Management und Mitarbeiter als strategische Lerngemeinschaft

30.06.1989

Was macht Unternehmen einzigartig? In unserer Zeit werden Produkte, Anlagen und Leistungen immer leichter kopierbar. Vorsprünge vor dem Wettbewerb, die sich nur auf diese drei Merkmale gründen, sind von kurzer Dauer. Was Unternehmen wirklich unverwechselbar macht, sind die Menschen, die ihre Qualifikation und ihr Engagement in den Dienst der Unternehmensziele stellen. Unter einer hoffentlich strategischen Führung.

Selbst wenn es eine Zeitlang gelingt, die eigenen Produkte technisch gegenüber dem Wettbewerb zu profilieren, so sieht das der Kunde häufig gar nicht (zum Beispiel im Dienstleistungs- oder Softwarebereich). Was ihn in erster Linie überzeugt, sind wiederum die Menschen, die diese Produkte entwickeln, verkaufen, einführen und betreuen. Die Einzigartigkeit eines Unternehmens beginnt offensichtlich bei der Einzigartigkeit seiner Mitarbeiter

Führen ja - aber wohin? Einen Kongreßredner hörte man kürzlich sagen: "Führungskräfte und Mitarbeiter müssen durch ein visionäres Ziel in einen Sog geraten, der sie anzieht und deshalb begeistert mitkommen läßt!" Wenn das auch für den Hausgebrauch vielleicht zu pathetisch klingt, sind ein paar Körnchen Wahrheit schon drin. Denn Führen funktioniert in der Tat nur, wenn für die Geführten die Frage nach dem .,wohin" in möglichst verlockender Weise beantwortet wurde. Nun fallen uns mitreißende, anspruchsvolle und herausfordernde Unternehmensziele wahrlich nicht wie "Schuppen von den Haaren". Sie müssen kreativ, systematisch und unter Einbeziehung vieler Mitdenker erarbeitet werden. Wenn wir auch nicht genau wissen, wie die Zukunft unserer Unternehmen aussehen wird, so wissen wir doch zwei Dinge: Erstens, sie kommt, und zweitens, sie wird anders sein als Gegenwart und Vergangenheit.

Die Veränderungen im Unternehmensumfeld und die daraus resultierenden Chancen und Risiken gilt es also systematisch aufzuspüren. Im Leitbild werden die Visionen von der gewollten Zukunft auf den Punkt. und zu Papier gebracht. Damit kann auf breiter Basis kommuniziert werden, wohin die Reise des Unternehmens hingehen soll, und es ist ein Orientierungsrahmen für Abteilungs- und Mitarbeiterziele geschaffen worden.

Bei unseren Vorstellungen vom künftigen Unternehmen sollen wir aber nicht nur an künftige Umsätze und Gewinne denken, sondern an die Erfolgspotentiale, die wir zur Erreichung künftiger Zahlen aufbauen wollen. Hier müssen Wunsche und Visionen freie Fahrt haben, weil zurückhaltende Wünsche letztlich auch nur zu mittelmäßigen Lösungen führen, "Think big" und "groß gewünscht ist halb gewonnen" oder so ähnlich müßten die Maximen lauten, denn die Qualität unserer Zukunft hängt ganz klar von der Qualität unserer Ziele ab.

Die Qualität von Unternehmens- und Abteilungszielen und deren Erfolgschancen lassen sich wesentlich steigern, wenn die jeweils betroffenen Mitarbeiter in den Zielfindungsprozeß eingebunden werden. Kein Ziel verlockt so zur Erfüllung, wie das selbstgesteckte.

Führen ist mehr als "managen" - viel mehr! Führen fängt in den Köpfen an und erfordert zu allererst eine noch stärkere Mensch-Orientierung der Führenden auf allen Ebenen. Wir müssen erkennen daß unsere Mitarbeiter aus eigenen Gründen Engagement und Leistung erbringen - und nicht aus denen des Managements. Ihnen die richtigen Gründe liefern, das ist alles, was Führungskräfte tun sollen, um sie zu motivieren.

Früher war das einfacher. Aber die Zeiten und die Menschen haben sich geändert Natürlich motiviert ein gutes Einkommen immer noch, aber unsere Mitarbeiter erwarten mehr: Verständlliche Unternehmensziele und -Strategien das Gefühl, wichtig und nützlich für den Gesamterfolg zu sein; die Gewißheit, als Mensch so akzeptiert zu werden, wie man ist; die Chance, bei der Arbeit auch persönlich wachsen zu können sowie Freude, Sinn und Stolz bei der Arbeit

Individueles ührenin diesem Sinne setzt häufig korrigierte Einstellungen,ein anderes Rollenverständnis und ein erweitertes Know-how voraus. Insbesondere in die zwischenmenschlichen Fähigkeiten - die Kompetenz zum produktiven Umgang mit Spannungen und Konflikten und zum Abbau von ..Reibungsverlusten" - ist zu investieren. Mitunternehmer für die Zukunftsgestaltung gewinnen: Strategie ist schon längst keine Verschlußsache mehr für Chefs und Stäbe, sondern ebenso Teamsache für Manager und Mitarbeiter auf allen Ebenen. Die strategische Mobilisierung der Operativen ist angesagt. Wir geraten nämlich in zunehmende Turbulenzen, die den Unternehmen ein Höchstmaß an Sensibilität, Reaktionsgeschwindigkeit und Flexibilität abverlangen werden. Das folgende Szenario ist vielfach Realität:

- im Unternehmensfeld gibt es kaum noch Entwicklungen die aus der Vergangenheit extrapoliert werden können und von daher sicher vorhersagbar sind,

- erstmals große, homogene Märkte zerfallen in Teilmärkte, die sehr differenzierte Strategien erfordern.

- neue Wettbewerber tauchen unvermutet aus ganz neuen "Ecken" auf,

- der Preis- und Innovationsdruck des Wettbewerbs nimmt insgesamt zu,

lndividualität der Lösungen wird verstärkt gefordert, (wobei die Entstehung aus Standards akzeptiert wird)

- die Mitarbeiter erwarten vom Unternehmen mehr als Geld,(Verantwortung, Herausforderung, Spaß sind gefragt)

Die Vielfalt und Komplexität der extern und intern gleichzeitig stattfindenden Veränderungenkann vom Unternehmens-Cockpit" häufig nicht mehr überblickt werden. Die Devise muß deshalb auch für kleine und mittlere Unternehmen lauten: Dezentralisierung und Delegation von strategischer und unternehmerischer Verantwortung! Denken und handeln in Geschäftsfeldern ist erforderlich. Geschäftsfeldern die(als Profitcenter oder eigenständige Gesellschaften) als "Unternehmen im Unternehmen " geführt und allerdings durch eine ausgeprägte Firmenphilosophie (Leitbild) sowie durch eine Innovative Führung an der langen Leiz gehalten werden. Klar, daß sol che Modelle nur mit "Mitunternehmern" funktionieren, die man durch gezielte Konfrontation mit strategischen Aufgaben in diese Rolle hineivach sen laßt.

Management und Mitarbeiter müssen eine strategische Lerngemeinschaft werden. "Planung ersetzt Zufall durch Irrtum - aber aus Irrtümern kann man lernen!" So wird immer wieder für Strategisches Management geworben und damit ist schon fast alles über dieses Konzept gesagt. Ob auf Unternehmens- oder Geschäftsfeldebene: Strategische Entscheidungen sind niemals endgültig und genau richtig . Sie sind immer nur Ranmenentscheidungen, die in gewissen Zeitabständen überprüft und aktualisiert werden müssen, was nicht gegen, sondern für ihre Formulierung spricht.

Überprüfbar und korrigierbar ist eben nur vorher Fixiertes; und daß man sich um 180 Grad geirrt hat, kommt bei gründlicher Analyse wirklich selten vor. Meistens genügen Korrekturen, die in einem zu erwartenden Toleranzbereich liegen. Auch hier gilt die Forderung vom "lebenslangen Lernen", wobei Führende und Geführte eine "strategische Lerngemeinschaft" bilden mit dem Ziel, schneller als der Wettbewerb zu lernen, mit Veränderungen und den daraus resultierenden Chancen und Risiken umzugehen. Strategische Teamarbeit ist also eine Daueraufgabe, und sie ist nur zu lösen, wenn sich Manager und Mitarbeiter in gewissen Intervallen konsequent von den gegenwärtigen Erfolgen lösen, um

sich "zwischendurch einmal" auf die künftigen zu konzentrieren.