Auf dem Weg zur Dezentralisierung:

Mikrocomputer werden zunehmend "verplant"

03.05.1985

Von Hella Siegmann, Mitarbeiterin der Informatik Forschungsgruppe VIII der Universität Erlangen-Nürnberg.

Einen Ansatz zur Auswahl von Planungssprachen für Mikrocomputer stellt folgende Untersuchung dar. Sie wurde von der Forschungsgruppe VIII Informatik der Nürnberger Universität unter der Leitung von Professor Dr. Peter Mertens ausgearbeitet.

Der vorliegende Bericht ist die Fortsetzung einer Untersuchung von Planungssprachen für Großrechner (siehe COMPUTERWOCHE 39/83, S. 10 und CW 40/83, S. 14). Er wurde Mitte 1984 fertiggestellt und vergleicht und analysiert zehn kleinrechnerorientierte Planungssprachen. Die Forschungsgruppe untersuchte folgende Systeme:

- VisiCalc und VisiCalc Advanced von Software Arts,

- SuperCalc und SuperCalc 2 von Sorcim,

- Multiplan von Microsoft,

- Lotus 1-2-3 von Lotus Developement,

- Open Access von Software Products International,

- Mercur von Mercur Planeringssprak,

- Micro FCS von EPS Entscheidungs- und Planungssoftwaresysteme,

- IFPS/Personal von Execucom.

Tabellenkalkulationprogramme, auch Spreadsheets genannt, bilden einen Ausgangspunkt bei Typologiestudien von Planungssoftware für Kleinrechner. Diese Kategorie läßt sich in isolierte Tabellenkalkulationsprogramme und integrierte Systeme, die elektronische Arbeitsblätter sowie andere Anwendungen enthalten, unterteilen. Sie können auch die im Umfeld der Planungsprobleme liegenden Aufgaben lösen. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Anwendungen um Grafik, Textbearbeitung, Kommunikation mit anderen Rechnern und Datenverarbeitung in unterschiedlichem Umfang.

Die Leistungen eines integrierten Systems die außerhalb der Tabellenkalkulation liegen, werden jedoch nur insoweit in Betracht gezogen, als sie das Lösen von Planungsproblemen unterstützen. Durch den größeren Komfort der Datenverwaltungs- und Kommunikationsmodule kann der Planer mit geringerem Aufwand Daten portieren, als das bei isolierten Tabellenkalkulationsprogrammen der Fall ist. Grafik und Textbearbeitung dienen zur Aufbereitung der Planungsergebnisse.

Den anderen Ausgangspunkt bilden dateiorientierte Systeme. Für viele von ihnen existieren bereits Großrechnerversionen. Der signifikanteste Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht darin, daß die dateiorientierten Systeme eine Trennung zwischen Modellogik und zu verarbeitenden Daten vorsehen. Die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Kleinrechner und die Nutzung der Tabellenkalkulationsprogramme für die Unternehmensplanung führten dazu, daß Kleinrechnerversionen der Großrechnerplanungssprachen verfügbar wurden. Programme dieses Typs wurden insbesondere für die Lösung von Problemen der Finanz- und Absatzplanung konzipiert, deshalb weisen sie eine leistungsfähigere Befehlsstruktur auf und erleichtern die Datenverwaltung.

Koordinierte Anwendungen in integrierter Software

Tabellenkalkulationsprogramme gibt es in vielen Versionen. Spreadsheets der einfacheren Ausführung wie VisiCalc oder SuperCalc verfügen über einen kleinen Vorrat eingebauter Funktionen und einige wenige Formatierungs- sowie Editiermöglichkeiten. Bei der Erstellung des Modells können nur einzelne Zellen des Arbeitsblattes, nicht aber ganze Spalten oder Zeilen durch Befehle miteinander verknüpft werden. Jedes Modell besteht unabhängig von den anderen, eine Verknüpfung zwischen ihnen oder die Bildung einen Hierarchie ist nicht möglich. Das Format der auf dem Drucker ausgebbaren Tabelle entspricht weitgehend dem der Bildschirmanzeige.

Tabellenkalkulationsprogramme mit erweitertem Leistungsumfang bieten einen umfangreichen Vorrat an eingebauten Funktionen, leichteres Editieren des Modells, eine größere Auswahl an Formaten für das Arbeitsblatt und Möglichkeiten, einfache Beziehungen zwischen mehreren Tabellen herzustellen oder diese zu überlagern.

Dieser Kategorie sind die Systeme VisiCalc Advanced, SuperCalc 2 und Multiplan zuzuordnen.

Darüber hinaus können Spreadsheets auch Bestandteil integrierter Systeme sein.

Integrierte Software faßt mindestens zwei der Anwendungen Tabellenkalkulation, Textbearbeitung, Dateiverwaltung, Grafik und Kommunikation mit anderen Computern zu einer Gruppe zusammen. Die Anwendungen sind koordiniert, das heißt,

- der Benutzer muß nicht auf die Ebene des Betriebssystems zurück, um zwischen den Anwendungen zu wechseln;

- der Datenaustausch innerhalb des Systems wird unterstützt;

- das System verfügt über eine einheitliche Benutzeroberfläche, von der aus die Anwendungen angesteuert werden können.

Die integrierte Software sollte leichter zu erlernen sein als die Summe der einzelnen Softwareprodukte. Das Bestehen von Schnittstellen zum Datentransfer zwischen den Anwendungen ermöglicht oftmals effizienteres Arbeiten. Die Qualität der integrierten Pakete wird durch den Grad der Datenintegration und die Beschaffenheit der Benutzeroberfläche bestimmt.

Im wesentlichen sind zwei Stufen der Datenintegration zu unterscheiden: Der Informationstransfer kann entweder mit oder ohne Anlegen von Zwischendateien stattfinden.

Im ersten Fall muß der Benutzer das System veranlassen, Zwischendateien anzulegen, um Daten von einer Anwendung in eine andere, zum Beispiel von dem Tabellenkalkulationsmodul in das Grafikmodul, übernehmen zu können. Dies ist notwendig, da das Softwarepaket über keine gemeinsame Datenbasis mit einheitlichem Format verfügt. Daraus folgt, daß paralleles Arbeiten an einem Problem in verschiedenen Anwendungen nicht möglich ist, selbst wenn diese Anwendungen auf dem Bildschirm zu sehen sind. Software dieser Kategorie, der Open Access zuzuordnen ist, besteht aus Moduln für verschiedene Anwendungsbereiche und einem Verwaltungsprogramm, das diese zu einem Paket zusammenfaßt. Das Verwaltungsprogramm, ein sogenannter Clustermanager, bietet eine Benutzeroberfläche, von der aus die Module angesteuert werden. Die Befehle und Methoden der untergeordneten Software können sehr unterschiedlich sein. Das Verwaltungsprogramm steuert die Fensterfunktionen. Es besitzt keine Informationen über die Dateiformate der angegliederten Anwendungen. Jeder Software-Baustein legt Dateien mit eigenen Formaten an. Um Daten von einem Modul, etwa einer Zukunftsbilanz aus der Tabellenkalkulation, in ein anderes, zum Beispiel der Grafik zur Darstellung der Veränderungen der Bilanzstruktur, zu übertragen, erstellt der Benutzer eine Modul-externe Datei, die in den anderen Software-Baustein portierbar ist.

Gemeinsame Datenbasis

Bei dem Informationstransfer ohne Zwischendateien liegt dem Softwarepaket eine gemeinsame Datenbasis mit einheitlichem Format zugrunde. Die Datenverwaltung steuert den Datentransfer. Es besteht ein beliebiger und direkter Zugriff auf Informationen durch die der Gruppe zugehörigen Anwendungen. Damit ist vollständige Softwareintegration verwirklicht. Dies ist auch eine Voraussetzung für paralleles Arbeiten in mehreren Fenstern. Von den analysierten integrierten Softwareprodukten besitzt nur das Mehrfunktionssystem Lotus 1-2-3 eine allen Anwendungen gemeinsame Datenbasis. Kennzeichen der Mehrfunktionssysteme ist die Einbettung mehrerer (Teil-)Problemlösungen in eine Grundanwendung. Beispielsweise können mit einem multifunktionalen Tabellenkalkulationsprogramm Grafiken erstellt, Datenverwaltungsaufgaben in geringem Umfang gelöst oder kurze Berichte geschrieben werden.

Die Konzentration auf die Grundanwendung ist gleichzeitig Vor- und Nachteil dieses Softwaretyps. Einerseits löst der Anwender die verschiedenen Aufgaben mit der gleichen Befehlsstruktur und ähnlichen Methoden wie in der zugrundeliegenden Anwendung. Dadurch läßt sich das System sehr leicht erlernen. Das Problem Zwischendateien erstellen zu müssen, taucht nicht auf, da in jeder Funktion die gleichen Dateiformate verwendet werden. Andererseits werden die Zusatzproblemlösungen den Anforderungen, die an eine Einzelproblemlösung gestellt werden, nicht gerecht; die Konzentration auf die Anwendung Tabellenkalkulation geschieht auf Kosten der anderen. So liegt bei Lotus 1-2-3 die Leistungsfähigkeit des Testbearbeitungsmoduls erheblich unter der von spezieller beziehungsweise unabhängiger Textbearbeitungssoftware.

Aufwendige Schulung

Untersuchte man nun die dateiorientierten Planungssprachen, so zeigt sich als signifikantester Unterschied zu den Tabellenkalkulationsprogrammen die Möglichkeit, Modell-Logik, Report und zu verarbeitende Daten als getrennte Einheiten aufzubereiten und zu speichern. Der Planer kann ohne vorherige Definition Bezeichnungen aus der Fachterminologie der Unternehmensplanung zum Aufbau von Beziehungen verwenden. Der Vorrat an eingebauten Funktionen und die Datenmanipulationsmöglichkeiten steigern zwar die Effizienz bei der Abbildung einer komplexen Problemstruktur, die Handhabung des Systems erfordert jedoch im Vergleich zu den Tabellenkalkulationsprogrammen aufwendigere Schulungmaßnahmen.

Systeme dieses Typs sind zeilenorientiert. Der Planer bildet Struktur des Planungsproblems ähnlich wie bei der Erstellung eines Programms in Zeilen ab. Während der Anwender von Tabellenkalkulationsprogrammen Zellen miteinander verknüpft, stellt er hier im Notfall Beziehungen zwischen Zeilen her.

Derzeit existieren nur wenige Systeme dieses Typs für Mikrocomputer (beispielsweise Mercur, Micro FCS und IFPS/Personal). Von allen anschließend behandelten Planungssprachen existieren Versionen für den Betrieb auf einem Großrechner. Sie wurden auch in dem vorausgegangenen Bericht von Schneider, Schwab und Renninger vorgestellt (siehe COMPUTERWOCHE Nr. 40/83, S. 14). Die Hersteller sehen Kompatibilität mit der Großrechnenerversion vor. Daraus ergeben sich im wesentlichen bei Nutzungsformen, sofern die Hardwarevoraussetzungen erfüllt sind. Zum einen gestattet die Kompatibilität dem Planer, zum Beispiel Finanzplanungsmodelle auf dem Mikrocomputer zu erstellen, um diese dann auf dem Großrechner unter Verwendung der systemeigenen Datenbasis, beispielsweise den aus der Buchhaltung abgeleiteten Finanzdaten, zu lösen. Zum anderen besteht die Möglichkeit, Daten aus der bereits vorhandenen Datenbasis der Großrechenversion in die Speicher des Mikrocomputers zu übertragen und umgekehrt.

Der Benutzer kann mit den behandelten Systemen weder Texte bearbeiten noch isoliert Datenverewaltung betreiben, wie das die integrierten Systeme in unterschiedlichem Umfang ermöglichen. Schnittstellen zu Grafikmodulen sind meistens vorhanden.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß bei den dateiorientierten Systemen im wesentlichen eine stärkere Problemorientierung vorliegt. Bei den isolierten Tabellenkalkulationsprogrammen sowie den integrierten Systemen ist jedoch eine größere Benutzerfreundlichkeit zu verzeichnen. Die integrierten Systeme bieten zusätzliche Einsatzmöglichkeiten, die außerhalb von Planungsaufgaben liegen.

Bei allen analysierten Systemen handelt es sich um "Insellösungen". Innerhalb der Systeme sind keine Schnittstellen zu Datenbanken oder betriebswirtschaftlichen Anwendungen, etwa zur Finanzbuchhaltung, vorhanden. Daraus folgt, daß auszuwertende Daten, soweit sie nicht aus Anfangswerten generierbar sind, manuell eingegeben oder Brückenprogramme eingesetzt werden müssen, die der Übersetzung von Dateien dienen. Die meisten Großrechnersysteme hingegen besitzen Schnittstellen sowohl zu Datenbanken als auch zu Programmiersprachen.

Die mit der Dateiorientierung von Großrechnerplanungssprachen und ihren PC-Versionen einhergehende Trennung von Modell-Logik und auszuwertenden Daten erweist sich als vorteilhaft, wenn in der Unternehmensplanung routinemäßig immer die gleichen Modelle mit anderen Daten abgearbeitet oder bestimmte Daten regelmäßig geändert werden müssen.

Besonders bei Mercur ist die Datenhandhabung sehr einfach. Dort kann auf jedes Element des gesamten Datenbestandes von allen Modellen einzeln zugegriffen werden. Im Hinblick auf die analysierten integrierten Systeme sind die Datenverwaltungsmodule nicht kompatibel. Der Datentransfer muß über Zwischendateien erfolgen. In vielen Fällen hat der Planer die übertragenen Daten noch anzupassen, bevor er sie in der Tabellenkalkulation verwenden kann. Lotus 1-2-3 stellt zwar eine Ausnahme dar, doch sind seine Einsatzmöglichkeiten für die Datenverwaltung begrenzt, nicht zuletzt, weil Lotus immer nur eine Datei, also ein Arbeitsblatt, im Hauptspeicher halten kann. Verkettungen zu anderen Blättern sind nicht möglich, wohl aber die Überlagerung von Arbeitsstätten.

Ausgehend vom Funktionsvorrat eignen sich Tabellenkalkulationsprogramme hauptsächlich für den Einsatz in der Kosten- und Budgetplanung. Das Problem dabei ist jedoch, daß in diesen Funktionalbereichen große Datenmengen verarbeitet werden müssen. Als Beispiel wären hier die Konsolidierung der Einzelbudgets aller Abteilungen eines Unternehmens oder die Kostenplanung und -kontrolle für eine große Zahl von Kostenstellen zu nennen. In diesem Aufgabenbereich erscheint Mercur als das leistungsfähigste System unter den verglichenen.

Im Hinblick auf die Benutzerorganisation bieten die Tabellenkalkulationsprogramme folgende Vorteile:

- Tabellenkalkulationsprogramme sind einfacher zu erlernen, da die Einarbeitung üblicherweise autodidaktisch erfolgen kann.

- Help-Funktionen und Benutzerführung sind ebenfalls in den meisten Fällen besser ausgebaut als bei den dateiorientierten Systemen.

- Die Modellbildung wird durch Full-Screcn-Editing unterstützt.

Vereinfacht läßt sich sagen, daß die Tabellenkalkulationsprogramme gegenüber den dateiorientierten Systemen im Vorteil sind, wenn es sich nicht um ein sehr komplexes Planungsproblem handelt.

Einbindung in die Organisationsstruktur

Die Konzeption der Tabellenkalkulationsprogramme sieht eine von den DV-Abteilungen weitgehend autonome Nutzung vor. Mit Hilfe von unabhängigen Brückenprogrammen wird jedoch immer stärker versucht, Wege für den Datentransfer zwischen zentralen DV-Anlagen und den dezentralen Mikrocomputern zu schaffen.

Dagegen lassen sich die miteinander kompatiblen Planungsinstrumente für Groß- und Kleinrechner besser mit dem Information-Center-Konzept vereinbaren, als das bei Tabellenkalkulationsprogrammen der Fall ist. Dieser Ansatz unterstützt einerseits die Dezentralisierungstendenzen innerhalb der Unternehmensorganisation, andererseits wird die Durchsetzung einer unternehmensweiten einheitlichen Steuerung der Mikrocomputernutzung vereinfacht. Aus dem Konzept ergeben sich neben Möglichkeiten zur Kontrolle des sogenannten Mikro-Wildwuchs(...) Vorteile hinsichtlich der Datensicherheit und -redundanz, die auf eine zentrale Datenhaltung zurückzuführen sind.