Menschengerechte Bildschirm-Software erst in Ansätzen entwickelt:Höhere Sprachen nicht dialogfreundlich

15.01.1982

Über Bildschirm-Arbeitsplätze gibt es zwei Ansichten in der Öffentlichkeit: Eine ist geprägt durch fröhlich lächelnde Mädchen. denen die Mattscheibe größten Spaß zu bereiten scheint, die andere von kritischen Arbeitnehmern, die im Bildschirmterminal die Ursache von Augenschäden, Haltungsfehlern und Entfremdung sehen. Liegt die Wahrheit nicht irgendwo in der Mitte? Ist der Bildschirm nicht ein Werkzeug wie andere auch, die nur richtig ausgestaltet und benutzt werden muß? Wie aber lassen sich Bildschirme menschenfreundlicher machen?

Wie jedes Ding aus der EDV besteht der Bildschirm aus Hard- und Software. Über seine Hardware-Ergonomie ist schon viel geschrieben worden. Man kann nur hoffen, daß gewisse Hardware-Hersteller hieraus die Konsequenzen ziehen und fest montierte Tastaturen, unbewegliche Bildschirme sowie flimmernde und reflektierende Mattscheiben endlich aussterben lassen.

Die Software-Ergonomie des Bildschirms befaßt sich mit allen Fragen, die die Anpassung eines dialogfähigen Programmsystems an die kognitiven und intellektuellen Eigenschaften des Menschen betreffen.

Zu entwickeln sind also Methoden, die Dialog-Software in Übereinstimmung mit den Gewohnheiten, Erkennungsmustern und Reaktionen des Menschen bringen.

Wichtigste Voraussetzung, Software ergonomisch zu gestalten, ist die Beherrschung der Software. Aber gerade daran mangelt es noch oft. So schätzen sich viele heute bereits glücklich, wenn ein Programm die Kommunikation Mensch - Maschine prinzipiell ermöglicht - nicht mehr.

Menschengerechte Software setzt aber voraus, daß der Rechner bis zur Unkenntlichkeit seiner eigenen Struktur an die Denkstrukturen des Menschen angepaßt wird. Ihm, dem dies keineswegs inhärent ist, muß assoziatives Denken verordnet werden.

Software-Ergonomie muß geplant sein

Anfangs wurde vom Menschen an dialogorientierten Bildschirm-Arbeitsplätzen die größte Anpassungsfähigkeit verlangt. Verstand man doch unter Dialog schon eine Form der Kommunikation, bei der der Mensch alle Intelligenz zusammennehmen und ihm völlig fremde Methoden anwenden mußte, während sich der Rechner bequemte, die mundgerecht servierten Bits wohldosiert in Empfang zu nehmen. Seit geraumer Zeit hat man begriffen, daß es sich bei der Entwicklung von Software, auch Bildschirm-Software, um eine Ingenieurwissenschaft handelt.

Das bedeutet:

- Software-Ergonomie muß vom ersten Design an geplant sein. Vor der Realisierung, vor der Programmierung der Mensch-Maschine-Schnittstelle muß genau spezifiziert sein, wie das System auf den Menschen einzugehen hat, welche Dialogstrukturen zur Anpassung vorzuschreiben sind - und das sind in der Regel nicht die Strukturen, die bei einem Bottom-up-Drauflosprogrammieren entstehen.

- Perfekte Programmiertechnik ist erforderlich, um lange, konzentrationsraubende und kostspielige Responsezeiten vor dem Bildschirm zu vermeiden.

- Gerade höhere, dem Kriterium des Software-Engineering am ehesten entsprechende Programmiersprachen wie Pascal "glänzen" durch ein äußerst mageres Ein-/Ausgabekonzept. Strukturierte Programmierung ist in aller Munde; strukturierte Benutzerführung, Kriterium für gute Mensch-Maschine-Schnittstellen, und modularer Bildschirmaufbau sind noch Randerscheinungen in der Literatur. Software-Ergonomie ist ein

Kapitel, das von der jungen Software-Ingenieurwissenschaft noch weiter aufgearbeitet werden muß. Das ist nicht verwunderlich: Auch bei den ersten Automobilen war zu Anfang nur entscheidend, daß sie fuhren. An ein ergonomisches Armaturenbrett dachte man erst viel später.

Der Verwirklichung menschengerechter Bildschirm-Arbeitsplätze steht einiges im Wege:

- Menschliche Denkstrukturen und die Algorithmik des Rechners sind zweierlei. Einer muß sich dem anderen anpassen. Ist das der Mensch, so können die Programme weniger aufwendig, das heißt preiswerter sein.

- Meist werden Software-Projekte unter Zeitdruck bearbeitet. Nun kann man die Fertigstellung eines bereits in der Schlußphase befindlichen Software-Projekts nicht mehr beschleunigen, die Heranziehung zusätzlicher Manpower hat eher retardierende Konsequenzen. An der Funktionstüchtigkeit des Systems können keine Abstriche gemacht werden. Einziger Ausweg ist oft die Reduzierung des Benutzerkomforts.

- Oft entsteht Dialog-Software in Eigenentwicklung. Nicht erfahrene Kräfte wiederholen Fehler, aus denen andere längst gelernt haben. Ein etabliertes System- und Softwarehaus kann hier viel Ärger und Kosten sparen.

Es gibt immer noch viele Vorbehalte gegen Bildschirm-Arbeitsplätze. Die Ängste vor Rationalisierung, um vertraute Kommunikationsstrukturen und gewohnte Arbeitsabläufe gehen tief. Häufig wird der Bildschirm als ein Instrument empfunden, das dem Menschen bis in kleinste Handhabungen befiehlt. Die Umkehrung dieses Zustands, die tägliche Manifestation, daß der Rechner der sich anpassende Teil in diesem Gefüge ist, würde mit Sicherheit Vorbehalte abbauen. Nur eine perfekte Dialog-Software, die aus dem Bildschirm ein immer dienendes, leicht zu handhabendes Arbeitsmittel macht, wird diesen als ein Werkzeug wie andere auch akzeptabel machen.

*Dr. Günter Bleimann-Gather ist Mitarbeiter der GEI-Gesellschaft für Elektronische Informationsverarbeitung mbH, Aachen.