Die Gebührenstruktur des künftigen digitalen Netzes wird sich an der Sprachkommunikation orientieren

ISDN für geschäftliche Kommunikation besonders interessant

07.10.1983

Was verbirgt sich hinter den vier Buchstaben ISDN? Zunächst einmal in Langschrift: Integrated Services Digital Network, zu Deutsch: Dienstintegriertes Digitalnetz. Besser sollte es heißen: Dienste-integrierendes Digitalnetz, weil es in Zukunft mehr oder weniger allen neuen und alten Diensten der Bundespost als Transportmedium dienen soll. In aller Welt, nicht nur in der Bundesrepublik, wird an der Realisierung zunächst einmal seiner Voraussetzungen wie zum Beispiel Normierungen gearbeitet. Aber selbst die Ingenieure, die bereits in das Riesenprojekt involviert sind, wissen noch nicht genau, wie ISDN denn eines Tages, um das Jahr 2020 herum etwa, aussehen wird. Rainer Hartleb*, Lehrbeauftragter an der Fachhochschule der Deutschen Bundespost und Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft für Telekommunikationssysteme mbH Telerat in Berlin, gibt im folgenden einen Abriß über Vor- und Nachteile des geplanten Supernetzes und den Stand der Diskussion sowie der Technik.

Heute unterscheidet man noch verschiedene Netze für die analoge (Sprach-) und digitale (Text-, Daten-) Kommunikation. Kommt es nicht auf eine hohe Übertragungsgeschwindigkeit oder eine geringe Bitfehlerwahrscheinlichkeit an, so können ursprünglich digitale Zeichen in analoge Signale umgewandelt und im Fernsprechnetz übertragen werden. Damit wird dessen gute Infrastruktur für die Datenübertragung genutzt. Aktuelle Teilnehmerzahlen zeigen, daß das Fernsprechnetz tatsächlich stärker als spezielle Datennetze, abgesehen vom Direktrufnetz, genutzt wird.

Mit hochintegrierten Schaltkreisen ist es heute kein Problem mehr, Sprache kostengünstig zu digitalisieren, um damit eine qualitativ bessere und auch billigere Übertragung und Vermittlung zu erzielen. In Zukunft werden sowohl Sprach-, als auch Text- und Dateninformationen in digitaler Form zur Übermittlung anstehen und damit eine einheitliche Übertragungs- und Vermittlungstechnik in einem Netz, dem ISDN, ermöglichen. Für ein derartiges ISDN werden in der Tat bestechende Vorteile genannt:

- Nur noch ein Netz für alle Telekommunikationsdienste.

- Die Einrichtungen werden wirtschaftlicher genutzt.

- Neue Dienste und Dienstmerkmale können schnell eingeführt werden.

- Aufwandsminderung bei der Planung, beim Aufbau und beim Unterhalten des Netzes.

- Einheitliche Bedienung.

- Wahlweises Benutzen verschiedener Dienste während einer Verbindung, zum Beispiel Umschalten zwischen Fernsprechen und Grafikübertragung.

Diesen Vorteilen stehen aber auch zum Teil erhebliche Nachteile gegenüber:

- Das Kommunikationsnetz und die daran angeschlossenen Geräte werden komplexer.

- Bei einer Überführung der heutigen Dienste aus unterschiedlich strukturierten Netzen ist eine gegenseitige Anpassung einheitliche Strukturen und Bedienungen notwendig.

- Mögliche Störungen im Netz beeinflussen alle Dienste.

- Sollen private und nichtöffentliche Netze in ISDN mit integriert werden?

- Eine einheitliche Behandlung aller Dienste bedeutet Kompromißbereitschaft für den einzelnen Dienst. Zum Beispiel haben Sprach- und Datenübertragung teilweise unterschiedliche Anforderungen an die Verbindungsaufbauzeit oder die Bitfehlerhäufigkeit.

Wird es nun in zehn oder zwanzig Jahren nur noch ein Netz, das ISDN in der Bundesrepublik geben? Zur Beantwortung dieser Frage sind die Planungen der Deutschen Bundespost mit zu berücksichtigen.

Digitale Übertragungssysteme für Sprache sind seit Jahren im Fernsprechnetz eingeführt. Digitale Fernsprechvermittlungen befinden sich zur Zeit an mehreren Orten der Bundesrepublik in der praktischen Probung. Am 1. Juli 85 sollen die ersten beiden digitalen Fernvermittlungen der Serienfertigung in Betrieb gehen und bis 1990 ist für die zusätzliche Bedarfsdeckung die Anschaffung digitaler Vermittlungen vorgesehen. Erst danach werden

die heute vorhandenen elektromechanischen Wählanlagen schrittweise ersetzt. Diese Umstellung wird bis im Jahr 2020 reichen und ist durch den dafür benötigten Investitionsanwand bedingt. Daraus folgt, daß in den nächsten Jahrzehnten digitale und analoge Fernsprechnetze nebeneinander bestehen werden, natürlich mit der Möglichkeit des Netzübergangs.

Für das digitale Fernsprechnetz ist es zunächst einmal egal, ob die zu übertragenden Digitalworte Sprach-, Text- oder Dateninformationen darstellen. Sind Anschlußmöglichkeiten für Text- und Datengeräte beim Teilnehmer vorhanden, so entsteht

aus dem digitalen Fernsprechnetz ein ISDN. Die technischen Probleme derartiger Anschlüsse sollen ab Ende 1984 in einem 64-K-Bit/s-Modellnetz mit EDS-Vermittlungen und mit bis zu 4000 Teilnehmern im praktischen Betrieb ermittelt werden.

Bleibt man innerhalb dieses ISDN, so sollen problemlos Text und Daten mit hoher Geschwindigkeit ausgetauscht werden können. Benötigt man heute für die Übertragung einer DIN-A4-Seite (1700 Zeichen) im Teletex-Dienst (Datex-L-Netz) zirka sieben Sekunden, so sind bei dem im ISDN zur Verfügung stehenden 64-KBit/s-Kanal nur noch 0,3 Sekunden dafür notwendig.

Auch die zukünftige Telekommunikation wird zu 90 Prozent aus Sprachkommunikation bestehen, das heißt das Verkehrsaufkommen im ISDN besteht überwiegend aus Sprachinformation, und damit muß sich die Gebührenstruktur am heutigen Fernsprechnetz orientieren. Da die Digitaltechnik auch und vor allem wegen ihrer günstigen Kosten verwendet wird, sollte man annehmen, daß auch später die Verbindungsgebühren in der heutigen Größenordnung liegen werden. Für die Daten- und Textübertragung bedeutet dies eine Kostenverschiebung

Beim obigen Beispiel würden die Übertragungskosten einer DIN-A4 Seite im Datex-L-Netz (2400 KBit/s) zirka zehn Pfennige und im ISDN 23 Pfennige betragen. Wegen der unterschiedlichen Gebühreneinheiten würde aber die Übertragung von 40 Seiten im ISDN immer noch 23 Pfennige kosten, im Datex-L-Netz dagegen schon vier Mark. Es ist daher zumindest fraglich, ob tatsächlich die heutige Gebührenstruktur des Fernsprechnetzes auf das zukünftige ISDN übertragen wird. Zu berücksichtigen sind bei der Gebührenfrage auch die durch das ISDN gebotenen zusätzlichen Teilnehmerdienste, die bei einem allgemeinen Angebot höhere Gebühren gegenüber dem analogen Netz begründen können.

Zwei Teilnehmerklassen

Das ISDN ist besonders für die geschäftliche Kommunikation interessant. Die ersten digitalen Fernsprechvermittlungen sollen daher auch zuerst in den Geschäftszentren eingerichtet werden und die vollständige digitale Kommunikation zwischen digitalen Nebenstellenanlagen erlauben. Erst zu diesem Zeitpunkt kommen dann auch die Vorzüge dieser Anlagen voll zur Geltung. Eine große Anzahl von Nutzern wird aber wegen der langfristigen Umstellung auf die heute vorhandenen Netze angewiesen sein. Übergänge von diesen Netzen in das ISDN sind daher erforderlich. An Kosten für den Teilnehmer entstehen dann Gebühren für die Verbindung im alten Netz bis zum Netzübergang, für den Netzübergang und für den Weg im ISDN.

Die Zeitdauer während der praktisch zwei verschiedene Teilnehmerklassen nebeneinander existieren müssen, könnte durch eine bevorzugte Anschaltung der heutigen Teilnehmer in Datennetzen verkürzt werden. Doch ist zu erwarten, daß die erst vor kurzem entwickelte EDS- und Paketvermittlungstechnik mit den damit verbundenen Datenübertragungssystemen innerhalb der nächsten zehn oder fünfzehn Jahre wieder abgebaut wird?

Es ist auch fraglich, ob nach dieser Übergangszeit wirklich nur noch ein Nachrichtennetz existieren wird. Erinnert sei hier an das Integrierte Text- und Datennetz IDN. Als das IDN eingeführt wurde, sollten alle Datenübermittlungen mit einer einheitlichen Übertragungs- und Vermittlungstechnik in einem Netz abgewickelt werden. Kurze Zeit später

kam die Paketvermittlungstechnik auf, die dann auch sofort von Anwendern für ein öffentliches Netz gefördert wurde. Heute gibt es daher neben dem IDN mit der leitungsvermittelnden EDS-Technik ein Datex-P-Netz mit eigenständigen Paketvermittlungen, und die Integration aller Datendienste ist nur noch auf den Schaubildern zu finden.

Es ist daher vermessen, heute schon Prognosen über die Kommunikationsmöglichkeiten in zehn oder zwanzig Jahren festzuschreiben, besonders da sich jetzt schon neue Tendenzen zum Beispiel die Breitbandkommunikation in Lichtwellenleiternetzen und die Bitratenreduktion für die Sprachübertragung abzeichnen. Vielleicht wird in zehn Jahren, wenn das ISDN in seiner vollen "Blüte" steht, der 64-KBit/s-Kanal wegen der gewünschten Bewegtbildübertragung nicht ausreichen oder für die komprimierte Sprachübertragung überdimensioniert sein. Dann könnten zwar die heute schon diskutierten n 64-KBit/s-Kanäle oder 64/n-KBit/s-Kanäle eingerichtet werden, aber vielleicht zeigt die dann weiter fortgeschrittene technische Entwicklung auch andere Lösungen auf.

Als Fazit ist daher für die Zukunft zu erwarten, daß am Ende dieses Jahrhunderts - und sicherlich auch später - nicht ein Telekommunikationsnetz vorhanden sein wird, sondern daß es zu den heute existierenden Netzen das digitale Fernsprechnetz und daraus das ISDN dazukommen werden. Die Qual der Wahl wird für den Anwender nicht leichter. Er hat aber die Chance, durch richtige Nutzung der unterschiedlichen und neuen Dienste sein Kommunikationsbedürfnis optimal zu befriedigen. Die Übersicht wird ihm durch die rasante technische Entwicklung jedoch erschwert.

*Reiner Hartleb hält vom 24. bis 26. Oktober in Boppart im Rahmen der Online-Seminare ein Seminar über "Digitale Fernsprechtechnik".

Informationen: Online GmbH, Kongresse und Messen, Technische Kommunikation, Postfach 10 08 66, Nevigiser Str. 131, D. Velbert 1, Telefon: 0 20 51/2 30 71.