Von den wichtigen Projekten scheitert jedes sechste

IT-Planning-Studie 2013

18.06.2013
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Was Planungsdauer und -horizont angeht, haben die IT-Spezialisten im deutschsprachingen Raum (DACH) ihren Kollegen in Großbritannien und Nordamerika viel voraus. Trotzdem sind auch sie nicht vor dem Scheitern kritischer Projekte gefeit.
Foto: Calado, Fotolia.com

Geschäftskritische IT-Projekt gibt es in fast jedem Unternehmen: Nur vier von hundert IT-Entscheidern sind offenbar der Ansicht, ihre Vorhaben hätten allenfalls schwache Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse. Im Raum Deutschland, Österreich und Schweiz ist das Bewusstsein der eigenen Bedeutung besonders ausgeprägt. Hier können die IT-Verantwortlichen sogar „eine ganze Reihe“ von IT-Projekten nennen, die sich maßgeblich auf die Arbeitsabläufe in den Fachabteilungen oder die Business-Prozesse des Gesamtunternehmens auswirken. In den USA und in Kanada sind es durchschnittlich 44 Prozent, im Vereinigten Königreich 18,5 Prozent.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage unter etwa 255 CIOs und CFOs aus dem Dezember vergangenen Jahres. Sie wurde vom Berliner IT-Planungs-Tool-Anbieter Alfabet und der COMPUTERWOCHE-Schwesterpublikation „CFOworld“ in Auftrag gegeben; für die Ausführung zeichnete IDG Business Research Services in Kooperation mit den Redaktionen von COMPUTERWOCHE und „CIO“ verantwortlich. Zeitgleich befragt wuden 94 Teilnehmer aus der DACH-Region, 81 aus Großbritannien und 80 aus Nordamerika.

Mit dem Verlauf ihrer geschäftskritischen Projekte sind die IT-Entscheider nur bedingt zufrieden – und das, obwohl sie zum Teil selbst die Verantwortung dafür tragen. Das gilt vor allem für den geografischen Raum DACH. Dort ist fast ein Viertel der Umfrageteilnehmer „eher nicht zufrieden“. Über die Grundgesamtheit ist es nur jeder zehnte. Im Vereinigten Königreich liegt dafür der Anteil derjenigen, die den Verlauf ihrer Business-kritischen Projekte gerade noch tolerabel finden („eher zufrieden“), bei mehr als der Hälfte.

Was bedeutet Scheitern?

Da erstaunt es wenig, dass etwa drei Viertel der Befragten mindestens einmal das Scheitern eines geschäftskritischenIT-Projekts miterleben mussten. Mehr als zehn Prozent sagten sogar, das sei „schon häufiger“ vorgekommen. Was „Scheitern“ bedeutet, erläutert Christian Weichelt, Director Marketing & Strategy bei der Alfabet AG, folgendermaßen: Das Projekt wurde abgebrochen, die veranschlagten Werte für Kosten beziehungsweise Zeit wurden um ein Drittel überschritten, oder der Nutzen blieb aus. Vor allem der letzte Punkt ist sicher Interpretationssache: „Es gibt andere Untersuchungen, nach denen 93 der IT-Projekt den Erwartungen nicht entsprechen“, so Weichelt, „die von uns befragten IT-Entscheider haben da sicher eine widersprechende Wahrnehmung.“

Wie die Unternehmen mit gescheiterten Projekten umgehen, ist je nach Region unterschiedlich: In Nordamerika werden 58 Prozent dieser Vorhaben konsequent abgebrochen. Im deutschsprachigen Raum sind es knapp 21 Prozent. Hier nehmen 35 Prozent der betroffenen Unternehmen eine deutliche Verzögerung in Kauf, 22 Prozent eine drastische Verteurung. Beide Werte liegen in den USA und in Kanada signifikant niedriger. Bemerkenswertes Durchhaltevermögen zeigen die Unternehmen in Großbritannien: Etwa 96 Prozent schiffbrüchigen IT-Vorhaben werden in den Zielafen geschleppt – egal, wie lange das dauern mag.

Die Ursache für das Scheitern geschäftskritischer Projekte liegt häufig in einem Kommunikationsproblem. Das belegen die Antworten auf die Frage: „Sind in Ihrem unternehmen schon IT-Projekte gescheitert oder auf Eis gelegt worden, weil an andere Stelle Entscheidungen getroffen wurden, die zum Zeitpunkt der Projektplanung nicht bekannt waren?“ Fast zwei Drittel der Befragten räumten ein, dass sei zumindest “schon vereinzelt vorgekommen.“ Solche Erkenntnisse spielen Alfabet in die Karten. Bemüht sich das Softwareunternehmen doch schon seit Jahren, den IT-Organisationen klarzumachen, dass ein gutes Projekt-Management noch keinen erfolgreichen Abschluss des IT-Vorhabens garantiert.

„Die Projektplanung muss wissen, in welchem Kontext sie steht“, sagt Weichelt. Wenn sich behördliche Regularien oder unternehmerische Entscheidungen ändern, muss der Projektleiter davon wissen – oder er läuft Gefahr , einen Misserfolg zu produzieren, obwohl er in time, in budget und gemäß der Anforderungen abliefert.

DACH ist Planungsweltmeister

Diese Gefahr wächst mit der Länge der Projektlaufzeit. Sie beträgt für geschäftskritische IT-Vorhaben im deutschsprachigen Raum durchschnittlich 13 Monate. Vorangegangen ist eine im Mittel etwa sechsmonatige Planungsphase. Was den Stellenwert der Projektplanung angeht, werden die Deutschen, Österreicher und Schweizer ihrem Ruf gerecht: Sie planen geschäftskritische IT-Projekt im Durchschnitt fast viermal so lang wie ihre Kollegen in Großbritannien.

Vielleicht liegt es daran, dass sich die DACH-Unternehmen so schwer damit tun, Projekte endgültig abzubrechen. Etwas Nachholbedarf haben die DACH-Unternehmen hinsichtlich der Ausrichtung ihrer Planungsprozesse: Nur 56 Prozent planen fortlaufend; in Nordamerika sind es 65 Prozent, in Großbritannien 59 Prozent. Hierzulande wird gern „genau einmal im Jahr“ die große Planungsrunde eingeläutet (23 Prozent), in UK plant man dafür gern „bei Bedarf/auf Anfrage“ (33 Prozent).

Die meisten der befragten Unternehmen, genauer gesagt: 94 Prozent im internationalen Durchschnitt, haben eine regelmäßig Überprüfung ihrer Planung vorgesehen. Im Raum DACH liegt dieser Wert allerdings nur bei 90 Prozent. Immerhin tun es die Unternehmen, die es tun, hierzulande relativ häufig: Die Planungsrevision findet etwa alle drei Monate statt.

Interne Entscheidungshilfe

Zudem greifen die Unternehmen hierzulande auf besonders viele interne Datenquellen zu, um ihre strategischen Entscheidungen abzusichern; im Durchschnitt sind es 5,2. Allerdings haben auch etwa zwölf Prozent der Befragten im DACH-Raum keine Ahnung, auf welche Quellen sich solche Entscheidungen stützten. Bei ihren Kollegen auf der anderen Seite des Atlantik kommt das praktisch nicht vor.

EAM und die Deutschen Tugenden

Karin Quack, Redakteurin COMPUTERWOCHE
Karin Quack, Redakteurin COMPUTERWOCHE

Das Zeugnis, das Christian Weichelt den deutschen IT-Bereichen ausstellt, liest sich gut: Sie seien in der Beziehung zum Business bereits weit fortgeschritten; ihre Grundlagenprobleme hätten sie weitgehend gelöst; das „ganzheitliche Wertdenken“ sei relativ stark ausgeprägt, so der Direktor Solution Marketing des Softwareanbieters Alfabet. Inwieweit belegt das die von Alfabet in Auftrag gegebene „IT-Planning-Studie“?

Hier zeichnen sich die Unternehmen im deutschsprachigen Raum vor allem durch folgende Kriterien aus: relativ hohe Unzufriedenheit mit dem Verlauf geschäftskritischer IT-Projekte, weit über dem internationalen Durchschnitt liegende Toleranz, was die Überschreitung von Projektbudgets angeht, außerordentlich lange Projektplanungsphasen und sorgfältig Absicherung von Entscheidungen durch die Nutzung vieler interner Datenquellen. Und wie passt das nun zusammen? Man möchte hier gern die üblichen Klischees bemühen: Die Deutschen (Entschuldigung, liebe Österreicher und Schweizer, für die taktische „Eingemeindung“) neigen zum Selbstmitleid, zeigen aber Durchhaltevermögen, planen pedantisch und haben Angst vor falschen Entscheidungen. Für die Stichhaltigkeit dieser Begründung lassen sich sicher leicht Belege finden.

Aber im Grunde ist das genauso wenig sinnvoll, wie den Briten Entscheidungsschwäche zu unterstellen – nur weil sie sich weigern, ihren kränkelnden Projekten den Gnadenschuss zu verpassen. Richtig ist vielmehr: Wer hohe Ansprüche stellt, ist nun einmal schwer zufrieden zu stellen. Wer sauber geplant hat, kann auch eine Budgetüberschreibung rechtfertigen. Und wer möglichst viele Eventualitäten berücksichtigt hat, wird weniger leicht unangenehm überrascht. Die deutschen Unternehmen zeigen eine große Affinität zum Enterprise Architecture Management, ergänzt Weichelt. Passt doch perfekt ins Bild. (mhr)