Pergamon-Infoline:

Lehrstück in Sachen Datennetz

08.08.1980

Oft ist das Ziel klar, der Weg dahin aber steinig. So auch bei öffentlich zugänglichen Datenbank-Systemen, wie ein britisches Betspiel zeigt. Die Rede ist von "Infoline", einst als Star unter Englands Computer-Informationssystemen gefeiert, jetzt aber heilfroh, unter die Fittiche starker Konzerne schlüpfen zu können. Denn Infoline geriet seinen prominenten Vätern alsbald zum ungeliebten Balg.

1976, als der Startschuß fiel, präsentierte Infoline sich als stolzes Projekt der Chemical Society, der Institution of Electrical Engineers, der British Library, des Industrieministeriums und der Verlagsanstalt Derwent Publications, einer Tochter des Thomson-Konzerns, die jeweils 300 000 Pfund Sterling Startgelder einsetzten und als Infoline-Starttermin das Jahr 1978 vorsahen.

Dieser Termin verstrich dann allerdings ohne Infoline-Einweihung und 1979 retirierte überdies noch die Regierung vom Projekt: Die Politik hatte sich eben geändert. Als Ende letzten Jahres Infoline dann endlich startete, gab es offensichtlich Softwareprobleme, beklagten manche Kunden allzulange Antwortzeiten und war offenbar immer noch nicht ganz sicher, daß Infoline die vorgesehenen Datenbestände überhaupt korrekt würde verwalten können - also vor allem Chemie-Kurzreferate und -Patentschriften, allgemeine Patentinformationen sowie Daten aus den Bereichen Physik, Elektronik und Pharmazie.

Die Abstinenz der Regierung und das Ausbleiben der erhofften Kapitalrendite veranlaßten nun auch Thomson, seine Tochter Derwent aus dem Projekt zurückzuziehen und die wertvollen und ertragbringenden hauseigenen Patent-Indexlisten sowie Pharma-Infodienste mitzunehmen. Zurück blieb ein Rumpf-Infoline mit großem Geldbedarf; aber einem fast nur auf Chemiker und Elektroniker beschränkten Informationsangebot.

In dieser Lage trat der Verlagskonzern Pergamon Press auf den Plan und übernahm Infoline gegen 1 Million Pfund Sterling auf den Tisch und weitere 2 Millionen in den kommenden 30 Monaten. Pergamon hat über eine Tochter Zugang zum US-Patentinformationswesen und will diesen Service künftig auch den britischen Kunden via Infoline anbieten, war zu erfahren.

Inzwischen trat bei Infoline aber noch ein weiterer Interessent auf die Bühne: Scicon, eine Tochter des Öl-Multis BP, schloß mit Pergamon Press ein Abkommen zur Lieferung von Computern und Terminals für das Infoline-Netz, das zur Zeit zehn Abfragestationen im ganzen Land umfaßt. Auch an "Diane", das Informationsnetz der EG, ist Infoline angeschlossen und Postleitungen nach den USA stehen ebenfalls zur Verfügung.

Mit Pergamons Eintritt soll das nun auf "Pergamon-Infoline" getaufte Informationssystem um neue Datenbestände erweitert werden, die aus den umfangreichen technischen Schriften des Verlags sowie aus anderen Quellen stammen werden, beispielsweise eine neue Datenbank zum Generalthema Energie. Und dazu hat gerade BP sicher eine Menge zu sagen wenngleich ein Ölkonzern kaum alle Kriterien erfüllt, die für einen "neutralen" Anbieter von (Energie-)Informationen aufzustellen wären.

*Egon Schmidt ist freier Wissenschaftsjournalist in München.