf jeden Fall, dass im Fonds-Geschaeft auch in Zukunft das "persoenliche Beratergespraech dominieren wird". Online-Banking haelt der Dresdner-Bank-Spezialist daher allenfalls fuer eine Ergaenzung jetzt schon existierender Vertriebswege - ein Zusatzangebot allerdings, das man zielstrebig in Angriff nehmen muss, und zwar jetzt.

Die Art und Weise, wie man heute ueber das Internet kommunizieren kann, ist fuer Sauer im Prinzip naemlich "sicherer als das klassische Fax oder Telefon". Bleibt die Probe aufs Exempel. Was die Frankfurter Banker jedoch in Sachen Internet-Security tatsaechlich anzubieten haben, duerfte fuer die meisten anderen Experten lediglich einfache Hausmannskost darstellen. Die schon beschriebene umstaendliche Autorisierung des Kontoinhabers soll da beispielsweise dafuer sorgen, dass den "bankfachlichen" Belangen Genuege getan wird, ein Problem, von dem man weiss, dass es noch nicht einmal beim Verlust einer Eurocheque-Karte fuer den Kunden hinreichend geloest ist.

Ansonsten verhindert ein mehrstufiges Firewall-Konzept Schlimmeres - fuer den eigenen WWW-Server jedenfalls, waehrend sich die Kundschaft in den Niederungen des Telnet-Protokolls und Netscape Secure Servers inklusive SSL-Protokoll sicher fuehlen darf. Was uebrigens dem Echo bei der eigenen, wohlbetuchten Klientel keinen Abbruch getan hat. Rund eine halbe Million Zugriffe auf den neu eingerichteten DIT-Server und einen "nicht unerheblichen Anteil an Transaktionen" konnte Sauers Abteilung allein im vierten Quartal 1995 verbuchen. Sauers Maengelliste wird daher von einer eher internen Thematik angefuehrt. So vermisst er, wie viele andere Spezialisten auch, ein Datenbank-Tool, das als "Back-end" fuer die Verwaltung von Dateien auf dem jeweiligen WWW-Server verwendbar ist.

Probleme dieser Dimension hat Norbert Zander, Leiter DV und Organisation bei der Frankfurter Sparkasse, beileibe noch nicht. Obwohl die Organisation mit ihren rund 120 Geschaeftsstellen seinerzeit zu den bundesweit ersten Btx-Anbietern gehoerte, geht man das jetzige "Unternehmen Internet" eher bedaechtig an - in dem Bewusstsein, dass man diesen Schritt wagen muss, um sich nach den Worten Zanders "das Potential dieses Vertriebsweges zu erschliessen". Konkret bedeutet dies ein dreistufiges Konzept (Informationen, Bestellung einfacher Bankprodukte, Kontofuehrung und Spareinlagen), das etwa fuer Mitte 1997 das komplette Direct- Banking via Internet vorsieht. Voraussetzung ist fuer ihn allerdings die Loesung aller relevanten Sicherheitsfragen bei der Kundenautorisierung und Uebertragung von Transaktionen, wenn moeglich auf einem Niveau, das "zumindest dem von T-Online entspricht".

Was aber bedeutet letztendlich relevante Sicherheit? Nicht ueber das Internet reden, sondern agieren, wie es diverse US-Banken vorexerzieren? Die deutschen Banker warten auf die "hundertprozentige Garantie, die es nicht geben wird", meint hierzu Donatus Schmid, Leiter Produkt-Marketing bei Sun Microsystems. Nur, der Mann hat gut reden, kann man ihm doch zunaechst unterstellen, das es ihm vor allem um den Verkauf eigener Loesungen geht, in einem Marktsegment, in dem seine Company ohne Zweifel einen gewissen Namen hat. Ihm und seiner Zunft hat es unlaengst ohnehin kraeftig ins Kontor gehagelt, als bekannt wurde, dass ein US-Student den SSL-basierten Verschluesselungscode des Netscape-Browsers geknackt hat - die aufgrund des Kriegswaffengesetzes fuer den Export lediglich freigegebene 40- Byte-Version, wohlgemerkt.

DV-Leiter wie Norbert Zander setzen daher auf einen weltweiten Standard fuer Anbieter wie Konsumenten. Die von den Kreditkartengiganten Visa und Mastercard gemeinsam angekuendigte SET-Spezifikation (Secure Electronic Transactions) koennte seiner Meinung nach das Zeug dazu haben. Andere, die mit ihm im gleichen Boot sitzen, also auf Geheiss der Chefetage zum Internet-Erfolg geradezu verdammt sind, hoffen eher auf das vom Bundesverband Deutscher Banken favorisierte HBCI (Homebanking Computer Interface).

Aus alt mach neu, spotten hier jedoch bereits Insider, denen dieser Ansatz nicht weit genug geht, weil hier im Prinzip auf der Basis des aus Btx-Zeiten bekannten ZKA-Standards ein neues, proprietaeres und nur fuer nationale Bankgeschaefte geeignetes Interface kreiert wird. Mit Blick auf die Entscheidungsfreude und den Abstimmungsbedarf deutscher Banken haette man dann moeglicherweise das weltweit beste Sicherheitssystem vorzuweisen, die Bankgeschaefte im Internet wuerden bis dahin aber im Zweifel die anderen, naemlich die Visas, Microsofts und Intuits dieser Welt, gemacht haben, heisst es unter den Kritikern.

Zu ihnen gehoert auch Werner Klinder, Geschaeftsfuehrer des Genossenschaftlichen Rechenzentrums Kassel GmbH. Seine Mannschaft hat nicht weniger als 40000 Sparkassen-Fillialen mit rund 1,7 Millionen Kunden in Hessen und Thueringen zu betreuen. Was den Mann umtreibt, ist zunaechst die Verantwortung fuer mehr als 300000 Arbeitsplaetze, die quasi den elektronischen Bach hinuntergehen, sollte die klassische Geschaeftsstelle im kuenftigen Internet- Zeitalter keine Bestandsgarantie mehr haben. Neue Produkte fuer eine neue Generation sind also gefragt, aber das hatten wir ja schon.

Nicht aber Klinders etwas exotischen Katalog an Vorschlaegen. Die deutsche Banken- und Sparkassenwelt sollte in Kooperation mit der Telekom ihre Netze zu einem zumindest national kaum zu schlagenden Verbund zusammenfassen, meint er beispielsweise. Und man muesse Firmen wie Microsoft den Wind aus den Segeln nehmen, indem man deren im Markt laengst etablierte Finanzsoftware implementiere und eigenen Kunden fuer das PC-Banking anbiete - vereinnahmen statt ausgrenzen also. Bleibt als Hauptkriegsschauplatz der kuenftige elektronische Zahlungsverkehr im Zeichen von Digicash und Cybermoney. Sollten, wie Klinder mutmasst, die Banken ihre Waehrungshoheit "irgendwo im Internet verlieren", koennten sie sich mitsamt ihrer aufgeblaehten Administrationsstruktur verabschieden. Uebrig blieben dann fuer sie allenfalls aeltere Personen samt entsprechendem Vermoegen. Denn eines haben fuer den streitbaren RZ- Leiter die Internet-Propheten nicht so ohne weiteres bedacht: "Die einen moegen das Internet lieben, die anderen verfuegen ueber das notwendige Geld."

Internetadressen der Finanzdienstleistungsbranche Adig Investment: http://www.adig.de/

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Chicago Mercantile http://www.cme.com/

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Deutsche Bank: http://www.deutsche-bank.de/

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Dresdner Bank http://www.dit.de/

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HYPO Bank: http://www.hypo.de/

JP Morgan Bank: http://www.jpmorgan.com/

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Wells Fargo: http://www.wellsfargo.com/

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Quelle: Aquila Consult/CW