Application on Demand/Kompetenzen der ASP-Branche

Miet-Software entbindet Anwender nicht vom Prozess-Know-how

03.11.2000
Während Marktanalysten der ASP-Branche kräftige Zuwächse prognostizieren, herrscht in den Unternehmen oft Unwissen und Unsicherheit hinsichtlich der Tragfähigkeit des neuen Mietmodells für Software. Denn vielen ASPs fehlt noch die Kompetenz zur Anwendungsanpassung und Integration in vorhandene und neue Geschäftsprozesse. Über die Qualität des derzeitigen Angebots hat sich Manfred Schumacher* mit Uwe Sellmer, ASP-Consultant und Geschäftsführer der Sellmer Consulting, Siegburg, unterhalten.

CW: Stimmt es, dass ASPs vor der Applikationsanpassung und Integration die Segel streichen müssen und bislang nur Standardsoftware von der Stange vermieten können?

SELLMER: Pauschal stimmt das gewiss nicht, in der Tendenz allerdings schon. Je komplexer eine Anwendung wird und je stärker sie in die operativen Geschäftsprozesse integriert ist, um so mehr ist auch das Know-how dieser Prozesse beim ASP erforderlich. Wenn Sie als ASP eine Standardsoftware wie R/3 anbieten, muss die entsprechende Fachkompetenz in den Einsatzbereichen vorhanden sein.

CW: Wo müssen denn ASPs heute noch passen?

SELLMER: Die ASPs wissen natürlich, welche Anwendungstypen sie Know-how-mäßig abdecken können und welche nicht. Nicht von ungefähr sind es gerade standardisierte Anwendungen für Buchhaltung, Personal und E-Procurement, die sie ins Angebot nehmen. Noch einfacher bereitzustellen dürften Anwendungen wie Office-Suiten sein. Anders sieht das bei Applikationen aus, die stark in die primären Wertschöpfungsketten eingebunden sind. Es besteht zwar die Möglichkeit, einen Online-Shop anzumieten. Die Erfahrungen der letzten Zeit gerade auch aus den USA haben aber gezeigt, dass ohne kompetente Integration in die betriebswirtschaftlichen und logistischen Basissysteme hier sehr schnell ein riesiges Chaos entstehen kann.

CW: Wo würden Sie die Grenzlinie dessen ziehen, was ein ASP sinnvoll bereitstellen kann?

SELLMER: Ich sehe hier zwei wesentliche Kategorien von Anbietern. Erstens die reinen System-Provider, die eine breite Palette von Anwendungen systemtechnisch betreiben. Zweitens gibt es Spezialanbieter, die bestimmte Anwendungen einschließlich der erforderlichen Beratung und Betreuung anbieten. Die Vorteile, den Systembetrieb auszulagern, liegen auf der Hand. Besonders wenn neue Anwendungen hinzukommen oder die vorhandenen Plattformen veraltet sind, benötigt der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur Zeit, die bei der Anmietung schlicht entfällt. Auch der Aufwand für die Aktualisierung der Software bleibt dem Anwender erspart, ebenso die Systemadministration sowie Backup-Dienste und Maßnahmen zur Datensicherheit im täglichen Betrieb. Aus Sicht einer Time-to-Market-Betrachtung für neue Anwendungen verspricht das also auf jeden Fall ein Vorteil. Auf der anderen Seite muss der Nutzer hier natürlich die Integration in seine eigenen Abläufe und Anwendungen allein bewältigen können.

Die Spezialanbieter können hier mehr Unterstützung bei der Integration der Applikation in den speziellen Geschäftsprozess bieten. Der Anwender muss dann gegebenenfalls mit mehreren ASPs zusammenarbeiten und deren Leistungen koordinieren.

Für den Benutzer bedeutet dies, dass er seinen Entschluss nicht als funktionale Einzelentscheidung für eine Anwendung treffen, sondern die IT-Bedarfslage seines Unternehmens in einer strategischen Roadmap darstellen sollte, anhand derer dann die Positionierung einzelner Systeme über einen längeren Zeitraum hinweg deutlich wird.

CW: Wie wird die ASP-Branche die noch vorhandenen Angebotslücken schließen?

SELLMER: Ein Teil wird sicher als Lernkurve in der Kunden-Lieferanten-Beziehung erfolgen. Wir haben hier zum Beispiel eine Partnerlösung entwickelt, in der wir gemeinsam mit der Ratiodata GmbH eine auf R/3 basierende ASP-Lösung für das Service-Management anbieten. In diesem Modell bringen wir den Consulting-Part, sprich die Geschäftsprozessgestaltung, Konzeption und Integration, ein, und der Partner sorgt für den sicheren Aufbau und Betrieb der Anwendung.

CW: Eingangs sagten Sie, dass ein ASP auch für Standardsoftware wie R/3, die sich eigentlich für die Bereitstellung per ASP anbietet, eine entsprechende Kompetenz benötigt. Können Sie das näher ausführen?

SELLMER: Die Geschwindigkeit, mit der sich heute die Geschäftsprozesse in den Unternehmen verändern und an die Bedürfnisse der Kunden angepasst werden müssen, erfordert eine kontinuierliche Weiterentwicklung in der Systemnutzung. Vieles davon wird durch so genanntes Customizing im System eingestellt. Dem ASP, der sein Geschäft ja wesentlich auf Economies-of-Scale-Faktoren aufbaut, fehlt in der Regel die Detail- und Branchenkenntnis der Prozesse seines Kunden, um diese Aufgabe wahrzunehmen. Das gilt besonders für Produktions- und Logistikbereiche sowie für manche Vertriebsabwicklungen der CRM-Systeme.

CW: Das heißt, das ASP-Geschäftsmodell ist ab einer gewissen Angebotsbreite und -tiefe immer ein Kooperationsmodell.

SELLMER: Bei den komplexen Abläufen, die von einer Unternehmenssoftware abgewickelt werden, gibt es keine reine Make-or-Buy- oder bei ASP besser Make-or-Rent-Entscheidung. Wir behandeln diese Frage in unseren IT-Konzepten seit mehr als zehn Jahren regelmäßig mit durchaus unterschiedlichen, am Einzelfall orientierten Ergebnissen. Dabei hat sich in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Zusammenwirken mehrerer Beteiligter als bester Weg ergeben, unabhängig davon, wer die Generalunternehmerschaft dabei übernimmt - der Auftraggeber selbst oder einer der beteiligten Anbieter.

CW: Braucht der Kunde einen Sicherheitsmechanismus gegen seine tendenziell immer stärker schwindende Kompetenz?

SELLMER: Ich glaube nicht, dass hier wirklich das Problem liegt. Die Frage nach den Eigentumsverhältnissen bei einer Software beantwortet nicht gleichzeitig die Frage nach der Beherrschung im Systembetrieb. Viele mittelständische Unternehmen sehen sich doch heute damit konfrontiert, dass sie die IT-Experten, die sie benötigen, um ihre traditionellen Systeme auf moderne Technologien umzustellen, auf dem Arbeitsmarkt nicht zu erschwinglichen Konditionen finden. Der Zeitdruck, mit dem neue Anwendungen wie E-Commerce, CRM oder Supply-Chain-Management benötigt werden, lässt es nicht zu, dass die technische Kompetenz hierfür erst aufgebaut wird. Um einen Kunden in Asien oder im Nachbarort anrufen zu können, muss ich ja auch nicht die Technik digitaler Vermittlungsstellen beherrschen. Die Konsequenz daraus ist: Ein Zukaufen auch von so genannten Mission-Critical-Applikationen ist aus unternehmerischer Sicht nicht zu vermeiden.

Die Kompetenz, die sich ein Unternehmen dabei erhalten muss, liegt vielmehr in der Fähigkeit, die Unternehmensanforderungen in einer durchgängigen IT-Landschaft abbilden und einzelne Lösungen nach ihrem Beitrag zur Erreichung dieses Ziels beurteilen zu können. Dies ist allerdings kein ausschließlich technisches Thema. Neben der konzeptionellen Frage nach der Umsetzung der Geschäftsprozess-Anforderungen durch eine ASP-Lösung sind hier auch klare vertragliche Regelungen erforderlich, welche die angestrebten Ergebnisse aus Sicht des Unternehmens garantieren.

CW: Welchen Kostenvorteil hat der Kunde beim Einsatz von ASP-Angeboten ?

SELLMER: Eine realistische betriebswirtschaftliche Bewertung erfordert zunächst Ehrlichkeit vor sich selbst. Verglichen mit den in der IT-Abteilung auftretenden Kosten können ASP-Lösungen optisch teurer aussehen als der Eigenbetrieb. Bezieht man aber den gesamten Bereich der verdeckten IT-Kosten mit ein, werden sehr schnell Vorteile sichtbar.

Einen besonderen Vorteil haben bei diesem Modell gerade kleine und mittlere Unternehmen. Die nahezu lineare Anpassung der ASP-Kosten an den eigenen Geschäftsumfang wird für sie zu einem besonders starken Wettbewerbsfaktor.

*Dr. Manfred Schumacher ist freier Journalist in Mainz.