Man mordet nicht nach Sprungbefehl

11.06.1976

Also komme ich als Gutachter in diesem einzigartigen Fall von Software-Kriminalität zu dem Schluß daß der Angeklagte -Theo McSnell, Chefprogrammierer bei Generators Unlimited, für den angeblichen Mordversuch an Marius Schmidt-Schleicher vielleicht ein Motiv hatte, jedoch trotz seiner provozierten und darum verständlichen Wut mit dem Täter (falls es überhaupt einen Täter gibt) niemals identisch sein kann. Ich werde es Ihnen beweisen.

Lassen Sie mich zuvor rekapitulieren, was an jenem denkwürdigen Maiabend auf der Trelement-Dachebene der Computerhalle in Hannover geschah, als McSnell und Schmidt-Schleicher über die Vorzüge und Nachteile ihrer jeweiligen Software-Innovationen in Streit gerieten. Nach übereinstimmenden. Berichten zahlreicher Zeugen begann der Disput während eines Cocktailempfangs in der sogenannten Juniorgalerie. Dort hatte Schmidt-Schleicher - und das ist verbürgt - eine abstrakte Collage des Dadaisten Pawel Kahos mit den Struktogrammen aus den Standard-Utilities der Fa. Generators Unlimited verglichen. Offenbar animiert von der berufstypischen Fachsimpelei der EDV-Journalisten - und weitgehend enthemmt nach dem Genuß von fünf bis acht Gläsern Campari -, erklärte Schmidt-Schleicher lautstark (wobei er auf das gegenstandslose Liniengewirr des Kunstwerkes deutete): "Das ist bestimmt so eine miese Matrix modular vermanschter Multiprogramme aus dem NUTS-Angebot!"

Alle Zeugen stimmten darin überein, daß Schmidt-Schleicher den anwesenden Entwickler von NUTS, den amerikanischen Spezialisten Theo McSnell, mit dieser Bemerkung kränken wollte. Zur Information: Das Programmpaket NUTS (Native Users Transaction Software) steht in scharfem Wettbewerb zu PACMAS (Productive And Carefree Mainframe Application Software), das die Firma des besagten Schmidt-Schleicher vertreibt und bei verschiedenen Pilot-Installationen einsetzt. Was Wunder, daß der tarantelgestochene NUTS-Erfinder McSnell heftig reagierte und Schmidt-Schleichers unqualifizierte Invektive zornig zurückwies!

Bei dem nachfolgenden Duett der Schmähreden fielen Ausdrücke wie "Spaghetti-Codierer", "Schleifenmuffel", "Assemblist", "dezentrale Intelligenz", "interaktiver Idiot" und "strukturierter Quatschgenerator". Es ist, nebenbei erwähnt, bezeichnend für die professionelle Psychoverkrüppelung der Widersacher, daß sie sich weniger über denbeleidigenden Inhalt der wechselseitigen Verbalinjurien aufregten als über die Trivialfrage, ob es (wenn schon) "strukturierter" oder "strukturierender" Quatschgenerator heißen müsse.

In der entscheidenden, Phase der Auseinandersetzung befanden sich die beiden Experten, deren Erzeugnisse übrigens im letzten Osiris-Report gleichermaßen das Prädikat "anwendungsnahe, implementierungsunabhängige Qualitätssoftware" erhielten, plötzlich hinter dem Kunstgalerie-Trelement und außer Sicht der anderen Partygäste. Sekunden später stürzte Schmidt-Schleicher vom Dach der CeBIT-Halle in die Tiefe. Glücklicherweise blieb er trotz des Höhenunterschieds von über 18 Meter fast unverletzt weil er auf die Ladefläche eines geparkten Lkws mit hochgehäuften Lochkarten fiel. Wie erinnerlich, hatte die Messeleitung am gleichen Abend diese Lochkarten wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses beschlagnahmen lassen - angeblich aufgrund einer Beschwerde der Hersteller moderner Datenerfassungsgeräte.

Schmidt-Schleicher kam mit dem Schrecken und einer leichten Nabelprellung davon. Er sagt nun aus, Theo McSnell habe ihn über die Brüstung gestoßen. Mit Mordabsicht. Mr. McSnell bestreitet dies und erklärt seinerseits, der vom Unfallopfer verinnerlichte Campari sei wohl schuld gewesen an diesem fernwirkungsfreien Top-Down-Approach des besagten Schmidt-Schleichner.

Ich bin überzeugt, daß McSnell die Wahrheit spricht. Denn: der Abgestürzte beharrt auf der Version, er sei von hinten geschubst worden, und der amerikanische Softwarekonkurrent habe dabei ausgerufen: "Go to hell!"

Das, hohes Gericht, ist eine im Wortsinn un-glaubliche Behauptung! Theo McSnell, das weiß jeder Branchenkollege, gehört seit vielen Jahren zum inneren Zirkel der Professor-Dijkstra-Bruderschaft. Und wie Ihnen bekannt sein dürfte, sind solche Menschen völlig außerstande, ein "go to" auch nur zu denken, geschweige denn auszusprechen. Allenfalls ist ihnen der orgastische Aufschrei "Heureka!" zuzutrauen. Doch kein eingefleischter Strukturprogrammierer würde jemals einen Absprung mit "go to" einleiten. Er duldet nämlich überhaupt keine widernatürlichen Hüpfer - weder in den Programmspuren noch auf dem Dach der CeBIT-Halle. Sogar bei der Ausführung eines Kapitalverbrechens könnte ein Dijkstra-Jacopini-Schüler nicht aus seiner Haut heraus. Er mordet nicht nach Sprungsbefehl. . .

Der Angeklagte Theo McSnell ist daher unschuldig und selbst das Opfer einer böswilligen Verleumdung.