Keine Entlastung des Arbeitsmarktes durch Arbeitszeitverkürzung

06.04.1984

Günter E. W. Möller Geschäftsführer der Fachgemeinschaft Büro- und Informationstechnik im VDMA, Frankfurt

Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit wird hierzulande mehr als in anderen Industrienationen allzu oft einseitig mit Schlagworten wie "Mikroprozessoren", "Robotereinsatz" oder "Jobkilling" infolge des Einsatzes moderner Informations- und Kommunikationstechnik begründet. Die Entwicklung der Einkommensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt aber eindeutig, daß die derzeitigen Arbeitsmarktprobleme in erster Linie kostenbedingt sind. Dies muß unvermißverständlich gesagt werden, ehe man über Arbeitszeitverkürzung als Mittel zur Entlastung des Arbeitsmarktes diskutiert.

Berechnungen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) kommen zu dem Ergebnis, daß eine deutliche Korrelation zwischen den Bewegungen am Arbeitsmarkt und der Kostensituation der Wirtschaft besteht. Nach diesen Berechnungen wird die Entwicklung des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit je Beschäftigungsstunde mit der des Volkseinkommens je Erwerbstätigenstunde verglichen. Durch diesen Bezug auf die Beschäftigten- beziehungsweise Erwerbstätigenstunden werden Arbeitszeitverkürzungen verteilungsrechnerisch erfaßt. Steigt nach diesem Konzept das Bruttoeinkommen einschließlich Arbeitszeitverkürzungen rascher als das Volkseinkommen je Erwerbstätigenstunde, so kommt es zu einer Umverteilung zu Lasten der Betriebe und zugunsten der Arbeitnehmer.

Nach dieser Berechnung des VDMA wuchsen in den 50er Jahren die Arbeitskosten einschließlich Arbeitszeitverkürzungen - deutlich langsamer, und zwar um rund neun Prozentpunkte - als das Volkseinkommen. Vor dem Hintergrund der so entstehenden Reserven an "Wohlstandsmasse" konnte seinerseit der Zustrom vieler Millionen Erwerbstätiger aus dem Osten und die Umschichtung mehrerer Millionen aus der Landwirtschaft in die Industrie bewältigt werden. Statt struktureller und demographischer Arbeitslosigkeit wurden in den 50er Jahren permanent neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Zahl der abhängig Beschäftigten nahm um 7 Millionen zu.

Bereits in den 60er Jahren wurden nach der VDMA-Berechnung fünf Prozent zuviel verteilt. Dies führte wegen der in den 50er Jahren erwirtschafteten Reserven noch nicht zur Arbeitslosigkeit, ließ aber die Zuwachsrate neuer Arbeitsplätze bereits auf zwei Millionen schrumpfen. Als jedoch in den 70er Jahren der Zuwachs an Freizeit- und Lohnkosten weiterhin über dem des Volkseinkommens je Erwerbstätigenstunde lag - es wurden allein in den fünf Jahren von 1970 bis 1975 6,5 Prozent zuviel verteilt - stieg die Arbeitslosigkeit und wurde erstmals als echtes Problem empfunden.

Die kostenmäßige Überforderung der deutschen Wirtschaft und die damit verbundene Vernichtung von Arbeitsplätzen hat sich nach kurzer Erholung in der zweiten Hälfte der 70er Jahre vor allem in den Jahren 1980 bis 1981 fortgesetzt, wo wiederum 3,7 Prozent zuviel verteilt wurden. Die dramatischen Folgen für den Arbeitsmarkt sind bis in die Gegenwart spürbar.

Es wäre dennoch verfehlt, die heutige Arbeitsmarktsituation ausschließlich unter Lohnkostenaspekten zu betrachten. Das dadurch entstandene Mißverhältnis ist durch andere Faktoren wie drastisch gestiegene Energiekosten und ungünstige demographische Entwicklungen verstarkt worden. Die Behauptung, die aktuelle Arbeitslosigkeit sei technologiebedingt, muß aber zurückgewiesen werden. Zwei Argumente mögen dies belegen:

- Zum einen hätten sich die neuen Technologien dann bereits in großem Umfang in steigenden Produktionszuwächsen niederschlagen müssen. Die Statistik zeigt jedoch das Gegenteil;

- zum anderen widersprechen sich die von den Befürwortern der Arbeitszeitverkürzung heute verwendeten Argumente mit deren frührren Aussagen. Zu Beginn der Investitionsflaute, Mitte der 70er Jahre wurde die Investitionsschwäche damit begründet, daß es keine durchgreifende technischen Innovationen gäbe. Wenn dieselben Kräfte heute behaupten, daß die seit Anfang der 70er Jahre aus den oben genannten Gründen voraussehbare Entwicklung der Arbeitslosigkeit technologiebedingt sei, muß entweder deren heutige oder die damalige Argumentation falsch sein.

Es ist nicht auszuschließen daß die neuen Technologien, wenn das daraus erwachsene Produktivitätspotential realisiert worden ist, als Ergebnis von Wohlstandsmehrung weitere Verkürzung der Arbeitszeit ermöglichen. Hierfür ist die Zeit aber noch nicht reif. Die von den Gewerkschaften geforderte 35-Stunden-Woche bei vonem Lohnausgleich ist derzeit kein geeignetes Mittel zur Entlastung der Arbeitsmarktsituation. Vor den mit einer solchen Lösung verbundenen Zusatzbelastungen unserer Volkswirtschaft haben die zuständigen Verbände und Institute unmißverständlich gewarnt.

Wenn die aktuellen Arbeitsmarktprobleme überwiegend kostenbedingt sind, so wird darüber hinaus deutlich, in welch gefährliche Sackgasse die rein technologieorientierte Diskussion führt. Es wird Zeit, daß alle Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft ihre kritische Einstellung zur neuen Technik überprüfen. Die Fragestellung sollte sich statt dessen künftig mehr darauf konzentrieren, wie wir unsere Arbeitsmarktprobleme mit Hilfe der Mikroelektronik sowie mit der modernen Informationstechnik lösen können.

Der Lösungsansatz kann dabei nur in einer stärkeren Akzeptanz der modernen Technik liegen und in der Befähigung jedes einzelnen, damit umzugehen. Unser hochindustrialisiertes Land kann sich ein "Analphabetentum" in Sachen moderner Informations- und Kommunikationstechnik nicht leisten, wenn unsere Wirtschaft weiterhin im internationalen Wettbewerb mithalten soll. Die bessere Ausbildung und Qualifizierung der Beschäftigten im Umgang mit der modernen Technik ist ein Weg, den andere Industrienationen bereits seit geraumer Zeit beschreiten, um ihre Konjunktur- und Arbeitsmarktprobleme mittel- und langfristig zu lösen. Für den einzelnen Beschäftigten bedeutet dies nicht nur Aufstiegschancen und persönliche Bestätigung, sondern vor allem die Möglichkeit, einen aktiven Beitrag zur Sicherung seines Arbeitsplatzes zu leisten.