Mit Dienst nach Vorschrift ist kein Kunde zu gewinnen

01.12.1995

Udo Schneiderath Unternehmensberater, Bad Aibling

Immer mehr Unternehmen bemerken, dass Geld nicht im eigenen Haus gedruckt wird. Der Kunde fordert naemlich die zentrale Bedeutung, die ihm zusteht. Er ist muendig geworden und erwartet Mehrwert fuer sein Geld. Laut "Sueddeutscher Zeitung" vom 16. August 1995 leben wir im Zentrum der gewaltigen Luege, dass wir es mit einer expandierenden Dienstleistungsgesellschaft zu tun haben. Diese will zwar Leistungen bereitstellen, der Leistungsempfaenger ist aber allenfalls nebuloese, konturlose Masse. Die vorherrschende funktionale Gliederung in den Unternehmen sorgt dafuer, dass diese ueberaus kritische Situation haeufig nicht wahrgenommen wird. Der gesunde Menschenverstand indes findet ein Ventil durch Flucht in die Realsatire. Mit Spruechen wie

"Der Kunde steht im Mittelpunkt und deshalb im Wege" oder "Achtung, aufpassen, der Kunde droht mit Auftrag" schafften es die Mitarbeiter, die "Philosophie" einer nach Funktionen und nicht nach Kunden strukturierten Buerolandschaft zu zementieren.

Inzwischen haben wir uns darin soweit perfektioniert, dass dieser absurde Zustand deutlich wird, beispielsweise dann, wenn - aus welchem Grund auch immer - damit gedroht wird, "Dienst nach Vorschrift" zu machen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Mittlerweile haben wir offenbar ein Regelwerk erstellt, das bei ordnungsgemaesser Anwendung direkt ins Chaos fuehrt: schriftliche Unterstuetzung der Chaostheorie im Buerobereich. Die Regeln dienen nicht dem Kunden und damit dem eigentlichen Unternehmenszweck, sondern koennen durch Interessengruppen gegen das Unternehmen gerichtet werden. Der Marsch durch die Institutionen ist beendet. Wir 68er haben gesiegt - oder?

Nein, denn immer dann, wenn der Leidensdruck ein bestimmtes Ausmass uebersteigt, scheint eine Gesetzmaessigkeit dafuer zu sorgen, dass die Mehrzahl der Menschen und damit in unserem Fall der Unternehmen umdenkt. Wir fangen an, uns am eigenen Schopf aus den alten Strukturen herauszuziehen. Der Kunde wird neu entdeckt. Wir beginnen in den Unternehmen, Wertschoepfung aus der Sicht der Abnehmer zu begreifen. Kundennaehe wird zu einem zentralen Organisationsthema. Der Kunde erhaelt wieder den Stellenwert, der ihm zusteht.

Haeufig reicht es ja schon aus, sich zu fragen: "Wie moechte eigentlich ich als Kunde behandelt werden?" Die Antwort ist einfach. Sie koennte heissen: "Was du nicht willst, das man dir tu, das fueg auch keinem andern zu!", also der kategorische Imperativ fuer die Ausrichtung auf den Kunden. Aber wer ist eigentlich Kunde? Die Antwort koennte lauten: "Kunde ist jeder, der Leistung bezieht." Der Kunde ist also die Mitte des Unternehmens.

Nur durch flexible Geschaeftsprozesse kann Kundenforderungen optimal entsprochen werden. Alle Bereiche des Unternehmens sind dazu verpflichtet, nicht das Beste, sondern das, was der Kundenforderung entspricht, als Leistung anzubieten. Von der Idee bis zur Entsorgung eines Produktes sollen Kundenwuensche beruecksichtigt werden. Langfristig garantieren nur diese eng geknuepften Beziehungen die Bereitstellung der "richtigen" Produkte, Loesungen und Leistungen. Niemand kann am Markt vorbei dauerhaft Gewinne erzielen.

Kundenorientierung ist planbar. Jeder Mitarbeiter muss entsprechend seinen intellektuellen Moeglichkeiten, seinem sozialen Status und der Position im Unternehmen bei der Gestaltung des kundenorientierten Unternehmens einbezogen werden. Die Verbesserungspotentiale stecken verborgen in der Kritik. Warum fragen wir nicht: "Wie haetten Sie es gemacht?" Ja, warum gibt es kein Kunden-Vorschlagswesen? Die Definitionsphase eines neuen Produkts kann ebenfalls von Kunden begleitet werden.

Der Erfolg jedes Unternehmens wird in Zukunft davon abhaengen, ob die Mitarbeiter die Herausforderung und auch die Chancen begreifen, die in der Ausrichtung auf den Kunden liegen. Wer nicht mitspielt, handelt wie ein Fussballer, der bei jedem Spiel immer nur Eigentore schiesst. Der Trainer wird zum Wohle aller die Aufstellung aendern.

Mitarbeiter und Management werden sich den neuen Gegebenheiten durch Verhaltensaenderungen anpassen muessen. Derart gewandelte Rahmenbedingungen schaffen dann die Grundlagen zur Neuorientierung. Zu einem wesentlichen Faktor wird das Informations- und Kommunikationsverhalten. Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens muessen sich hieran messen lassen. Dem Management muss klarwerden, dass nicht Geheimniskraemerei den Erfolg ausmacht, sondern zugaengliche Informationen fuer alle Mitarbeiter. Der Leitsatz koennte lauten: Gib Deinem Mitarbeiter alle zur Verfuegung stehenden Informationen, und sie uebernehmen Verantwortung.

Das alles wird nicht von heute auf morgen zu realisieren sein. Der Weg ist das Ziel. Wichtig ist, den ersten Schritt zu machen.