Marsch zur Spitzen-Technologie mit Tradition im Gepäck

31.05.1985

STUTTGART - Der Mittelstand steht den neuen Techniken immer noch skeptisch gegenüber. Zu Recht, bestätigt Professor Dr. Johann Löhn, Regierungsbeauftragter für Technologietransfer in Baden-Württemberg. Denn moderne Konzepte und Methoden sind kein Allheilmittel. Zusammen mit traditionellem Know-how aber bieten sie nach Meinung Löhn gerade im internationalen Wettbewerb einiges an Chancen.

Es ist an der Zeit, zu fragen, ob die neuen Techniken tatsächlich einen Strukturwandel herbeiführen. Meine Behauptung ist, und dies wird von vielen geteilt: Die neuen Techniken haben in der Tat erheblichen Einfluß auf unsere Wirtschaftsstruktur. Dies will ich an den drei Eckpunkten Techniken, Strategien und Maßnahmen darlegen. Im Blick dabei habe ich gleichzeitig, welcher Strukturwandel erfolgt und ob Risiken oder Chancen für mittelständische Firmen bestehen.

Eckpunkt Nummer eins umfaßt eine Reihe von Techniken, deren Bedeutung ständig wächst.

Neue Technologien oder Schlüsseltechnologien sind solche, die entweder selbst einen erheblichen Markt abdecken, wie etwa der Computer, oder den Schlüssel zum Markt bilden, beispielsweise die Steuerung einer Werkzeugmaschine .

Die Mikroelektronik ist ein Zusammenwachsen der beiden Bereiche Elektronik und Informationsverarbeitung. Aus der Elektronik kommen die Elemente Messen, Steuern, Regeln, aus der Informationsverarbeitung Speichern und Verarbeiten. Diese fünf Elemente wurden nun Wettbewerber zu allen anderen Produkten oder Verfahren. Wie die jüngste Vergangenheit zeigt, konnte mit umfangreichen Investitionen die Fertigung in den Griff bekommen werden. So ist für die mittelständische Industrie zunächst einmal festzustellen, daß ein Rückgang der Fertigungstiefe erfolgte, weil die mikroelektronischen Teile eingekauft werden mußten.

Die Informationstechnik erhielt ihren wesentlichen technologischen Schub durch die Digitalisierung und durch die Lichtwellenleiter. Eine gute Politik wird nun dafür sorgen müssen, die notwendige Infrastruktur zu schaffen, wie dies früher etwa durch Flughäfen beziehungsweise Autobahnen geschah. Diese Marktöffnung muß nicht durch die mittelständischen Firmen erfolgen.

Die mittelständischen Firmen haben jedoch in drei Bereichen Erfolgschancen. Zunächst einmal liegen Möglichkeiten darin, Industrieprodukte im Bereich der Informationstechnik zu bauen und zu verkaufen: Dies kann beispielsweise ein Datenendgerät sein. Zum anderen wird aber die Infrastruktur Informationstechnik allein nicht bestehen können; sie bedarf der Inhalte. Inhalte aber werden geschaffen durch Dienstleistungen und Software, Hier zeigen sich Chancen für neue Firmengründungen. Schließlich kann die mittelständische Industrie die Informationstechnik als Hilfsmittel nutzen, um selbst wettbewerbsfähiger zu werden. Bei der Informationstechnik erfolgte wieder ein Zusammenwachsen von zwei Bereichen: der Kommunikationstechnik und des Computers.

Im Sektor Fertigungstechnik zeigt sich der Strukturwandel vor allem dadurch, daß etwa im Bereich der Werkzeugmaschine zu den bereits bekannten numerischen Steuerungen in verstärktem Maße Meßwertaufnehmer, also Sensoren, auftauchen. Dies führt zu kürzeren Umrüstzeiten. Die Folge ist, daß diejenigen, die sich diese flexiblen Fertigungszentren leisten können, auch kleinere Stückzahlen produzieren können Damit dringen sie in den Markt des Mittelstandes, der vor allem geringe Stückzahlen produziert, ein. Bei der Fertigungstechnik geschah wiederum ein Zusammenwachsen: jetzt von Roboter und Computer.

Die Biotechnologie ist gekennzeichnet durch die beiden Bereiche Biologie und Verfahrenstechnik. Es gibt in diesem Bereich durchaus auch für mittelständische Unternehmen Chancen, mit ihrem verfahrenstechnischen Know-how im Bereich der Biotechnologie wettbewerbsfähige Produkte zu erstellen. Denn die Biotechnologie ist nicht von vornherein ausschließlich auf Großunternehmen ausgerichtet.

Eine Bedeutende Rolle spielen neue Werkstoffe . Die vorhandenen Werkstoffe werden künftig nicht ausreichen und nicht alle geforderten Eigenschaften aufweisen. Daher wird weltweit an neuen Werkstoffen gearbeitet. Es ist durchaus eine Chance für ein mittelständisches Unternehmen, nun zu diversifizieren. Der Weg dahin geht dabei etwa von üblichen Werkstückbearbeitung zur Bearbeitung von beispielsweise Keramik oder Faserverbundwerkstoff.

In Zusammenhang mit den neuen Techniken sind unbedingt auch "alte" Techniken zu nennen, zum Beispiel die Feinwerktechnik. Sie hat durchaus Zukunft - denn Feinwerktechnik bedeutet: Bearbeitung mit Laserstrahlen.

Eckpunkt zwei umfaßt Strategien, deren Folge durchaus nicht immer sein sollte, noch auf den fahrenden Zug aufzuspringen.

High-Tech im engeren Sinne bedeutet den letzten Stand der Technik, etwa hochverdichtete Chips. Zwei außerordentlich starke Wettbewerber, die USA und Japan, haben unbestritten die besten Chancen, während Europa derzeit abgeschlagen auf dem dritten Platz liegt. Wenn mit High-Tech heute auch noch nicht allzuviel Umsatz gemacht wird, ist diese Spitzentechnik jedoch ein wichtiger Faktor für die nahe Zukunft, der für die verschiedenen Nationen außerordentliche Bedeutung besitzt. Mittelständische Unternehmen werden im Sektor High-Tech auch in Zukunft kaum eine Rolle spielen, sofern es um die Herstellung dieser Techniken geht.

Massenware und reife Produkte bedeuten zum einen beispielsweise die Textilindustrie, zum anderen etwa ein Farbfernsehgerät. Viele Waren aus diesem Bereich wanderten in Schwellenländer ab, denn das Verhältnis von niedrigen Lohnkosten zur Technik ermöglichte eine bessere Wettbewerbsfähigkeit. In Hochlohnländern indes haben mittelständische Firmen nur eine Chance in Verbindung mit der Automatisierung, wobei allerdings auch alle sogenannten Schwellenländer voll in die Automatisierung einsteigen. Dies bedeutet, daß sie vielfach wettbewerbsfähiger bleiben. Die Komponenten zum Einkauf mit niedrigeren Lohnanteilen bieten wiederum Preisvorteile.

Im Sektor Anwendung und Dienstleistungen finden sich wiederum Chancen für den Mittelstand. Dies will sagen: Einstieg in die neuen Techniken durch Anwendung. Sei es, daß ein mittelständisches Unternehmen den Markt mit bestimmten Geräten beherrscht und somit auch die Schaltungstechnik. So kann es sich stückweise in Richtung High-Tech bewegen.

Andererseits stellen viele mikroelektronische Produkte in der Bilanz lediglich durchlaufende Posten, weil hieran nichts verdient werden kann. Eine Wertschöpfung läßt sich jedoch erreichen, wenn diese neuen Techniken mit einer Dienstleistung verbunden werden, um eine Problemlösung anzubieten. Dies ist der Fall, wenn Auswertungen und Gesamtkonzepte zusammen mit Hardware angeboten werden.

Dritter Eckpunkt stellen die erforderlichen Maßnahmen dar. Kern dabei ist die Wechselwirkung zwischen den Partnern Hochschule und Unternehmen.

Der Personaltransfer ist der beste Technologietransfer, den man sich denken kann. Die dringende Empfehlung an die Hochschulen dabei ist, den Strukturwandel vom Produkt zum System zu bewältigen. Wenn man keine Werkzeugmaschinen mehr verkaufen kann, muß man das System "Werkzeugmaschine" verkaufen. Außerdem ist den Hochschulen zu empfehlen, eine gesunde Mischung zwischen methodischer Ausbildung und Praxis zu verwirklichen.

Beratung und Vermittlung stellen den ersten und häufig wichtigsten Schritt nach vorn dar. In Baden-Württemberg existiert ein flächendeckendes Netz von sogenannten Innovationsberatern an den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern, den Verbänden, und auch Anlaufstellen an allen Hochschulen. Diese Berater können über Institute Auskunft geben, die Techniken bearbeiten und anbieten sowie über Fördermöglichkeiten.

Spezialberatung, Forschung und Entwicklung ist eine Aufgabe, die von den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Baden-Württemberg wahrgenommen wird. Im letzten Jahr wurden etwa 6000 solcher Vorhaben für die mittelständische Industrie durchgeführt.

Den Schritt von Forschung und Wirtschaft zueinander ermöglichen Großeinrichtungen des Transfers. Um auch für den Mittelstand ein Stück weiter an die Techniken heranzukommen, wurden aus den Universitäten heraus zwei große Institute gegründet, die nach den Prinzipien des Transfers arbeiten. Sie müssen abgesehen von Investitionen einen Teil ihrer Personal- und Sachaufwendungen durch Forschungs- und Entwicklungsaufträge, vor allem für die Industrie, selbst aufbringen.

Dies ist ein meßbares Kriterium, das zeigt, ob die Maßnahme Erfolg hat. Einmal gibt es das Institut für Mikroelektronik in Stuttgart mit einem Finanzierungsaufwand von zunächst 100 Millionen Mark. Zum anderen das Forschungszentrum Informatik an der Universität Karlsruhe. Beide Institutionen sind eigene Körperschaften und werden von Professoren der Universität geleitet.

Nach dem ersten Schritt des mittelständischen Unternehmens bieten Transferzentren ihm Unterstützung auf Dauer. Ein flächendeckendes Netz von Innovationsberatern kann naturgemäß nur den Einstieg ermöglichen, aber selbst nicht die Probleme lösen. Daher beinhaltet ein zweites flächendeckendes Netz von Transferzentren zunächst einmal 30 Institute der Steinbeis-Stiftung für Wirtschaftsförderung, die an verschiedenen Hochschulstandorten im Lande tätig sind.

Direkter Kontakt von Forschung zu Mittelstand

Auch diese Institute arbeiten nach dem Transferprinzip. Sie müssen einen Teil ihrer Sach- und Personalaufwendungen aufbringen. Es sind relativ kleine Institute jeweils mit fünf bis zehn Mitarbeitern besetzt, die alle auf Zeitbasis arbeiten. Dieses System ist vor allem in den letzten zwei Jahren ausgebaut worden. Es funktioniert hervorragend, weil in der jeweiligen Region ein direkter Kontakt zu den mittelständischen Unternehmen besteht und somit konkrete Forschungs- und Entwicklungsvorhaben gemeinsam durchgeführt werden können.

Die Technologiefabriken oder -parks schließlich sind ein Spezialbereich der Existenzgründungen. Im Umfeld von Hochschulen sollen auf technologischem Gebiet Existenzgründungen forciert werden. Der Vorteil für die Gründer besteht darin, daß ihnen Gebäude zu ermäßigten Preisen zur Verfügung gestellt werden und vor allem eine kostengünstige Nutzung von Hochschulgeräten ermöglicht wird. Gelegentlich gibt es auch noch spezielle Finanzierungsprogramme für die Einzelfirmen. In Baden-Württemberg wurden bisher vier solcher Technologiefabriken in Heidelberg, Karlsruhe, Sankt Georgen und Stuttgart gegründet.

Alle diese Fabriken sind jetzt in Betrieb genommen worden. Es mangelt nicht an Gründungswilligen, obwohl die kritische Phase, sich am Markt zu beweisen, noch vor den Gründerfirmen liegt. Bei der Konzeption solcher Fabriken muß technologischer Sachverstand aus den Hochschulen geschickt mit unternehmerischem Sachverstand aus mittelständischen Firmen verbunden werden. In den letzten Wochen wurde durch einen Kabinettsbeschluß eine stärkere Regionalisierung der Technologiefabriken in die Wege geleitet. Etwa fünf bis zehn weitere solcher Technologiefabriken werden entstehen.

Selbstverständlich kann kein Land ohne eine finanzielle Förderung vom Staat für die Wirtschaft auskommen Allerdings sollten in Förderprogrammen nur Basissubventionen gegeben werden. Eine Förderung zu weit in den Markt hinein würde möglicherweise die Unternehmermentalität sehr stark zurückdrängen.

Für neue Techniken wird Kapital - Risikokapital - benötigt. Bei allen Firmengründungen, die wir im Rahmen der Technologiefabriken initiiert haben, kam man sehr rasch auf einen Beitrag von drei bis vier Millionen Mark, ohne daß deutliche Einnahmen zu verzeichnen sind.

Kapitalgeber ohne Bürokraten-Mentalität

Es wäre unklug, nun den Staat um Subventionen zu bitten. Die Banken geben zwar Darlehen; solche Darlehen sind aber noch kein Risikokapital. Deshalb ist es unerläßlich, daß es einen privaten Risikokapitalmarkt gibt, der nicht von der Mentalität der Steuerabschreibung gekennzeichnet ist. Der Staat sollte - und diese Überlegungen werden derzeit angestellt - allerdings für Investitionen in technologieorientierte Unternehmen steuerliche Anreize bieten. Letztlich kann aber nur der langfristige Profit einer Investition in ein Unternehmen die Entscheidung für einen Geldgeber sein.