CBT eignet sich vor allem für den Softwarebereich

Lernsoftware kann und soll den Trainer ersetzen

05.07.1991

Lernprogramme, die die Bedienung von Maschinen oder von Software simulieren, kommen immer mehr in Mode. Software, die die Oberfläche einer Originalsoftware nachahmen, bieten laut Onno Reiners* den kürzesten Lernweg, denn anders als bei technischen oder kaufmännischen Themen sind Schulungsmedium und Lerninhalt bei der Vermittlung von Software deckungsgleich. Der Wissenserwerb mit einem didaktisch "geführten" Simulationsprogramm ist deshalb lernpsychologisch nur einen Katzensprung von der frei bedienbaren Originalsoftware entfernt.

Dieser kurze Transferweg vom Lernmedium zur Echtsituation macht Lernende, die mit Oberflächensimulationen arbeiten, unmittelbar handlungskompetent. Bei einem Programm zur Gerätewartung dagegen muß das Gelernte auf eine räumlich und zeitlich getrennte oder physisch andersartige Echtsituation übertragen werden.

Der Markt für Unix-Anwendungen wächst und damit auch der Bedarf nach Unix-spezifischer Fort und Weiterbildung. Für diesen Bereich hat die Kölner Koda GmbH die Lernsoftware Tutorix entwickelt, die aus einer Serie interaktiver Simulationsprogramme besteht, mit deren Hilfe sich Erstanwender erstes Wissen aneignen und Fortgeschrittene ihren Anwendungshorizont erweitern können. je nach Vorkenntnissen und Lerntempo entsprechen die durchschnittlich 25 Lektionen rund 12 bis 16 Lernstunden - ein Zeitaufwand, der vier bis fünf Schulungstagen entspricht.

Die Programme lassen sich nicht nur während Schulungen, sondern auch zur Vor- und Nachbereitung einsetzen. Als "Nachschlagewerk" am Arbeitsplatz erlaubt Tutorix das lernbedarfsorientierte Zugreifen auf bestimmte Lektionen. Umfangreiche Interaktionsmöglichkeiten, durchgängige Simulationen und ein Wechsel zwischen Zusammenfassungen und neuem Stoff sollen den Benutzern das Lernen erleichtern und ihm helfen, das erworbene Wissen direkt auf die Originalsoftware zu übertragen.

Als "Blaupause" für die Tutorix-Reihe dienen die von Koda entwickelten Simulationsprogramme zu Betriebs- und Anwendungsprogrammen unter MS-DOS, von denen inzwischen rund 15 000 im deutschsprachigen Raum verkauft wurden.

Jedes CBT-Programm lebt von vier Aspekten, die "stimmig" sein müssen: Präsentation (Darstellung des Lernstoffs auf dem Bildschirm), Interaktion (Eingabe- beziehungsweise Dialogangebot des Programms an die Benutzer), Motivation (Art der Stoffaufbereitung) und Navigation (Möglichkeiten zur Programmsteuerung).

Die Gretchenfrage bei der Lernsoftware

Da die Simulation ein entscheidendes Gütekriterium für CBT-Programmen zur Softwareschulung darstellt, soll im folgenden der Präsentationsaspekt von Tutorix vorgestellt werden. "Womit schreiben?" lautet die Gretchenfrage bei Lernsoftware für den Unix-Markt. Die Vielfalt der Systemderivate verlangt von universell einsetzbarer Lernsoftware höchste Flexibilität und Portabilität. Sogenannte Autorensprachen - vor allen Dingen für programmierunerfahrene Gelegenheitsautoren entwickelte Anwendersprachen zur Erstellung von CBT - erfüllen diese Anforderungen nur unzureichend. Koda ging deshalb einen eigenen Weg.

Aufbauend auf Rochkinds portierbaren Ein- und Ausgabeschnittstellen, die die technischen Unterschiede der einzelnen Unix-Systeme "verstecken", entwickelte sie aufgabenspezifische Tools in der Programmiersprache, die Übertragbarkeit am ehesten gewährleistet: in C. Die Tool - beziehungsweise Funktionsbibliothek, die mit C erstellt und nach Bedarf verändert und erweitert wird, ist das Werkzeug, mit dem Tutorix-Programme produziert werden.

Das erreichte Maß an Portabilität zeigt sich in der Lauffähigkeit auf Unix und DOS. Tutorix ist also sowohl auf PCs als auch auf Workstations und Mehrplatzanlagen einsetzbar.

Was soll die Simulation leisten? Ziel der Simulation ist es, Benutzern den Eindruck zu vermitteln, sich im Originalprogramm zu befinden. Notwendig ist deshalb

1.) die Bereitstellung "nachgebauter" Originaloberflächen des Zielprogramms und

2.) die Befähigung zu einer jeweils didaktisch definierten "freien" Navigation innerhalb der simulierten Oberfläche. Zur Nachahmung der Originalsoftware greift das Lernprogramm auf ein Simulationsmodul zurück. Dieses Modul ist zuständig für die Erzeugung der Originaloberflächen. Zusätzliche Funktionen sind dafür zuständig, die gewünschte Oberfläche (zum Beispiel den Texteditor einer Originalsoftware mit dazugehörigem Befehlsmenü) auf dem Bildschirm auszugeben. Soll darüber hinaus ein Arbeitstext im Texteditor erscheinen, läßt sich auch dieser Simulationsmodul aufrufen.

Wird in diesem Texteditor zum Beispiel das Scrollen mit Page up und Page down geübt, so greift das Lernprogramm im Simulationsmodul auf einen "nachgebauten" Befehlssatz der Originalsoftware zurück. Dieser enthält in der Regel nicht das gesamte Befehlsvolumen der Originalsoftware, sondern nur die im Lernprogramm verwendeten Befehle. So ist es nun zwar theoretisch möglich, die Lerner in unserer Lernsituation "Scrollen" zwischen mehreren Befehlen wählen zu lassen, also etwa zusätzlich zu Page up oder Page down auch die Cursortasten betätigen zu lassen.

Jede gute Regel hat ihre Ausnahme

Ziel der Lernsoftware ist es jedoch nicht, den Lernern in der Simulation ein möglichst originalgetreues "Navigationsgefühl" zu ermöglichen. Dafür ist die Originalsoftware zuständig. Die Navigationsfreiheit der Lernprogrammanwender wird deshalb auf das didaktisch notwendige Maß zurückgestutzt. Sollen Lerner in unserem Fall also mit Page down zum nächsten Textabsatz springen, so erlaubt das Lernprogramm auch nur die entsprechende Taste.

Im Falle voller Navigationsfreiheit endete die Suche nach der korrekten Taste nämlich schnell in einem "wildes Ausprobieren auf der Tastatur". Lyenau jene berechtigte Form des uneffektiven autodidaktischen EDV-"Lernens", die mit Tutorix vermieden werden soll. jede gute Regel hat ihre Ausnahmen, so auch diese: dort nämlich, wo Lerner durch freie Navigation nicht auf falsche Fährten" gesetzt werden, ist Bewegungsfreiheit angemessen: zum Beispiel beim Auswählen eines Menüpunktes, beim Bewegen des Cursors zu einem Ziel oder bei der Wahl zwischen zwei Befehlen, die zum gleichen Ziel führen.

Dreh- und Angelpunkt eines Lernprogramms ist das Drehbuch, eine Art didaktischer Ablaufplan des zukünftigen Programms. Das Drehbuch legt alle Dialoge, Kommentare oder Arbeitsanweisungen fest, mit denen die späteren Programmbenutzer im Lernprogramm arbeiten.

Diese Texte werden in "Formblätter" eingegeben, die separat vom eigentlichen Lernprogramm im Autorentextmodul abgelegt werden. Auf diese Art können Autoren die Texte problemlos pflegen und bearbeiten, ohne sich mit der eigentlichen Programmierung auseinandersetzen zu müssen.

Als Hilfe für die Vor und Nachbereitung

Die Ablaufsteuerung bildet die Kommandozentrale des Programms. Sie bestimmt, wann welche Simulationen, welche Drehbuchtexte, welche Interaktionen und nicht zuletzt: welche Tools für den jeweiligen Bildschirmaufbau eingesetzt werden. Die Ablaufsteuerung fügt also die unabhängigen Module "Autorentexte", Simulation" und "Tools" zu einem Lernprogramm zusammen und orchestriert ihr Zusammenspiel. Die Autorentexte - als Handlungsanweisungen und Feedbacks besonders wichtig für gute Interaktion - werden dabei in blauen Fenstern über die eigentliche Simulation gelegt, um sie deutlich von ihr abzuheben.

CBT-Programme können die traditionelle Schulungen nicht ersetzen, wie immer wieder verkaufsfördernd behauptet wird. Was sie dagegen sehr wohl vermögen: das Fort- und Weiterbildungsangebot verbessern und finanziell entlasten, indem Lernprogramme und Schulung didaktisch sinnvoll miteinander verzahnt werden. So kann Lernsoftware bei der Vor- und Nachbereitung von Seminaren helfen.

Trainer werden dadurch entlastet und können Schulungen durch mehr Einzelbetreuung wirkungsvoller gestalten.

Einzelnen Mitarbeitern ermöglichen Lernprogramme den direkten Einstieg in eine Software, ohne von Schulungsterminen abhängig zu sein. In der Funktion als Arbeitsplatz-Hilfe können Lernprogramme entscheidend zur Arbeitszufriedenheit beitragen, da sie zeitraubendes Blättern in Handbüchern und das Anwählen überlasteter Hotlines und Service- Abteilungen ersparen.