KANBAN-Harakiri der deutschen Mentalität

14.12.1984

Von Prof. Horst Wildemann *

Produktionssteigerung durch Optimierung des Materialflusses und der gesamten Logistik - von der gemeinsamen Entwicklung von Teilen durch Zulieferer und Weiterverarbeiterer über die möglichst kostengünstige Produktion bis hin zur Disposition - ist zur Zeit eine höchst aktuelle Rationalisierungsaufgabe. Neue Wege zur Erfüllung dieser Aufgabe werden in Logistikkonzepten wie der Just-in-time-Produktion, im Kanban-System und der materialflußorientierten Logistik aufgezeigt.

Über 30 Unternehmen aus verschiedenen Branchen haben in einem Forschungsprojekt diese Logistikkonzepte in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. H. Wildemann, Universität Passau, eingeführt und erprobt. Die Erfahrungen mit diesem Pilotprojekt wurden in dem Buch "Flexible Werkstattsteuerung durch Integration von Kanban-Prinzipien" zusammengefaßt. Der Autor des folgenden Beitrags schildert die Methodik und die Wirkungsweise dieses Systems.

Der japanische Begriff Kanban bedeutet in der Übersetzung etwa "Karte" oder "Schild". Er kennzeichnet ein System zur Materialflußsteuerung, das die Toyota Motor Company während des Korea-Krieges entwickelte, um in festgelegten Zeitabständen eine bestimmte Menge an Fahrzeugen an die amerikanischen Truppen abzuliefern.

Das übliche Verfahren zum Starten und zur Steuerung beziehungsweise Kontrolle der Produktion in einem mehrstufigen Verarbeitungssystem besteht darin, die zu fertigenden Teile beziehungsweise Artikel durch die einzelnen Phasen zu "drücken", bis sie fertig sind. Dieses Konzept führt häufig zu großen in Bearbeitung befindlichen Beständen sowie zu Schwierigkeiten bei der zeitlichen Planung. Im Gegensatz dazu verwendet man bei Kanban-Systemen die letzte Produktionsphase als Ausgangspunkt für die Steuerung. Die Signale zum Anfertigen und Kaufen werden von der letzten Verbrauchsstufe aus mit Hilfe eines speziellen Informationsdokuments - der sogenannten Kanban-Karte - erteilt. Dies könnte man als "Zieh"-System bezeichnen, da jede Phase die Artikel aus der vorherigen "herauszieht" beziehungsweise entnimmt. Das Ziel des Systems besteht darin, eine Situation zu erreichen, wo die Artikel "gerade rechtzeitig" bei den einzelnen Stufen ankommen, wodurch der Bestand an in Bearbeitung befindlichen Teilen verringert und eine bessere Einhaltung des Produktions-Zeitplans gewährleistet wird.

Die Grundidee des Kanban-Systems stammt von einem leitenden Angestellten der Toyota Motor Company, der sie vor über 35 Jahren entwickelte. "Es müßte möglich sein, den Materialfluß in einem Produktionssystem nach dem Supermarkt-Prinzip zu organisieren, das heißt, ein Verbraucher nimmt einen Artikel aus dem Regal, die Lücke im Regal wird festgestellt und der Artikel wieder aufgefüllt." Dieses Konzept mußte sich auf viele Fertigungsbetriebe und Organisationen anwenden lassen. Als Ausgangsdokument für Informationen über die Artikel sowie für deren Kontrolle wird ein Beleg beziehungsweise eine Kanban-Karte eingeführt. Diese Karte enthält folgende Angaben:

- die Spezifikation des Artikels, das heißt, Teile-Nummer, Bezeichnung und gegebenenfalls eine Skizze;

- die Spezifikation des Behälters, das heißt, Typ und Anzahl der Teile pro Behälter;

- die Herkunft (Liefer-Abteilung) der Teile;

- den Bestimmungsort der Teile;

- eine Kontrollnummer für das Los, die Charge beziehungsweise den Auftrag;

- Datum und Uhrzeit, wann der Artikel fertig sein muß.

Die Karte vermittelt auf diese Weise alle Angaben über einen Artikel zwischen der liefernden und der verbrauchenden Abteilung, das heißt, von Rohmaterial-Lieferer an Fertigung, von Fertigung an Montage, von Lieferer an Lager, von Lager an Montage, von Lagerhaus an Verkaufsstelle oder jede andere folgende Aktivität im Rahmen des gesamten Verarbeitungs- und Vertriebssystems. Bei Eintreffen der Karte beginnt die Liefer-Abteilung entweder damit, den Artikel für den Transport vorzubereiten oder aber den Artikel in der angegebenen Stückzahl herzustellen. Es ist wichtig, daß die vorgeschriebene Stückzahl in den richtigen Behälter gegeben wird. Ist der Behälter fertig, wird er mit der anhängenden Karte zur Verbraucherabteilung transportiert. Werden die Lagerbestände eines Artikels aufgebraucht oder sinkt der Bestand bei der Verbraucherabteilung auf einen vorgeschriebenen Mindestwert, wird die Karte abgenommen und wieder an die liefernde Abteilung (oder den Lieferer) zurückgeschickt. Dieser Zyklus wird nach Bedarf wiederholt. Die Gesamtmenge kann anhand der Umlaufhäufigkeit der einzelnen Karten beziehungsweise aufgrund der erledigten und noch in Umlauf befindlichen Karten berechnet werden.

Umgekehrt wird die Menge der täglich zu liefernden Teile, anhand der in Umlauf befindlichen Kartenanzahl bestimmt. Die erforderliche Anzahl Karten wird aus der Stückzahl der Teile pro Behälter, der Produktionszeit und der Transportzeit für das Material sowie die Rückgabe der Karten berechnet. Es ist zu beachten, daß ein solches Kontroll- bzw. Steuersystem nicht unbedingt eine Kontrollkarte benötigt, da moderne Datenerfassungssysteme wie optische oder Magnetkartenleser zur automatischen Produktionszählung, Datensammlung und -weitergabe eingesetzt werden können.

Die einzelnen Produktionsbereiche oder Aktivitäten sind über die Kontrollkarte miteinander verbunden, da letztere den Informationsfluß liefert und den Materialfluß steuert. Auf diese Weise wird eine "gerade rechtzeitige" Produktion in allen Phasen sichergestellt, und für die Montageabteilungen kann das "Zieh"-Prinzip - die Basis des Kanban-Systems - realisiert werden. Auf der Grundlage des Bedarfs der letzten Produktionsstufe wird eine Art Saugwirkung erzeugt, wenn der Bestand an Teilen zu niedrig ist. Dieser Bedarf wird gedeckt, indem Material aus der vorangehenden Abteilung entnommen wird. Der Materialfluß setzt sich auf diese Weise bis zur untersten Produktionsstufe fort. Im Endeffekt ist dieser Lösungsansatz identisch mit dem häufig in der Praxis beobachteten Vorgehen, das heißt, der bewußten Schaffung einer Überkapazität im Montagebereich, um so die Bestände in den Produktionsbereichen niedrig zu halten.

Das Neue am Kanban-System liegt in der konsequenten Anwendung industrieller Management-Prinzipien zur Erreichung der folgenden Ziele:

- kurze Durchlaufzeiten bei

- flexibler Produktion und

- minimalen Beständen.

Diese Zielsetzungen lassen sich verwirklichen, indem man folgende Regeln beachtet:

- Nur "einwandfreie" Produkte dürfen weitergeleitet werden, das heißt, die Qualitätskontrolle erfolgt durch das Betriebspersonal.

- Jeder einzelne Verbraucher fordert von der vorherigen Abteilung nur die benötigte Menge an, das heißt, es werden keine Übermengen bestellt.

- Es sollte nur die exakte, vom Verbraucher bestellte Stückzahl produziert werden.

Die Beachtung dieser Regeln führt zu einem Minimum an in Bearbeitung befindlichen Teilen sowie zur Erkennung von Produktionsengpässen. Solche Engpässe können aufgrund von Personal- oder Maschinen-Problemen in Zusammenhang mit Kapazität und Gleichgewicht auftreten. Auch können gelegentlich Probleme in bezug auf die Materialqualität auftreten, die den Materialfluß beeinträchtigen oder unterbrechen können.

Der Erfolg des Kanban-Systems ist von der Planung der Verbraucherabteilungen abhängig, die bereits die Pläne für die vorangehenden Abteilungen beinhalten. Der Zeit- und Kostenaufwand für die Aufzeichnung und Rückmeldung der Produktionsdaten wird verringert, während gleichzeitig die Kontrolle und Überwachung des Bestands auf Werkstatt-Ebene vereinfacht werden. Es ist zu beachten, daß ein Kontrollsystem nicht unbedingt auf einer Kanban- oder Kontrollkarte basieren muß, da man moderne Datenerfassungsgeräte wie optische und Magnetkartenleser zur automatischen Produktionszählung, Datensammlung und -weitergabe einsetzen kann.

Für das Kanban-System ist eine Hauptplanungs-Funktion erforderlich. Diese umfaßt eine Auftragsplanung, um kurzfristige Ziele festzulegen, und erlaubt außerdem in gewissem Maße die Änderung der Pläne. In Japan werden die Pläne häufig minutengenau erstellt, um anzugeben, wann ein Teil oder ein Los zu produzieren und zu liefern ist. Um den Tagesplan erfüllen zu können, werden sogenannten Mehrzeit-Aufträge, deren Kapazitätsbedarf einen Arbeitstag überschreitet, in kleinere Aufträge aufgeteilt. Auf diese Weise lassen sich die Vorteile von Großaufträgen mit ihren niedrigen Verwaltungskosten pro Stück und die Vorzüge geringer Lagerbestände sowie eine schnelle, flexible Reaktion auf Änderungen des Tages- oder Gesamtvolumens miteinander verbinden.

Ein wirksames Planungs- und Kontrollsystem kann für einen Hauptplan realisiert werden, der sich über mehrere Monate erstreckt. Darüber hinaus dürfte der Planungs-Kostenaufwand durch eine hohe Kontinuität des Teileverbrauchs gesenkt werden, die sich durch Auslegung von Teile-Familien und Standardisierung erzielen läßt. Aufgrund der Standardisierung ist es in Japan möglich, mit nur etwa 50 Prozent der verschiedenen Teile auszukommen, die für gleichwertige Produkte westlicher Hersteller benötigt werden. Da jedoch keine Produktion unbeeinflußt von Nachfrageschwankungen und anderen Störungen erfolgen kann, besteht eine ständige Notwendigkeit an Verbesserungen und Flexibilität.

Das Kanban-System verlangt hochqualifizierte Mitarbeiter und eine dezentrale Personal-Zuweisungsstelle, um rasch auf kurzfristige Kapazitätsschwankungen reagieren zu können. Die Einhaltung des Tagesplans hat Vorrang gegenüber der normalen Arbeitszeit der Mitarbeiter. Daher endet ein Arbeitstag nicht nach acht Stunden, sondern erst dann, wenn der Plan erfüllt ist. Die Betriebsgewerkschaft hat jedoch ein Auge auf die Pläne, damit die Arbeitszeit im Durchschnitt acht Stunden pro Tag nicht überschreitet. Die vorübergehenden Kapazitätsanpassungen werden weiterhin durch Maßnahmen ergänzt, mit denen die Mobilität der Mitarbeiter (Beschäftigung an verschiedenen Stellen) sichergestellt werden soll. Flexibilität ist möglich, da die Mitarbeiter im allgemeinen über einen hohen Ausbildungsstand verfügen (98 Prozent haben Abitur, 35 Prozent einen Universitätsabschluß). Die Bezahlung der Mitarbeiter ist nicht nur von deren Qualifikation abhängig, sondern auch von der Dauer der Firmenzugehörigkeit. Außerdem ergeben sich keine finanziellen Nachteile, wenn der Mitarbeiter für eine Aufgabe auf niedrigerer Ebene eingesetzt wird. Auf diese Weise ist es nicht schwierig, einen Mitarbeiter dazu zu bewegen, eine andere Aufgabe bzw. Arbeit zu übernehmen, da erstens keine finanziellen Nachteile auftreten, selbst wenn es sich um eine niedriger qualifizierte Arbeit handelt, und zweitens er sich stark verpflichtet fühlt, auf jede mögliche Weise zum Nutzen der Abteilung und des Unternehmens beizutragen.

Die Motivation, für das Wohl des Unternehmens zu denken und zu arbeiten, läßt sich zum Teil dadurch erklären, daß jede zusätzliche Belohnung (Bonus) sehr stark vom gesamten wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens abhängig ist. 1979 zahlte die Toyota Motor Company einen Bonus von durchschnittlich 6,3 Monatsgehältern. Allgemein heißt es, dieses Vorgehen habe es den Mitarbeitern gestattet, sich mit ihrer Arbeit zu identifizieren. Sie versuchen, Fehler auszuschließen, Verbesserungen durchzusetzen und einfach "ihr Bestes zu geben". Die Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen und der Anteil angenommener Verbesserungen sprechen ebenfalls für dieses Vorgehen.

Flexible Produktionsanlagen müssen geschaffen werden, um Kapazitäten auszugleichen und Umstellungs- oder Rüstzeiten zu verringern. In den Fertigungsbetrieben westlicher Unternehmen werden nur selten Fördersysteme eingesetzt, um Teile zwischen den einzelnen Funktionsbereichen zu transportieren. Der Hauptgrund dafür ist in den kleinen Losgrößen und der Notwendigkeit zu sehen, daß die kapitalintensiven Geräte und Anlagen dieser spezialisierten Bereiche optimal ausgelastet werden. In Japan ist neben der Standardisierung auch die Anwendung der "Gruppentechnologie" sehr weit fortgeschritten. Abgesehen von der Klassifizierung und Codierung von Bauteilen in Familien oder Serien, sind die verschiedensten Produktionsmittel derart angeordnet, daß die nötigen Arbeitsschritte zur Herstellung oder Montage einer Teile-Familie innerhalb einer Maschinengruppe erfolgen können.

Dies führt zu einer Quasi-Serienproduktion, wobei angenommen werden kann, daß das in Bearbeitung befindliche Material ebenso wie die Durchlaufzeiten deutlich verringert werden. Durch die Anwendung dieser Gruppentechnologie lassen sich die Verarbeitung auf mehreren Maschinen sowie die überlappende Produktion unterschiedlicher Lose mit einem geringeren Kostenaufwand als bei Trennung in reine Tätigkeitsbereiche realisieren.

Ein möglicher Nachteil könnte eine geringere Nutzung der Kapazitäten sein. Man muß möglicherweise längere Stillstandszeiten der Maschinen hinnehmen, um die gewünschte Flexibilität aufrechtzuerhalten. Um diese Kosten der ungenutzten Maschinenzeiten zu verringern, wurden jedoch technologische Programme und Maßnahmen zur Senkung der Rüstzeiten eingeführt. In Japan beträgt beispielsweise die Zeit zum Werkzeugwechsel in einer Kfz-Preßanlage nur 5 bis 10 Minuten, während eine ähnliche Umstellung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 3 und 5 Stunden dauert. In einem japanischen Automobil-Reifenwerk dauert der Werkzeugwechsel nur 7 bis 12 Minuten, in der Bundesrepublik aber 2 bis 4 Stunden. Zusätzlich zur Konstruktion von Fertigungsanlagen mit kurzen Werkzeugwechselzeiten und der Installation spezieller Einrichtgeräte ist das Einricht- und Bedienpersonal speziell für die Durchführung schneller Werkzeugwechsel ausgebildet. Außerdem fällt in Japan das Ende einer Schicht häufig nicht mit dem Anfang der nächsten zusammen, so daß Voreinstellungs- und Wartungsarbeiten außerhalb des normalen Schichtbetriebs ausgeführt werden müssen.

Auch wenn kleinere Wartungs- und Instandhaltungsaufgaben häufig vom Bedienpersonal ausgeführt werden, muß gut ausgebildetes, professionelles Wartungspersonal verfügbar sein. Um Maschinenstörungen zur Verkürzung von Stillstandszeiten auf ein Minimum in kürzester Zeit beheben zu können, muß das Wartungspersonal umfassend ausgebildet sein. Nur auf diese Weise ist es möglich, die Pläne einzuhalten und eine Unterbrechung des Produktionsflusses zu vermeiden. Dies ist jedoch nur zu erreichen, wenn die Spezialkenntnisse des Wartungspersonals durch intensive Aus- und Weiterbildung sowie durch Ausdehnung ihrer Zuständigkeiten noch umfassender werden. Kenntnisse auf Gebieten wie Elektrotechnik, Elektronik, Mechanik und Hydraulik sind für sämtliche Mitarbeiter in dieser Gruppe absolut erforderlich. Momentane und künftige Zeitverluste können auch erheblich verringert werden, indem das Wartungspersonal bei der Installation neuer oder geänderter Anlagen zur Unterstützung eingesetzt wird.

Das Kanban-System verlangt, daß nur einwandfreie Teile an den Verbraucher, das heißt, die nächste Produktionsphase, weitergeleitet werden. Dies ist eine unumstößliche Regel, da keine Ersatz- beziehungsweise Reserveteile eingeplant sind. Sollte eine vorangehende Produktionsabteilung fehlerhafte Teile produzieren oder weitergeben, so würde dies in jeder der nachfolgenden Abteilungen zu Engpässen und Materialknappheit führen. Die Einführung der Kanban- oder Kontrollkarte trägt zu einer Verringerung des Ausschusses bei, da sie "selbst aussagekräftig" ist. Der Arbeiter erhält seine Aufträge nicht mehr von einer anonymen Produktionskontrollabteilung (mit einer implizierten übergeordneten Autorität), sondern er bekommt eine Anforderung von einem Kollegen des nächsten Produktionsbereichs. Auf diese Weise fühlen sich die Mitarbeiter in höherem Maße für das Ergebnis ihrer Arbeit verantwortlich, da sie die Folgen der Weitergabe fehlerhafter Teile besser einschätzen können. Auch wird hierdurch die Integration des gesamten Produktionssystems verbessert. Darüber hinaus können Fehler früher erkannt und zum Verursacher zurückverfolgt werden.

Als Ergebnis dieser hohen Motivation, der Qualitätskontroll-Ausbildung und der Verpflichtung zur Qualität benötigen japanische Firmen nur 25 Prozent des Prüfpersonals, das in westlichen Firmen erforderlich ist, um eine gleich hohe Produktqualität aufrechtzuerhalten. Japanische Prüfer und Qualitätskontroll-Mitarbeiter sind nicht vorwiegend damit beschäftigt, Prüfberichte und Fehleranalysen zu schreiben, sondern sie werden angewiesen, Probleme zu identifizieren und sofort zu korrigieren.

Der Mitarbeiter in der Produktion, speziell in Montagebereichen, erhält Gelegenheit, Fehler sofort zu korrigieren, egal ob er den Fehler selbst versucht hat oder ihn als erster erkennt. Bei Honda darf beispielsweise jeder Mitarbeiter das Montageband anhalten, wenn er einen Fehler feststellt oder seine Aufgabe nicht erledigen kann. Folglich können Reparaturen am Ende der Fertigungsstraße oder auch noch nach Auslieferung praktisch auf Null reduziert werden, wodurch die Reparaturkosten sehr niedrig gehalten werden können. Diese hervorragende Einstellung der Mitarbeiter zu ihrer Firma und ihr gutes Verhältnis zur Firma und zu ihren Kollegen bieten in Verbindung mit den sehr kurzen Zykluszeiten pro Arbeitsstation die Möglichkeit, Fehler rasch zu erkennen und auszuschalten.

Das Materialtransportsystem muß so organisiert sein, daß ein kontinuierlicher Durchsatz ohne längere Stillstandszeiten erreicht wird. Da die Anlieferung der extern produzierten Teile direkt am Ort des Verbrauchs erfolgt, entfällt eine Eingangsprüfung. Auf diese Weise stützt sich die Qualität nicht auf eine Reihe von Eingangsberichten und Prüfungsergebnissen, sondern auf die Verantwortlichkeit des einzelnen, der Abteilung beziehungsweise des Lieferers in der vorherigen Phase.

Um die Lagerbestände zu verringern und den Materialfluß in der Automobilindustrie zu beschleunigen, laufen Transferstraßen von den Fertigungsbereichen häufig parallel zu den Montagebändern. Die Transportsysteme für die Teileproduktion beruhen oft auf führerlosen Fördergeräten. Die Steuerung des Transportsystems erfolgt über Kanban-Karten oder optische Signale.

In Anbetracht der vielen zu erfüllenden Bedingungen und Voraussetzungen stellt sich die Frage, ob ein Kanban-System kurzfristig oder überhaupt eingeführt werden kann. Die Erfahrung hat gezeigt, daß eine allmähliche Umstellung einiger Abteilungen auf ein Kontrollkarten-System möglich ist. Auch die Einführung eines Kartensystems für geteilte Zyklen ist realisierbar. Hierbei wird ein Zwischenlagerbereich eingerichtet, der das System gewissermaßen in zwei getrennte Regelkreise aufteilt, anstatt sich mit den kritischen Faktoren eines einzigen Regelkreises auseinandersetzen zu müssen. Der Zwischenlagerbereich wird zum Verbraucher für die vorangehenden Abteilungen bzw. zum Lieferer für die nachgeordneten Abteilungen. Nach einer gewissen Betriebszeit müßte es möglich sein, die Rolle dieses Zwischenlagers auf einen "Puffervorrat" zu beschränken, um Störungen durch Änderungen der Pläne und Ausschuß-Produktion auszugleichen. Wird also ein Engpaß festgestellt, so liefert dies ein Signal zur Anpassung der Planungsgültigkeit und gleichzeitig zur Verringerung von Verzögerungen. Als Ergebnis dieses Vorgehens dürften sich eine Senkung der Ausschußrate, der Wunsch, die Einrichtzeiten zu kürzen, sowie höhere Flexibilität ergeben. Jede Knappheit an Material wird in gewissem Maße entschärft und aufgefangen, und die Überwachung der verschiedenen Produktionsabteilungen kann einfacher werden.

Bis heute haben nur Firmen mit Großserien-Produktion das Kanban-System eingesetzt. Neben Toyota, dem Entwickler dieses Systems, waren dies vor allem Kfz-Hersteller. Nissan, Yamaha und Kawasaki arbeiten mit prinzipiell gleichartigen Systemen, die jedoch einen anderen Namen haben. Auch Großunternehmen der Elektronik-Industrie sowie Hersteller von Haushaltsgeräten haben ähnliche Konzepte realisiert. In solchen Firmen lassen sich die Bedingungen in bezug auf Planung sowie eine stabile Produktionsrate ohne große zusätzliche Investitionen erzielen.

Das System ist ungeeignet für Hersteller von kundenspezifischen Produkten wie Werften oder andere Lohnhersteller. Für die vielen Firmen zwischen diesen Extremen, insbesondere, wenn sie eine Serienfertigung unterhalten, lassen sich Möglichkeiten für einen wirtschaftlichen Einsatz der Kontrollkarten-Techniken schaffen, indem die Bauteile stärker standardisiert werden und die Produktion zwecks Erfüllung der genannten Anforderungen umgestellt wird.

Die Kontrollkarten zirkulieren stets zwischen den produzierenden und den verbrauchenden Abteilungen. Räumliche Nähe und eine kleine Zahl von Lieferern oder Unterauftragnehmern sind besonders vorteilhaft, weil so eine schnelle Reaktion und eine hohe Lieferhäufigkeit erzielt werden können. Dieses Kontrollkarten-System und das Materialfluß-System können gewinnbringend zur Verringerung der Lagerbestände eingesetzt werden, wenn nur das eine Kriterium der sich wiederholenden identischen Aufträge erfüllt ist.

Die Anwendung des Kanban-Konzepts wird derzeit bei einigen bundesdeutschen Unternehmen erprobt. Die ersten Erfahrungen zeigen, daß das Kanban-Konzept in modifizierter Form einige Vorteile bietet. Durch die deutliche Verringerung der Lagerbestände infolge der "gerade rechtzeitigen" Produktion lassen sich die Investitionskosten deutlich senken. Darüber hinaus können die Unternehmen besser auf den sich ändernden Marktbedarf reagieren und ihre Wettbewerbsposition stärken, indem sie die Fertigungs-Vorlaufzeiten verkürzen. Weitere Vorteile ergeben sich aus dem Druck der Kanban-Karten, ein stabileres Produktionssystem zu gewährleisten und die Flexibilität von Mitarbeitern und Anlagen zu erhöhen.

Die Standardisierungsbemühungen führen zu einer Kostensenkung bei der Konstruktion und Produktionsplanung; es ist weniger Lagerplatz nötig, und wegen der niedrigeren Klassifikation der erforderlichen Arbeiten bestehen größere Möglichkeiten zur Automatisierung. Flexiblere Produktionsanlagen mit kurzen Werkzeugwechselzeiten führen auch zu einer verbesserten Anpassungsfähigkeit bei sich ändernden Aufgaben und verkürzen Arbeitsunterbrechungen. In Japan sind die Produktionsmaschinen im Hinblick auf die Gesamt-Anlagenkapazität ausgelegt, so daß kaum Zwischenlager zwischen einzelnen Fertigungsschritten benötigt werden. Dies vereinfacht die Kontrolle und gestattet eine bessere Ausnutzung der Maschinen.

Produktivitätssteigerungen werden in japanischen Firmen nicht durch stärkere Arbeitsspezialisierung erzielt, sondern durch umfassendere Ausbildung, flexible Aufgabenzuweisung, stabile Lohnprogramme, Anerkennung von Verbesserungsvorschlägen der Mitarbeiter sowie Gruppen-Bonussysteme. Die Programme zur Vergrößerung und Anreicherung der zugewiesenen Aufgabenbereiche haben sehr positive Auswirkungen auf die Qualität der Produkte und senken die Anzahl indirekter Mitarbeiter. Die Kosten in Zusammenhang mit Produkten schlechter Qualität werden deutlich gesenkt, was zu einer weiteren Verbesserung der Wettbewerbsposition führt. Darüber hinaus tragen die stärkere Motivation und die höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter sowohl zu niedrigeren Krankheits- und Fehlzeiten als auch zu einer besseren Kooperation innerhalb des gesamten Unternehmens bei.

* Professor Dr. Horst Wildemann ist Lehrstuhl-Inhaber für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Fertigungswirtschaft an der Universität Passau.