Superhirn-Eigenschaften von KI-Programmen sind kein K. o. - Kriterium

Künstliche Intelligenz hebt den Leistungsdurchschnitt an

30.03.1990

Herkömmliche Computerprogramme, auch solche der vierten Generation, leisten im Prinzip nicht mehr als ein Verbrennungsmotor. Während dieser jede Kurbelwellenumdrehung Takt für Takt abarbeitet, folgen jene gehorsam der Reihenfolge der vorgegebenen Programmschritte. Die fünfte Generation lernt jetzt das Assoziieren. Rolf Levenhagen* zeigt die Fortschritte auf.

KI-Anwendungen liefern Bewertungen beziehungsweise Beurteilungen; dadurch heben sie sich von den herkömmlichen DV-Anwendungen ab. Deren Stärken bestehen in der sequentiellen Abarbeitung von algorithmischen Aufgaben, zum Beispiel bei der Kontoführung sowie bei der Speicherung und beim Abruf von Datensätzen. Hierbei kommt es kaum zu irgendeiner Form von Beurteilung.

Gleichwohl gibt es eine große Zahl von DV-Anwendungen, für die es von Vorteil wäre, wenn Beurteilungen konsequent durchgeführt werden könnten.

Dazu zählen die Genehmigung von Darlehen, die Ausstellung von Versicherungspolicen oder die Gewährung von Krediten. Empfehlungen oder Konfigurationen von Produkten, Produktempfehlungen oder die Optimierung des Lastausgleiches für Energieversorgungsunternehmen oder die Terminierung von Lieferungen sind weitere Aufgaben, die Beurteilungen erfordern. Die DV-Industrie hat zwar bei der Implementierung deralgorithmischen Anwendungen hervorragende Arbeit geleistet, bisher aber wenig getan, um Anwendungen zu automatisieren, die Beurteilungen verlangen.

Hier liegt der Einsatzbereich der KI-Technologie. Sie ermöglicht es den Unternehmen, Beurteilungen in DV-Anwendungen einzubetten. Bevor wir uns jedoch mit den technischen Einzelheiten der Durchführung beschäftigen, wollen wir einen Blick auf die geschäftlichen Abläufe werfen, die eine Automatisierung dieser neuen Klasse von Anwendungen erforderlich machen.

Die Anwendungen, bei denen Beurteilungen erforderlich sind, stehen im Mittelpunkt aller geschäftlichen Abläufe, weil sie für die Unternehmensziele von zentraler Bedeutung sind.

Was könnte beispielsweise für einen Computerhersteller wichtiger sein als der Verkauf und die ordnungsgemäße Konfiguration seiner Rechner?

Was könnte im Kreditkartengeschäft einen höheren Stellenwert haben als die korrekte Genehmigung der Kontenbeträge der Kunden?

Was könnte für einen Versicherungskonzern wichtiger sein als die Entscheidung, ob eine bestimmte Versicherungspolice ausgestellt werden soll oder nicht?

Ziel: Automatisierung von Entscheidungen

KI-Anwendungen werden nicht implementiert mit dem Ziel, die Zahl der Mitarbeiter um 10 oder 20 zu verringern. Es geht darum, Anwendungen, die für die Unternehmensziele von entscheidender Bedeutung sind und die Beurteilungen erfordern, zu automatisieren. Gerade diese Anwendungen können erhebliche Auswirkungen auf die Kapitalrendite haben.

Einige Leute unterliegen dem Irrtum, daß die KI-Technologie den Beurteilungsprozeß der besten Fachleute simulieren muß und nur einen beschränkten Wert hat, wenn sie dazu nicht imstande ist. KI kann jedoch auch dann tiefgreifende Auswirkungen auf die Kapitalrendite haben, wenn sie nur den Beurteilungsprozeß des durchschnittlichen Entscheidungsträgers simuliert. Durch die einheitliche Anwendung von Beurteilungskriterien und dadurch, daß diese Beurteilungen allen Entscheidungsträgern ohne Verzögerung zur Verfügung stehen, eliminiert ein KI-System, das Beurteilungen von durchschnittlicher Güte liefert, unterdurchschnittliche Entscheidungen. Ein Großteil der kostspieligen Fehler wird so vermieden. Darüber hinaus ermöglicht es eine geeignete Organisation, daß überdurchschnittliche Entscheidungsträger das System übertreffen, bei einer Abweichung die Gründe eingeben und speichern, warum sie anders als das System entschieden haben. Dadurch läßt sich das KI-System weiter verbessern; gleichzeitig ist dafür gesorgt, daß unterdurchschnittliche Entscheidungsträger wenigstens durchschnittliche Resultate liefern.

Der Clou liegt in der logischen Verknüpfung

KI-Anwendungen werden mit Hilfe von Programmierungen implementiert, die sich von denen herkömmlicher Anwendungen unterscheiden. Ein normales Programm kann man sich als eine Folge von Befehlen denken, die nur durch die Reihenfolge ihrer Ausführung miteinander verbunden sind. Eine KI-Anwendung dagegen besteht aus Befehlen, die logisch miteinander verbunden sind. Dies ist einfach eine andere Methode, einem Rechner Instruktionen mitzuteilen und sollte daher nicht mehr Kopfzerbrechen bereiten als irgendeine andere neue Programmiermethode.

Der Vorteil einer KI-Anwendung liegt darin, daß logische Verknüpfungen zwischen einem Problem und seiner Lösung hergestellt und Beurteilungsprozesse nachgeahmt werden können.

Grundsätzlich gibt es drei Methoden, die von KI-Programmen verwendet werden, um mit Hilfe einer logischen Verbindung ein bestimmtes Problem zu lösen: Rückwärtsverkettung, Vorwärtsverkettung und hypothetisches Schlußfolgern. Diese Methoden sind keine gleichrangigen alternativen Strategien, sondern unterschiedlich leistungsfähige Ansätze für logische Schlußfolgerungen. Sie verwenden denselben grundlegenden Inferenzzyklus, das heißt, sie nähern sich der Problemlösung mit den gleichen Schritten:

1. Ermittlung der "Konfliktmenge"

Die Konfliktmenge umfaßt diejenigen Befehle, in KI-Programmen üblicherweise Regeln genannt, die mit dem derzeitigen Schlußfolgerungszustand logisch verknüpft sind.

2. Konfliktlösung

Eine Regel wird aus der Konfliktmenge ausgewählt, damit sie "abgefeuert", also angewendet werden kann.

3. Anwendung der Regel

Die ausgewählte Regel wird durchgeführt.

Dieser Prozeß läuft solange weiter, und der aktuelle Schlußfolgerungsweg wird solange fortgesetzt, bis eine Verbindung zwischen den gegebenen Informationen (der Eingabe) und einer Lösung gefunden worden ist. Die Leistung einer Inferenzmaschine wird durch ihren LIPS-Wert (logische Inferenzen pro Sekunde) dargestellt, das also, durch die Zahl der Regeln, die pro Sekunde ausgeführt werden. Da die Ermittlung der Konfliktmenge (Phase 1) die zeitkritischste Phase des Inferenzzyklus ist, wollen wir untersuchen, wie eine Inferenzmaschine diese Aufgabe durchführt.

Rückwärtsverkettung:

Die Rückwärtsverkettung ist eine Schlußfolgerungsstrategie, die von der gewünschten Lösung ausgeht und rückwärts arbeitet. Dabei wird versucht, eine logische Verbindung zu den gegebenen Informationen zu finden. Bei jedem Schritt besteht die Konfliktmenge aus denjenigen Regeln, die den gesuchten Wert einer Variablen ermitteln können.

Vorwärtsverkettung:

Die Vorwärtsverkettung ist eine Schlußfolgerungsstrategie, die auf gegebene Annahmen reagiert und logische Verbindungen zu einer Lösung aufbaut. Bei jedem Schritt besteht die Konfliktmenge aus denjenigen Regeln, deren Voraussetzungen (der IF-Teil) wahr sind. Der RETE-Algorithmus ist eine Indizierungsprozedur, mit deren Hilfe die Konfliktmenge in Systemen mit Vorwärtsverkettung schnell festgestellt werden kann.

Hypothetisches Schlußfolgern:

Das hypothetische Schlußfolgern ist eine Strategie, die den gleichzeitigen Aufbau von mehreren Schlußfolgerungsketten ermöglicht. Auf diese Weise können mehrere Lösungswege zur Ermittlung des optimalen Lösungsweges untersucht werden. Zuerst wird festgelegt, welcher Lösungsweg als nächster untersucht wird; danach werden die einzelnen Regeln ermittelt, die für diesen ausgewählten Lösungsweg angewendet werden können.

Intelligenteste Methode:

Hypothetisches Folgern

Aus dieser Beschreibung ist ersichtlich, warum das hypothetische Schlußfolgern die leistungsfähigste Strategie darstellt. Es liefert eine zusätzliche Dimension, in der Vorwärts- und Rückwärtsverkettungen gleichzeitig in mehreren Formen ablaufen können. Dagegen ist es schwieriger zu erklären, warum die Vorwärtsverkettung nicht einfach das Gegenteil der Rückwärtsverkettung bildet.

Zur Erklärung muß man untersuchen, wie weit die Inferenzmaschine selbst festlegen kann, welche Regel als nächste durchgeführt wird, und wie weit die Steuerung von dem Programmierer übernommen wird.

Beim hypothetischen Schlußfolgern delegiert der Programmierer nahezu die gesamte Steuerung an die Inferenzmaschine. Programmemit Vorwärtsverkettung haben ebenfalls einen hohen Freiheitsgrad, was die Steuerung betrifft; während Programme mit Rückwärtsverkettung aufgrund ihrer Natur engen Beschränkungen unterliegen, was die Größe der Konfliktmenge, also die Anzahl der Optionenbetrifft, die zu einer bestimmten Zeit vorhanden sind. Dies führt zu einer unterschiedlichen Verarbeitungsleistung bei Vorwärts- und Rückwärtsverkettung. Eine Maschine mit Rückwärtsverkettung kann ohne Schwierigkeiten innerhalb eines Systems mit Vorwärtsverkettung implementiert werden; der umgekehrte Fall ist jedoch weit schwieriger.

Aus diesen Gründen ist die Verarbeitungsleistung bei der Vorwärtsverkettung höher. Dennoch ist die Rückwärtsverkettung keine unwichtige KI-Methode. Viele Leute, die KI-Systeme untersuchten, haben allerdings nur Systeme mit Rückwärtsverkettung betrachtet und dann den richtigen Schluß gezogen, daß eine funktional orientierte, prozedurale Programmierung das gleiche leisten könnte.

Um die wirklichen Vorteile der KI-Programmierung zu erkennen, soll anhand eines Beispiels mit Vorwärtsverkettung die Leistungsfähigkeit der KI-Strategie gezeigt werden.

Im Idealfall können KI-Maschinen analysieren

Um die Unterschiede zwischen KI-Anwendungen und herkömmlichen Anwendungen präzise herauszuarbeiten, betrachten wir beispielhaft ein Expertensystem, das ein Computerhersteller verwendet , um neue Bestellungen für seine Rechner zu konfigurieren. Bestellungen, die von Vertriebsbeauftragten aufgenommen werden, können unvollständig sein; eventuell fehlt eine Komponente, was dazu führt, daß der Rechner nach der Auslieferung an den Kunden nicht ordnungsgemäß läuft.

Um dieses Problem zu lösen, analysiert das Expertensystem die Bestellung und beurteilt, ob der laut Bestellung konfigurierte Rechner lauffähig ist oder nicht. Ist das nicht der Fall, fügt das System automatisch die erforderlichen Komponenten hinzu.

Damit wird sichergestellt, daß die bestellte Konfiguration läuft, und es werden Lieferungen von nicht betriebsfähigen Systemen vermieden. An diesem Beispiel läßt sich zeigen, wie mittels der KI-Methode der Vorwärtsverkettung das Problem gelöst werden kann.

Problematisch sind die vielen Anhängigkeiten

Problematisch bei der Konfiguration einer Bestellung sind die wechselseitigen Abhängigkeiten der Rechnerkomponenten. Die Größe des Netzteiles und die Anzahl der Racks hängen davon ab, wie viele Komponenten bestellt werden. Die Länge der Kabel hängt wiederum von der Anzahl der Racks ab; hiermit sind noch nicht alle Kausalitäten aufgezählt.

Jede einzelne Abhängigkeit ist leicht zu verstehen und darzustellen. Die Schwierigkeit besteht darin, daß in der ursprünglichen Bestellung womöglich Hunderte dieser Abhängigkeiten zu überprüfen sind. Einige führen dazu, daß neue Komponenten in die Bestellung aufgenommen werden müssen. Jede neue Komponente aber führt neue Abhängigkeiten ein. Bei jeder prozeduralen Implementierung eines solchen Systems muß der Programmierer die exakte Reihenfolge festlegen, in der die Tests durchgeführt werden sollen, und er muß sicherstellen, daß bereits durchgeführte Tests bei Bedarf noch einmal durchlaufen werden. An dieser Stelle werden die Grenzen der prozeduralen Methode erreicht.

Angenommen, ein solches prozedurales System würde wirklich laufen und die Konstruktionsabteilung hätte neue Komponenten mit anderen Anforderungen entwickelt: Die Einführung dieser neuen Komponenten könnte leicht eine radikale Neustrukturierung des Programmes erfordern, um die neuen Abhängigkeiten zu berücksichtigen.

Die KI-Strategie geht dagegen von dem Ansatz aus, daß jede der Abhängigkeiten einfach eine logische Beziehung ist, die sich in Form einer Regel angeben läßt. Die Inferenzmaschine führt die Regeln aus, überprüft dabei die logischen Abhängigkeiten und fügt, wenn notwendig, neue Komponenten hinzu. Rücksprünge zu bereits überprüften Bedingungen kommen nicht vor.

Die Inferenzmaschine wird automatisch alle Regeln auf neue Komponenten anwenden, sobald diese hinzugefügt werden. Wenn schließlich alle Regeln ausgeführt worden sind, wurde sicher auch jede logische Abhängigkeit berücksichtigt.

Für die Wartung der KI-Anwendung gilt: Wenn neue Komponenten von der Konstruktionsabteilung entwickelt und eingeführt werden, ist es lediglich notwendig, die neuen Abhängigkeiten, die mit diesen neuen Komponenten verbunden sind, in Formneuer Regeln anzugeben. Da die Reihenfolge, in der die Regeln durchgeführt werden, ohnehin von der Inferenzmaschine entschieden wurde, brauchen wir uns nicht darum zu kümmern. Damit wird der Aufwand für die Pflege der KI-Anwendung erheblich reduziert.

Modell veranschaulicht logische Kausalitäten

Dieses Beispiel zeigt, wie sehr sich die Konzepte der Anwendungen unterscheiden können. Was realisiert wird, ist ein Modell, das die "Naturkräfte" der Anwendung abbildet. In gewisser Weise ist der Ablauf mit der Bewegung einer Handvoll Metallspäne in einem magnetischen Feld vergleichbar. Es wäre hoffnungslos, wenn man versuchen würde, die resultierende Bewegung der Metallspäne als eine Reihenfolge von Ereignissen zu verstehen. Für das Verständnis und zur Erklärung des Ergebnisses reicht es vollkommen aus, wenn man die beteiligte Naturkraft, nämlich den Magnetismus, versteht.

Bei der Konfiguration eines Rechners sind die Naturkräfte die logischen Abhängigkeiten zwischen dessen verschiedenen Teilen. Sie definieren ein logisches "Kraftfeld", das automatisch auf die Bestellung wirkt. Dadurch kommt es zu einer stabilen Konfiguration.