Lufthansa Systems stoppt Kernprojekt

19.09.2007
Die IT-Tochter der Kranich-Airline stellt die Arbeit am Buchungs- und Reservierungssystem "Face" ein.
Die deutlich gestiegenen Segmentinvestitionen gehen vor allem auf das Konto des Entwicklungsprojekts Face. Auch der Einbruch des Betriebsergebnisses ist vornehmlich dem jetzt eingestellten Vorhaben geschuldet.
Die deutlich gestiegenen Segmentinvestitionen gehen vor allem auf das Konto des Entwicklungsprojekts Face. Auch der Einbruch des Betriebsergebnisses ist vornehmlich dem jetzt eingestellten Vorhaben geschuldet.

Die Lufthansa Systems hat mit dem Abbruch der Entwicklungsarbeiten am Buchungs- und Reservierungssystem Face (Future Airline Core Environment) das zentrale Unternehmensprojekt aufgegeben. Zwar versucht der IT-Dienstleister, die Pleite mit Verweis auf andere Innovationsvorhaben zu relativieren. Doch Face stand in den vergangenen Jahren immer im Zentrum der Aufmerksamkeit und Investitionen. Als Grund für den Entwicklungsstopp nannte Lufthansa Systems: Partner hätten vereinbarte Module nicht in der vereinbarten Zeit und Qualität liefern können. "Nach der jüngsten Überprüfung des Projektfortschritts und insbesondere der Qualität der zugelieferten Komponenten war nicht länger davon auszugehen, dass wir unseren Kunden innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens und zu vertretbaren Kosten ein Produkt wer-den liefern können, das ihren An-forderungen entsprechen würde", teilte Lufthansa Systems mit.

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was sich hinter dem Projekt Face verbirgt;

welche Bedeutung das Vorhaben hatte;

warum es nun eingestellt wurde;

wieso der Lufthansa-Konzern lange Zeit in zwei Buchungsplattformen investiert hat.

Face innovativ, aber erfolglos

Hinter Face verbirgt sich ein umfassendes Passenger-Management-System (PMS) für Fluglinien. Auf Basis einer einheitlichen Plattform sollte es Funktionen für die klassischen Kernprozesse der Airlines bieten. Das sind beispielsweise Schedule Distribution, Reservierung, Inventory, Ticketing und Departure Control sowie Passagierbetreuung. Face verfolgte einen innovativen Ansatz, denn es wollte die Airlines unabhängig von den Reservierungsplattformen eines einzelnen Anbieters machen und alternative Wege via Internet implementieren.

Zudem sollte das neue Management-System die bisherige und in die Jahre gekommene Buchungs- und Check-in-Plattform "Multihost" ablösen. Über diese Großrechnerlösung wickelt Lufthansa Systems Daten von rund 100 Millionen Passagieren pro Jahr ab. Die Hälfte davon sind Lufthansa-Kunden, hinzu kommen die Fluggäste von rund 40 anderen Fluglinien. Zugleich war Face für Lufthansa Systems eine wichtige Komponente in der Strategie, die in den IT-Servicemarkt drängenden Reservierungsdienstleister abzuwehren.

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Zulieferer bringen Face zu Fall

Die Namen der oder des Zulieferers wollte das Unternehmen nicht nennen. Allerdings kann es sich dabei eigentlich nur um Unisys handeln. "Ansonsten waren nur kleinere Entwicklungshäuser involviert", sagte eine dem Unternehmen nahestehende Quelle. Das sie ein solch wichtiges Projekt zum Scheitern bringen können, ist unwahrscheinlich. Unisys teilte auf Anfrage der computerwoche kurz und knapp mit: "Wir haben zusammen auf Basis unserer Aircore-Technik entwickelt. Lufthansa Systems hat den Vertrag gekündigt. Wir werden die Produktentwicklung weiter vorantreiben."

Face galt als innovatives Management-System. Attraktiv für Airlines war es, weil es ihnen Unabhängigkeit von den Reservierungsdienstleistern Amadeus, Sabre oder Galileo in Aussicht stellte. Die Fluglinien zahlen derzeit für jede Transaktion beziehungsweise Anfrage in der Reservierungsdatenbank, unabhängig davon, ob eine Buchung zustande kommt oder nicht. "Lufthansa Systems ist der Durchbruch, ein von den Reservierungsdienstleistern unabhängiges Passenger-Management-System zu entwickeln, nicht gelungen. Das stärkt die Position von Amadeus", brachte Ovum-Analystin Cornelia Wels-Maug die Pleite auf den Punkt.

Star Alliance verschmäht Face

Face trug bereits seit fast zwei Jahren einen wesentlichen Schönheitsmakel: Der Lufthansa-Konzern wollte es nicht. Er hatte sich im Schulterschluss mit anderen befreundeten und assoziierten Airlines der Star Alliance Mitte 2005 dafür entschieden, eine gemeinsame Plattform für das Ticketing und für die Reservierung vom spanischen Anbieter Amadeus entwickeln und betreiben zu lassen.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde die Weiterentwicklung von Face zu einem Rätsel. Warum leistete sich der Luftfahrtkonzern neben der aufwändigen und teuren Implementierung der Amadeus-Lösung auch die Investitionen in eine Eigenentwicklung, wohl wissend, dass die niemals im eigenen Haus zum Einsatz kommen würde? Warum finanzierte er demnach die Entwicklung von zwei Plattformen, einer für den Eigenbedarf und einer zweiten für andere Airlines? "Risiko-Arbitrage", vermutet ein Kenner der Szene: Lufthansa habe die Abhängigkeit von Amadeus möglichst gering halten und Face als Druckmittel in der Hinterhand haben wollen. Nun sei das Implementierungsprojekt "Common IT" zur Einführung der einheitlichen IT-Plattform von Amadeus an einem Punkt angelangt, an dem eine Rückkehr nicht mehr möglich sei. Die hohen Investitionskosten sowie die Probleme mit Zulieferern hätten nun den Ausschlag für den Ausstieg gegeben.

Zu wenige Face-Kunden

Denn mit dem Stigma, von der eigenen Muttergesellschaft verschmäht zu werden, hatte Face eigentlich von Beginn an keine Chance. Zwar gelang es Lufthansa Systems, vier kleine Kunden für das System zu begeistern. Dort wurden bereits einige Komponenten installiert, etwa für das Web-basierende Check-in und das E-Ticketing, die auch weiter betreut werden sollen. Doch um den drohenden Umsatzverlust auszugleichen, der zwangsläufig kommt, wenn die Star Alliance endgültig von Multihost auf die derzeit implementierte Amadeus-Plattform umsteigt, ist das viel zu wenig. Dazu hätte es einer breiten Akzeptanz für Face bedurft.

Für Lufthansa Systems ist das Ende von Face momentan eine Entlastung allerdings nur vorübergehend. Das Entwicklungsbudget belief sich auf insgesamt 40 Millionen Euro über geplante vier Jahre Projektlaufzeit. Die Investitionen in Face hatten sich zuletzt auch auf die Geschäftszahlen niedergeschlagen. Der Gewinn sackte im ersten Halbjahr 2007 um sechs Millionen auf 14 Millionen Euro. "Die Einstellung des Projekts wird in diesem Jahr negative Auswirkungen auf unser geplantes Ergebnis haben", räumte Lufthansa Systems ein. "In den folgenden Jahren wird die Ergebnisentwicklung durch diese Entscheidung deutlich verbessert."

Für drei Jahre ausgelastet

Ohne die Last des Face-Projekts kann sich Lufthansa Systems zudem auf die Implementierung der Common-IT-Plattform, also der gemeinsamen Amadeus-Plattform für alle Star-Alliance-Mitglieder, bei der Muttergesellschaft konzentrieren. Damit ist der IT-Dienstleister die kommenden zwei bis drei Jahre ausreichend ausgelastet. In dieser Zeit ist die Zukunft des Service-Providers innerhalb des Konzernverbunds gesichert.

Wie es danach weitergeht, ist allerdings ungewiss. Unternehmenschef Wolfgang Gohde hat Lufthansa Systems als Vollsortimenter für die Luftfahrtbranche positioniert. "Das Ende von Face schwächt die Position von Lufthansa Systems. Es war ein Projekt, mit dem man neue Kunden gewinnen und alte binden wollte", warnt Wels-Maug. Die Luftfahrtbranche ist das wichtigste Industriesegment für Lufthansa Systems. Sie steuert 84 Prozent zum Umsatz bei. Services in anderen Branchen (etwa Logis-tik und Banken) erstrecken sich oft auf einfache Infrastrukturdienste.

Um weiterhin ein ernst zu nehmender IT-Partner für Anwender aus der Luftfahrtbranche zu sein, braucht das Unternehmen ein Angebot für das Passenger Management. Ohne eine solche Lösung ist die Position des Vollsortimenters hinfällig. "Das Management wird sicher versuchen, einen Partner zu finden, der ein entsprechendes Produkt im Portfolio hat", vermutet der Branchenexperte. In Frage kämen Amadeus, Unisys, Sabre sowie einige kleine Anbieter mit klei-neren Plattformen, etwa Sita.

Lücke im Portfolio

Lufthansa Systems kann an Fluggesellschaften weiterhin eigene Lösungen verkaufen, die in der Branche anerkannt sind und als innovativ gelten. Doch zum einen sind dies kleinere Applikationen, und zum anderen ist der Lizenzverkauf mühsam. Der Betrieb einer Kernanwendung wie das Passenger-Management garantiert einen kontinuierlichen Einnahmenstrom in einer volatilen Branche. "Lufthansa Systems bleibt weiterhin ein Full-Service-Anbieter für die Luftfahrtindustrie", teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. "Wir decken das gesamte Spektrum an IT-Dienstleistungen für Fluggesellschaften ab. Neben dem Passagier-Management gehören auch IT-Lösungen für die Bereiche Planung und Steuerung, Flugdurchführung bis hin zu Flugzeugwartung und instandhaltung zum Portfolio der Lufthansa Systems", entgegnete der IT-Dienstleister auf den Vorwurf, künftig über ein unvollständiges Portfolio zu verfügen, und verwies dazu auf die alte Management-Lösung Multihost.