Club of Rome präsentiert Bericht über Mikroelektronik:

Kassandra auf dem Weg ins Schlaraffenland

05.03.1982

SALZBURG (eks) - Im Salzburger ORF-Zentrum stellte der Club of Rome seinen neuesten Bericht "Auf Gedeih und Verderb - Mikroelektronik und Gesellschaft" vor. In elf Beiträgen befaßten sich hauptsächlich Sozialwissenschaftler mit den möglichen Entwicklungen und Auswirkungen des Einsatzes von Mikroprozessoren in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft.

Bruno Lamborghini aus der Abteilung für Wirtschaftsforschung bei Olivetti, betrachtete die "Auswirkungen auf das Unternehmen".

Meistdiskutierte Auswirkung ist die enorme Verringerung der Zahl der Arbeitsgänge im Produktionsablauf. Lamborghini zeigt am Beispiel der Fernmeldeindustrie, wie diese nicht nur die eigentliche Produktion sondern auch Forschung, Verwaltung und Marketing beeinflußt.

Beim Wandel vom herkömmlichen elektromechanischen Produkt zu einem mit digitaler Elektronik ausgestatteten, ändern sich sämtliche Anteile der Herstellungskosten:

Damit entstehen sowohl neue Abhängigkeiten von den Komponentenlieferanten wie auch neue Konkurrenzverhältnisse. Denn die Komponentenlieferanten müssen viel Know-how des Endprodukts haben, da sie zahlreiche seiner Funktionen bereits in die miniaturisierten Bauteile integrieren. Folgerichtig wird überlegt, mit verhältnismäßig geringem zusätzlichen Aufwand das gesamte Endprodukt selbst zu erzeugen (sogenannte Vorwärtsintegration). Umgekehrt überlegen Fertigungsunternehmen, mit der Komponentenherstellung zu beginnen, um Abhängigkeiten zu vermeiden und den verlorenen Wertzuwachs zurückzugewinnen (sogenannte Rückwärtsintegration). Mit den großen notwendigen Investitionen wächst auch der Wunsch, über den eigenen Bedarf hinaus Komponenten herzustellen.

Mikroelektronik als Produkt fördert daher nicht nur Großunternehmen überhaupt, welche die hohen Kosten der ihrerseits hochautomatisierten Produktionsprozesse tragen können, sondern gleichzeitig eine starke vertikale Konzentration in der Industrie. Lamborghini meint, daß wes die großen Konzerne, die Mikroelektronik verwenden, in den nächsten Jahren schwer haben werden, konkurrenzfähig zu bleiben und zu überleben, wenn sie solche Teile nicht selbst herstellen .

Eine drastische Verminderung der Produktlebensdauer (15 Jahre bei mechanischen, zwei bis drei Jahre bei elektronischen Rechnern) erfordert eine Verlagerung des Schwergewichts von der Produktion auf die Vorproduktionsphasen Forschung und Entwicklung sowie die Nachproduktionsphasen Marketing und Service. Es ist unwahrscheinlich, daß dieser Trend auf die Fernmeldeindustrie beschränkt bleibt und vor beispielsweise Haushalts-, Unterhaltungs- und medizinischen Geräten haltmacht.

John Evans vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut in Brüssel referierte über das Thema "Arbeitnehmer und Arbeitsplatz".

Eine Studie über die Einführung von zehn Industrierobotern in fünf Betrieben der Bundesrepublik Deutschland, wodurch insgesamt 58 Mitarbeiter betroffen waren, ergab:

Natürlich ist eine derart kleine Datenbasis zu schmal, um auf die Gesamtwirtschaft zu schließen, es dürfte andererseits kein auch nur ebensowenig repräsentatives Gegenbeispiel geben. Insgesamt, meint Evans, verdränge jeder Roboter durchschnittlich vier Arbeitnehmer und schaffe gleichzeitig einen neuen Arbeitsplatz. Wobei ein Drittel dieser neuen Arbeitsplätze jedoch weniger qualifiziert war.

Polarisierung kommt

Wiederum am Beispiel des Übergangs von der Erzeugung elektromechanischer Komponenten (Schalter, Relais) zu großen integrierten Schaltkreisen gezeigt, führte dies zum Rückgang des Anteils der Facharbeiter an der Belegschaft von 80 Prozent auf 35 Prozent, während ungelernte Arbeiter von 15 auf 35 Prozent, Ingenieure und Techniker sogar von fünf auf 30 Prozent zunahmen. Diese Polarisierung kommt durch eine leichte Zunahme bei Hochqualifizierten und eine starke Abnahme bei Facharbeitern zustande.

In seiner Kritik an der Studie bezog sich Dr. Wolfgang Tritremmel von der Industriellenvereinigung auf die zu erwartende Vervierfachung der Akademiker und Verdopplung der Maturanten (Abiturienten) in Österreich. Deren gesteigerte Ansprüche an ihre Arbeitsplätze scheinen zunächst vorteilhaft mit den obenerwähnten Veränderungen in der Belegschaftsstruktur zu korrelieren. Dabei darf man allerdings nicht übersehen, daß in absoluten Ziffern in Österreich 500 000 Akademikern und Maturanten im Jahr 1990 drei Millionen weniger qualifizierte Arbeitskräfte gegenüberstehen werden. Die Job-satisfaction der Hochqualifizierten (sofern sie eintritt) wird jedenfalls den Frust der anderen kaum mildern.

Mikroelektronik bringt auch zunehmende Kapitalintensität in ehemals arbeitsintensiven Bereichen zum Beispiel in Büros. Dies kann nach Evans zum Druck zur intensiveren Nutzung der Ausrüstung führen. Dies bringt einerseits vermehrte Schicht- und Nachtarbeit und andererseits verstärkte Beaufsichtigung mit sich. Wobei die Mikroelektronik gleichzeitig die Mittel liefert, mehr Informationen über das Leistungsverhalten der einzelnen Arbeitnehmer zu erfassen.

Günther Friedrichs, IG Metall "nach über die Relation von Mikroelektronik und Makroökonomie".

Retten die Grünen die Wirtschaft?

Daß in den Industriegesellschaften die Zahl der Beschäftigten in Landwirtschaft und auch industrieller Produktion zurückgeht, steht außer Zweifel. Daher konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Frage, ob der Dienstleistungssektor die im primären und sekundären Sektor eingesparten Arbeitskräfte aufnehmen kann.

Sinkende Beschäftigung weisen folgende Teile des Dienstleistungssektors auf:

- Transport (Information, Bahnen und Schiffahrt),

- Handel,

- Banken und Versicherungen,

- Büro,

- öffentlicher Dienst langsamer als in anderen Bereichen, aber dennoch Rückgang).

Zunehmende Beschäftigung

- Bildung und Weiterbildung

- Forschung und Entwicklung

- Sozialdienst im weitesten einschließlich Gesundheit, Betreuung, Rehabilitation etc.,

- Gastgewerbe und Fremdenverkehr,

- Transport (Lkw und Luft).

Friedrichs meint jedoch, daß zwar einige Unternehmen große Wachstumsraten erreichen und zusätzliches Personal einstellen werden. Da die neue Technik jedoch stets neue Möglichkeiten eröffnet, wird es einige Unternehmen geben, welche die Risiken der Innovation falsch einschätzen. Andere werden scheitern, weil sie die Notwendigkeit von Innovation nicht rechtzeitig erkannten. Daher werden hochentwickelte Länder, die bereits hohe Arbeitslosigkeit haben, nicht in der Lage sein, diese abzubauen. Am stärksten werden Frauen betroffen sein. In einer über den Bericht diskutierenden Fernsehrunde meinte man, Aussteiger und Pfuscher würden zum Entstehen eines "quartären Wirtschaftssektors" beitragen, aus dem sich sogar eine heute kaum vorhersehbare nachindustrielle Gesellschaftsform entwickeln könne.

Friedrichs vermutete zudem, Mikroelektronik werde die Möglichkeit bieten, durch hochautomatisierte Billigkostensysteme, derzeit in Niedriglohnländer verlagerte Produktionen wieder zurückzuholen. Damit würden die Beschäftigungsprobleme in den Entwicklungsländern noch größer.

Insgesamt stimmen alle Autoren überein, daß mehr Programmierer und Systemanalytiker benötigt werden. Es sei aber nicht anzunehmen, daß die Herstellung von Software all diejenigen aufnehmen wird, die ihre Arbeitsplätze durch die Einführung neuer Hardware verlieren.

Klaus Lenk, Professor für Verwaltungswissenschaft in Oldenburg, betrachtete "Informationstechnik und Gesellschaft".

Sein Teil des Berichts hinterläßt vor allem den Eindruck, die Informationstechnik werde zur Zunahme undurchschaubarer Abhängigkeiten und zu Informationsmonopolen führen. Datenschutzgesetze lenkten von dieser generellen Problematik ab, indem sie dem Individuum Rechte für Einzelfälle zubilligen. Größere Organisationen ziehen aus dem EDV-Einsatz jedenfalls größeren Nutzen als machtlose einzelne. Die Gesellschaft werde zusehends vom Funktionieren; großer, zentralisierter EDV-Systeme abhängig, ohne daß die Frage nach Schutz und Redundanz beantwortet, ja ohne daß sie überhaupt gestellt wurde.

G. Friedrichs, A. Schaff; Auf Gedeih und Verderb - Mikroelektronik und Gesellschaft, Europaverlag Wien, 367 Seiten, 208 Schilling.

In der Diskussion über den neuen Bericht des Club of Rome sowie die einige Wochen vorher erschienene Studie über den Mikroelektronik-Einsatz in Österreich (CW 4 und 5/82) stand vor allem die Arbeitsmarktfrage im Vordergrund. Dies veranlaßte die österreichische Industriellenvereinigung zu einer ziemlich geharnischten Ablehnung beider Studien. Wenngleich man über das präsentierte Zahlenmaterial und die daraus gezogenen Schlüsse durchaus verschiedener Meinung sein kann, so enthalten doch beide Berichte auch viele positive Aspekte. In diesem Sinn ist der Club-of-Rome-Bericht als eine Frühwarnung zu verstehen, an der mittleres und höheres Management ebenso wie Politiker nicht vorübergehen sollten. Im nebenstehenden Beitrag wird auf einige Details eingegangen. Die ständigen Leser der "Österreichseite" in der CW bittet die Redaktion um Verständnis für das Weglassen des üblichen Signets: schließlich hat die Salzburger Veranstaltung des Club of Rome die Aufmerksamkeit aller verdient.