Mangelhafte Dokumentationen koennen jetzt beanstandet werden Maschinenrichtlinie der EU hat Folgen fuer den DV-Markt

10.02.1995

Von Hajo Pajatsch*

Zum Jahresbeginn traten einige neue Regelungen der Europaeischen Union (EU) in Kraft, die auch Auswirkungen auf den IT-Markt haben. Relevant ist vor allem die Maschinenrichtlinie, die ab sofort den internationalen Vertrieb von technischen Produkten regelt. Danach gelten Dokumentationen jetzt als Teil des jeweiligen Produkts. Fehler und unzureichende Informationen werden als Produktmaengel verstanden und koennen entsprechend beanstandet werden.

Die seit Oeffnung des europaeischen Binnenmarktes am 1. Januar 1993 geltende Schonfrist ist Anfang dieses Jahres abgelaufen. Neben den oft diskutierten Richtlinien, Normen und Gesetzen zu Themen wie ISO 9000, Produkt- und Produzentenhaftung sowie EU-Konformitaet (CE-Kennzeichnung), gilt eine Fuelle weiterer Harmonisierungsvorschriften.

Von Bedeutung fuer die deutsche Industrie und fuer Importeure ist das Inkrafttreten der sogenannten EU-Maschinenrichtlinie (unter anderem die Richtlinien 89/392/EWG beziehungsweise 91/368/EWG des Rates der Europaeischen Gemeinschaften). Dabei duerfte das besondere Interesse den produktbegleitenden technischen Dokumentationen gelten. Angesprochen sind nicht nur Maschinenbauer, sondern auch Hardware-Anbieter. Deren Produkte koennen das CE-Kennzeichen nur noch erlangen, wenn die Dokumentationen in den Amtssprachen der Laender vorliegen, in die geliefert wird. Gibt es in einem Land mehrere Amtssprachen (Belgien), muss auch die Dokumentation in den verschiedenen Sprachen vorliegen.

Abgesehen von Marketing- und Werbematerialien wurde der Erstellung und dem Inhalt produktbegleitender Dokumentationen bisher vielfach nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Das muss sich nun aendern. Betroffen sind alle Formen der Dokumentation: Handbuecher, Gebrauchsanweisungen, Referenzhandbuecher, Online-Hilfen von Anwendungen oder auch computerbasierte Tutorials. All das ist nun nicht mehr eine Dreingabe zum Produkt, sondern dessen integraler Bestandteil - damit unterliegt es den strengen Richtlinien.

Maengel in der technischen Dokumentation, unzureichende Informationen, fehlende Warnungen und Hinweise auf moegliche Fehlbedienungen und Sicherheitshinweise werden nun rechtlich Produktmaengeln gleichgestellt. Sie unterliegen den gleichen juristischen Haftungsanspruechen, wie sie der Kunde bereits aufgrund von technischen Maengeln geltend machen kann.

Diese juristische Dimension ist im Dokumentationsbereich voellig neu und erfordert von Anbietern ein Umdenken: Produkt und "Paperware" sind als integriertes System zu begreifen. Zur Produktentwicklung gehoert gleichzeitig die Erarbeitung der umfassenden und richtigen Dokumentation, die ausserdem auch noch in die Sprachen aller Laender uebertragen werden muss, in die ein Produkt verkauft werden soll. Uebrigens gehoeren zur Produktdokumenation auch Presales-Materialien, also Leistungsbeschreibungen und Prospekte.

Die EU-Vorschriften gelten im DV-Bereich nicht nur fuer die Hardware. Sie sind auch auf Software und die zugehoerige Dokumentation anzuwenden, sofern diese zur Bedienung und Steuerung einer Maschine notwendig ist. Moderne Maschinen werden haeufig durch Softwaresysteme gesteuert, und der Benutzer muss ueber eine Benutzeroberflaeche mit der Maschine arbeiten, also etwa Bildschirmeingaben machen oder Prozesse definieren. Das gilt fuer Produktions- und Anlagensteuerung ebenso wie fuer einzelne CNC- Arbeitsstationen oder den Medizinsektor. Zum Beispiel werden implantierte Herzschrittmacher durch den betreuenden Arzt programmiert - und der muss kuenftig auf Dokumentationen in seiner Landessprache zurueckgreifen koennen. Die ohnehin gewagte Annahme, wer mit der Datenverarbeitung zu tun habe, muesse Englisch lesen und verstehen koennen, wird damit irrelevant.

Vor allem Anbieter, die lizenzierte Fremdsoftware in ihren Produkten einsetzen, stehen nun vor einem Problem. Haeufig wurde nur die englischsprachige Originaldokumentation des Lizenzgebers mitgeliefert.

Hin und wieder mussten sich Kunden sogar mit japanischen Originalunterlagen zufriedengeben - ohne jegliche Uebersetzung. Die PC-Software-Industrie weiss schon lange, dass mit lokalisierten Produkten Marktanteile und damit Umsatz und Gewinne erzielt werden koennen. Die Anpassung von Software an lokale Maerkte ist hier schon seit geraumer Zeit als wichtiger Marketing-Faktor erkannt. Diese Einsicht wird nun per Verordnung auch den zahlreichen Softwareherstellern im Maschinenbereich eingetrichtert, denn die juristischen und finanziellen Auswirkungen fuer ein ignorantes Unternehmen sind unuebersehbar.

Eine einfache Uebersetzung des Handbuchtextes oder der Bildschirmmasken und Menues reicht nicht mehr aus. Die eigentliche Lokalisierung beinhaltet ausserdem die inhaltliche Anpassung des Programms sowie der Dokumentation an sprachliche, kulturelle und technische sowie gesetzgeberische Gegebenheiten des Zielmarktes.

Anbieter von Softwarepaketen muessen schon bei der Software- Entwicklung die Lokalisierung einplanen. Eine spaetere Adap-

tion des fertiggestellten Produktes kann schnell zu einer teuren Angelegenheit werden. Schon Kleinigkeiten haben oft eine grosse und teuere Wirkung. Die fest im Programm eincodierte Landes- Telefonvorwahl 0049 fuer Deutschland beispielsweise nutzt in anderen Laendern rein gar nichts, genausowenig wie die Aufnahme der gebuehrenfreien 130er Hotline-Nummer. Beides muss aufwendig im Sourcecode korrigiert werden.

Beruecksichtigt man dies schon bei der Konzeption des Programms, laesst sich viel Arbeit sparen. In der Praxis kam es schon vor, dass Felder fuer die Eingabe von Waehrungsbetraegen so kurz waren, dass sich zwar Mark- aber keine Lire-Summen darin unterbringen liessen. Das gleiche gilt fuer Textfelder, deren Laenge haeufig nicht ausreicht, um etwa die durchschnittlich um 35 Prozent laengeren finnischen Woerter aufzunehmen.

Die Anpassung von Software an lokale Gegebenheiten erfordert eine Kombination von verschiedenen Kenntnissen, seien es linguistische und kulturelle (das Sparschwein ist zum Beispiel kein Bild, das man in Texten fuer den arabischen Sprachraum verwenden sollte), sei es technisches und Markt-Know-how. Das Programm sollte von vornherein so ausgelegt werden, dass es sich einfach in beliebige Zielsprachen uebertragen laesst. Dann kann selbst Software, die sich urspruenglich stark an lokale Gegebenheiten anlehnte, ein internationaler Erfolg sein.

Viele Unternehmen muessen jetzt sehr schnell handeln. Nicht nur, dass Probleme beim Erwerb des begehrten CE-Zeichens auftreten werden. Auch die ungeliebten, aber wachen Abmahnvereine freuen sich schon ueber das Inkrafttreten der Richtlinien.

Zum Thema Betriebsanleitung (1.7.4) schreibt die Richtlinie 89/392/EWG unter anderem vor:

"Die Betriebsanleitung wird vom Hersteller oder seinem in der Gemeinschaft niedergelassenen Bevollmaechtigten in einer der Gemeinschaftssprachen erstellt. Bei der Inbetriebnahme einer Maschine muessen die Originalbetriebsanleitung und eine Uebersetzung (...) in der oder den Sprache(n) des Verwendungslandes mitgeliefert werden.

Diese Uebersetzung wird entweder vom Hersteller oder von seinem in der Gemeinschaft niedergelassenen Bevollmaechtigten oder von demjenigen erstellt, der die Maschine in dem betreffenden Sprachgebiet einfuehrt. Abweichend hiervon kann die Wartungsanleitung fuer Fachpersonal, das dem Hersteller oder seinem in der Gemeinschaft niedergelassenen Bevollmaechtigten untersteht, in einer einzigen von diesem Personal verstandenen Gemeinschaftssprache abgefasst sein."

"Fuer Maschinen, die auch zum Gebrauch durch private Benutzer bestimmt sein koennen, muss bei der Abfassung und Gestaltung der Betriebsanleitung (...) dem allgemeinen Wissensstand und der Verstaendnisfaehigkeit, die nach vernuenftigem Ermessen von solchen Benutzern erwartet werden kann, Rechnung getragen werden."

* Diplomingenieur Hajo Pajatsch ist Geschaeftsfuehrer der SAM Engineering GmbH in Muehltal bei Darmstadt.