Konstruktion und Fertigung/Brueckenschlag der Systeme EDM erfordert eine tiefgreifende Aenderung der Firmenstrukturen Von Andreas Beuthner*

09.06.1995

Das Engineering Data Management (EDM) ist zum Flaggschiff der DV- Integration im Fertigungsumfeld geworden. Der schnelle Zugriff auf Produktionsdaten, ihre Verwaltung und Aufbereitung sowie der reibungslose Datenaustausch zwischen CAD-Workstations, Fertigungssteuerung und Lagerverwaltung ist Dreh- und Angelpunkt zahlreicher DV-Projekte. Der grosse Durchbruch fuer EDM wurde wegen erhoehter Absturzgefahr der Systeme allerdings noch nicht geschafft.

Von unternehmensweitem Daten-Management schwaermt jeder DV-Planer. Doch die Realitaet sieht anders aus. Trotz einhelliger Zustimmung aus allen Ecken der Hard- und Softwarebranche steht es um die Integrationsfaehigkeit unterschiedlicher Datenbanken, CAD-Loesungen und PPS-Systeme (Produktionsplanung und -steuerung) nach wie vor schlecht. Thomas Friedmann, Leiter Competence Center Industrie der Ploenzke AG, hat es auf dem letzten EDM-Kongress in Karlsruhe auf den Punkt gebracht: "Unternehmensweite EDM-Einfuehrung birgt wesentlich mehr Risiken und Gefahren, als Systemanbieter zugeben wollen."

Gleichwohl sind sich alle Experten des Engineering Data Management darin einig, dass die Einbindung prozessorientierter Daten aus den Entwicklungs- und Konstruktionsabteilungen sowie dem Fertigungsbereich eine notwendige Konsequenz aus dem Vordringen rechnerunterstuetzter Ablaeufe in nahezu allen Unternehmensbereichen darstellt. Der technische und ablauforientierte Informationsfluss zwischen den Geschaeftsbereichen gilt nicht zuletzt als eine der entscheidenden Zielgroessen zur Steigerung der Reaktionsfaehigkeit. Ein gemeinsames EDM-Datenmodell mit kompatiblen Datenstrukturen koennte hierfuer den Weg ebnen.

Der Brueckenschlag zwischen verschiedenen Rechnerwelten ist vor allem fuer die Weiterentwicklung des CAD/CAM-Bereichs und die Produktionsplanung von grundlegender Bedeutung. Denn die Anbindung der CAD-Systeme an die Fertigungssteuerung steht in vielen Unternehmen an oberster Stelle der DV-Wunschliste. Viele Betriebsleiter wissen, dass die eigentliche Staerke von EDM nicht nur im taeglichen Umgang mit grossen Datenmengen wie etwa in der Zeichnungsverwaltung besteht. Produktivitaetsreserven werden in den einzelnen Abteilungen naemlich erst dann mobilisiert, wenn die zur Verfuegung stehenden Daten auch richtig aufbereitet wurden.

Schon eine funktionsfaehige Schnittstelle zwischen kommerziellen PPS-Systemen und CAD/ CAM enthaelt ein Rationalisierungspotential, das weit ueber die elektronische Verwaltung grosser Datenmengen hinausreicht. Denn Informationen aus Konstruk-

tionszeichnungen unterstuetzen die Disposition in der Materialwirtschaft ebenso wie die Arbeitsvorbereitung in der unmittelbaren Fertigungsumgebung. Gruppenleiter Helmut Willms vom Geschaeftsbereich Gebaeudeausruestung der Robert Bosch GmbH sieht deshalb das EDM-Projekt in seinem Hause noch laengst nicht als abgeschlossen an: "Das PPS-System soll in der Endstufe voll in die Zeichnungsversorgung integriert werden."

Der Einstieg in die EDM-Welt ueber die digitale Verarbeitung von CAD-Daten ist inzwischen ein haeufig beschrittener Weg, stellt aber nur einen Teilaspekt von EDM dar. Obgleich die Rationalisierungsmoeglichkeiten, die sich durch die Archivierung und Reproduktion von technischen Zeichnungen in der digitalen Welt und deren Umgebung ergeben, "nicht unterschaetzt werden sollten", wie Willms meint. Die Zeichnungsdigitalisierung in technischen Archiven, so die ersten Projekterfahrungen bei Bosch, verkuerzt den Entwicklungsaufwand in den meisten Faellen um 20 Prozent und mehr. Durch die Wiederverwendung elektronischer Dokumente und deren Modifikation am Bildschirm werden ueberfluessige Bearbeitungszeiten vermieden. Das muehselige und wiederholte Ermitteln identischer Daten entfaellt.

Doch bevor sich die Vorteile durch kuerzere Entwicklungszeiten und ein besseres Time to market bemerkbar machen, muessen die Unternehmen bei der Umsetzung von EDM-Projekten zahlreiche Hindernisse aus dem Weg raeumen. Durch systemuebergreifende Funktionen erhaelt EDM ein grosses Gewicht im gesamten Daten- Management eines Unternehmens. Die Praesenz von aktuellen Produkt- und Engineering-Informationen an jedem Arbeitsplatz setzt eine exakte Datenpflege mit entsprechend angepasster Ablauforganisation voraus. Nicht selten gehen EDM-Projekte Hand in Hand mit technologischen Neuerungen und der Ueberwindung heterogener Umgebungen. Die Vereinheitlichung und Vernetzung bisher nebeneinander existierender Systeme muenden meist in groessere Re- Engineering-Vorhaben, die angestammte Hierarchiebereiche und abgeschottete Fachabteilungen aufbrechen.

Stammten die ersten EDM-Systeme noch aus der reinen Dokumentenverwaltung und -archivierung, haben sich die Programme rasch durch zusaetzliche Funktionalitaeten und die Vernetzung der Arbeitsplaetze von der dokumentenorientierten Ablage zur Verteilungsagentur prozessorientierter Konstruktionsdaten entwickelt. Zu den technischen Dokumentationen wie Pflichtenheft, Arbeitsplaene, Analysen oder Handbuecher gesellten sich die Verwaltung und Bereitstellung von Zeichnungsdaten aus dem CAD- Bereich.

Gleichzeitig entwickelten sich auf der PPS-Schiene die ersten Systeme, die produktbezogene Engineering-Daten und Maschinensteuerungs-Programme, Lagerhaltung sowie Transportsteuerung erstellen und verwalten. Was lag naeher, als beide Bereiche, die in ihren Kernfunktionen wenig Unterschiede aufweisen, zu einem Datenmodell zusammenzufuehren?

Es dauerte nicht lang, bis die ersten EDM-Umgebungen vorgestellt wurden. Sie traten mit dem Anspruch auf, Produktdaten-Management (PDM) und Engineering-Daten-Management (EDM) zu einem System zu integrieren und sich nicht auf das getrennte Erfassen verschiedener Datenbestaende zu beschraenken. Eine solche Zusammenfuehrung beinhaltet neben den geometrischen Konstruktionsdaten und der Beschreibung von Bauteilen auch die Erstellung und Verteilung von Produktionsdaten sowie die Dokumentation aller Vorgaenge entlang des gesamten Herstellungsprozesses.

Die Verwendung der Daten auf verschiedenen Plattformen, wie sie ueblicherweise in Unternehmen installiert sind, sowie ihre spaetere Modifikation und Weiterentwicklung stellt Programmierer vor anspruchsvolle Aufgaben und fuehrt zu komplexen Programmarchitekturen mit einer Reihe von Programmierklippen - eine erhoehte Fehlerrate ist unvermeidlich. Die funktionalen Anforderungen gliedern sich in CAD-Anbindung und systemuebergreifende Funktionen wie die Einfuehrung von Aenderungs- und Freigabeprozessen (Workflow-Management), projektbezogene Datenverwaltung und -verfolgung, elektronische Genehmigung von Statusaenderungen und klare Zugriffsregelungen.

Waehrend die Archivierung von Produktdaten wie CAD-Zeichnungen oder Arbeitsbeschreibungen schon in vielen Faellen erhebliche Umstrukturierungen in einem Betrieb hervorrufen, geht es beim abteilungsuebergreifenden Austausch von Engineering-Daten durch eine unternehmensweite Datenbasis um voellig neue DV-technische Stuetzpfeiler. Da ist zum einen die enorme Datenflut aus Stuecklisten, Stammdaten und aller Art von Dokumenten. Hinzu kommen CAD-Daten, deren Management womoeglich gerade den Wechsel von 2D- Zeichnungen in 3D-Volumenmodelle vollzieht. Die Erweiterung des Datenarchivs zur jederzeit abrufbaren Informationsbasis, die unterschiedliche Geschaeftsbereiche bedient, benoetigt darueber hinaus spezifische Verwaltungsfunktionen zur Aufbereitung der Daten fuer die jeweilige Benutzerumgebung.

Damit ist aber der Funktionsumfang von EDM noch nicht erschoepft. Ein immer groesseres Gewicht erhalten Mailing-Funktionen und der elektronische Austausch von halbfertigen oder zu modifizierenden Zeichnungen. Viele Fachleute weisen immer wieder darauf hin, dass der Transport von gedruckten oder geplotteten Informationen per Post oder Boten den hart erkaempften Zeitvorteil bei der einheitlichen Systemimplementierung wieder zunichte macht.

Ein wichtiger Baustein innerhalb eines EDM-Projekts sind Scanner- Technologien als Vorstufe zur elektronischen Verteilung von Zeichnungen und Dokumenten. Ueber Viewing-Funktionen koennen dann beispielsweise am PC Konstruktionszeichnungen sichtbar gemacht werden. Dazu muessen die Viewing-Tools in der Lage sein, CAD-Daten, die in verschiedenen Formaten abgelegt sind, in ein Rasterformat zu konvertieren.

Hans Schenk, EDM-Projektleiter bei Landis & Gyr im schweizerischen Zug, weiss, wie wichtig elektronisch uebermittelte Aenderungsauftraege fuer CAD-Konstrukteure sind: "Frueher wurden Originalzeichnungen in Kartons verpackt und in die Verwaltung transportiert", erinnert sich Schenk. "Heute geht das automatisch per Doppelklick."

Der international agierende Gebaeudeausruester hat im Zusammenhang mit einem neuen Time-to-market-Konzept ein weitreichendes EDM- Projekt realisiert, das alle produktrelevanten Daten der sowohl sequentiell als auch parallel ablaufenden Teilprozesse der Produktentstehung ueber ein System verwaltet. Dabei sollte der technisch orientierte Datenfluss die gleiche Integration und Konsistenz erreichen wie der bereits ueber eine Standardsoftware integrierte betriebswirtschaftliche Informationsfluss.

Kein Sonntagsspaziergang fuer das Projektteam, resuemiert Schenk: "Wir standen vor einer der herausforderndsten Phasen im Projekt- Management." Die Einfuehrung gleicht dem Zusammensetzen eines Puzzles: Als erstes integrierten die Planer die Server-Hardware und die Basis an Systemsoftware in der bestehenden Informatikinfrastruktur. Dann folgten schrittweise die einzelnen Module fuer die verschiedenen EDM-Funktionsbloecke mit anschliessender Parametrisierung und Konfiguration des Systems entsprechend den vorher festgelegten Vorgaben.

Inzwischen sind die PCs von 40 Anwendern mit dem VAX-Server verbunden. Das Produktdaten-Management mit den Funktionen Dokumentenverwaltung, Workflow und Sign-off-Funktionalitaet hat sich so weit stabilisiert, dass Mitglieder eines Produktentwicklungsteams mit Kollegen aus allen hauseigenen Disziplinen wie Mechanik, Elektronik, Software und Fertigung innerhalb des Systems Applikationen starten und Dokumente oeffnen koennen.

Ueber die vernetzten Arbeitsstationen ist auch der Zugang zu Anwendungen der Bueroautomation moeglich. Das CAD-System "Unigraphics" ist inzwischen im Rechnernetz eingebunden. Von Anfang an ging es bei Landis & Gyr darum, ueber ein elektronisches Visum fuer Genehmigungsvorgaenge den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Unternehmensabteilungen auf das Netz zu uebertragen. Ein Tochterunternehmen in Schweden, das gleichzeitig ein EDM- System aufbaut, ist ueber ein konzernweites Netzwerk online mit dem helvetischen Headquarter verbunden.

Nach zweieinhalb Jahren Realisierungsphase zieht das Projektteam bei Landis & Gyr eine positive Zwischenbilanz. Es hat sich ausgezahlt, dass man von Anfang an klare Vorstellungen ueber das Projektziel formuliert hatte und vom Pflichtenheft nicht abgewichen war. Das Know-how externer Berater ersparte manchen Irrweg und brachte das Projekt etappenweise ans Ziel.

Nicht immer nehmen EDM-Vorhaben einen gluecklichen Verlauf. Bei Ploenzke weiss man ein Lied von EDM-Ruinen und teuren Systemflops zu singen. Setzt man beispielsweise aus Zeit- und Kostengruenden ausschliesslich auf funktionale Anforderungen einer EDM-Software, bleiben andere Rationalisierungskriterien auf der Strecke. Schon die Schnittstellen zu Anwendungssystemen, die Werkzeuge zur Anpassung und Erweiterung des Systems und die Benutzeroberflaeche ueberfordern in der Regel die Informatikkenntnisse in vielen Unternehmen. Auch Serviceleistungen der Anbieter und ihre Produktstrategie sind nicht immer in ihrer vollen Tragweite kalkulierbar.

Kein Wunder, dass der grosse Durchbruch fuer EDM erst noch bevorsteht. Am Markt tummeln sich etwa 50 Anbieter. Doch die noch kleine EDM-Gemeinde bekommt kontinuierlich Zuwachs. Vor allem durch Kooperationen versuchen sich derzeit Softwarepioniere der CAD- und PPS-Branche zum Trendsetter in Sachen EDM aufzuschwingen. Der Kehler BCT gelang beispielsweise die Losloesung aus der CAD/CAM-Umarmung von Hewlett-Packard - im 3D-Bereich setzt man inzwischen auf Unigraphics von EDS. In Kooperation mit dem niederlaendischen Softwarehaus Baan strebt BCT eine durchgehende Loesung zwischen Konstruktion, Fertigung und Vertrieb an.

EDM-Veteran Eigner + Partner hat mit einer eigenentwickelten PPS- Schnittstelle zur SAP-Software ein Tor zum nach wie vor tonangebenden Systemanbieter aufgestossen und die Erweiterung von PPS-Daten mit den dazugehoerigen Zeichnungen und Dokumenten ermoeglicht. Das Karlsruher Unternehmen konzentriert sich derzeit auf die Weiterentwicklung der Kernfunktionalitaet seiner "CADIM/EDB"-Loesung, dazu gehoeren vor allem das Dokumenten-, Produktdaten-, und Workflow-Management.

Die meisten Marktanalysten blicken ueberaus optimistisch in die Zukunft. Kraeftige Impulse kommen sowohl von PPS-Anbietern als auch von den CAD/ CAM-Systemhaeusern. Beide Bereiche bewegen sich aufeinander zu und werden das EDM-Umsatzvolumen von derzeit 95 Millionen Mark pro Jahr weiter nach oben treiben. Alle renommierten Systemanbieter rechnen mit zweistelligen Umsatzzuwaechsen in den naechsten zwei Jahren, und auch Beratungshaeuser freuen sich ueber die lebhafte Nachfrage nach Know- how bei EDM-Systemen.

* Andreas Beuthner ist freier Fachjournalist in Stockdorf bei Muenchen