Interaktions-Diagramme für Design von Dialog-Systemen

22.04.1977

Mit Dr. Ernst Denert, Softlab-Mitarbeiter beim START-Projekt, sprach Dr. Gerhard Maurer

Das wohl größte kommerzielle Dialogsystem im Bereich kommerzieller Anwendungen dürfte In der Bundesrepublik das START-System der START GmbH sein, einem Zusammenschluß der Großen der deutschen Touristikbranche. Bundesbahn, Lufthansa und die großen Reisebüros haben vorgenommen, bis Ende 1978 ein flächendeckendes Netz mit gekoppelten Rechnern und mit über 1 000 Terminals zu realisieren. Ziel ist, die bestehenden DV-Anwendungen bei den beteiligten Partnern über ein einheitliches System den Reisebüros verfügbar zu machen. Überraschend ist, daß für dieses Großprojekt eine ganz neuartige System-Spezifikations-Methode genutzt wird die es in dieser Form erst seit einem Jahr gibt. Überraschend ist ferner, daß diese Methode der Beschreibung von Dialogsystemen mittels Interaktions-Diagrammen von einem Informatik-Wissenschaftler an einer der angeblich so praxisfremden Universitäten, der TU Berlin, entwickelt wurde. Sind Sie ein neuer Djikstra?

Um Himmels willen, tun Sie mir das nicht, an! Allerdings freue ich mich sehr über, die Chance, daß diese Konzepte nunmehr realisiert und damit in der Praxis überprüft werden.

- Bevor wir Details des neuen Approaches besprechen, die Vorfrage: Was ist denn am herkömmlichen Design von Dialogsystemen so sehr zu kritisieren, daß Ihrer Meinung nach ein neues Verfahren erforderlich ist?.

Bisherige Dialogsysteme erwecken bei mir den Eindruck, als ob im Mittelpunkt die EDV und nicht die Benutzer stünden. Genauer gesagt: Die Benutzerschnittstelle entsteht als Nebenprodukt, wenn nicht gar als Anhängsel der Systementwicklung. Meines Erachtens sollte das umgekehrt sein, die Systemstruktur sollte sich aus der Definition der Benutzerschnittstelle herleiten.

- Sie sprechen offensichtlich die Dialogführung für den Endbenutzer an?

Genau. Ich kenne genügend Dialog-Anwendungen, bei denen es für den Bediener eine verwirrende Vielfalt von Transaktionen und Formaten gibt. Als Folge findet man selten Bedienungsbeschreibungen, die klare Vorgehensweisen definieren, weil sie diese gar nicht präzise beschreiben können.

- Was denn wäre Voraussetzung für bessere Lösungen?

Man müßte bei der Entwicklung von Dialogsystemen mit der Definition der Benutzerschnittstellen beginnen, und daraus nach der Methode des Topdown-Designs oder, wie man auch sagt der schrittweisen Verfeinerung die Systemstruktur ableiten.

- Genügen dafür die verfügbaren Instrumente wie Flußdiagramme, höhere Programmiersprachen oder neuerdings auch Struktogramme nicht?

Diese Formulierungshilfen sind durchaus geeignet für die Beschreibung von Batch-Jobs, wo ein Auftrag für das System vom Benutzer als Ganzes, also als ein Paket aus Programmen, Daten und Job-Anweisungen vor der Ausführung formuliert wird Bei einem Dialogsystem hingegen wird der Auftrag schrittweise während der Ausführung in Abhängigkeit von Reaktionen des Benutzers selbst, aber auch des Systems und anderer Systeme formuliert. Für diese Darstellung der schrittweisen Zustandsveränderungen sind - wie ich und mittlerweile wir im START-Team meinen - Interaktions-Diagramme besser geeignet weil sie klarer herausstellen, an welchen Punkten welche Formen der Interaktion zulässig sind.

- Nun gut, wie wird das erreicht?

Hier kann ich natürlich nur einen groben Überblick über diese neue Methode der Interaktions-Diagramme geben. Am besten, wir nehmen dazu ein Beispiel und drucken eine Originalseite aus dem Pflichtenheft für das START-System ab. Dieses Interaktions-Diagramm beschreibt, wie der Sachbearbeiter im Reisebüro den sogenannten TUI-Modus benutzt, um über das START-System Reisen der Touristik-Union International zu buchen.

- Da sieht man Kästchen, auch einen doppelt umrahmten Kasten, ferner runde Punkte und schöne Pfeile.

Beginnen wir mit den Kreisen. Sie stellen sogenannte Interaktionspunkte

dar. In diesem Fall ist das Reisebüro-Terminal, das RBT, Dialogpartner, mit dem das START-System kommuniziert. Beim Interaktionspunkt RBT 2 sehen wir zunächst, daß das System dem Sachbearbeiter am Bildschirm ein BuFoAus bereitstellt. Das ist im START-Chinesisch ein Buchungsformular, das ausgegeben wird, um die Daten für die gewünschte Buchung auf dem Bildschirm darzustellen. Die hier von dem Interaktionspunkt wegführenden Pfeile zeigen, welche vier Aktionen in dieser Phase des Dialogs möglich sind, nämlich Ergänzung oder Änderung dieser Daten, der Beginn einer neuen Buchung für Flug- oder Bahnreisen oder der Übergang in eine andere Dienstleistung des START-Systems. In der Regel wird jedoch wohl an dieser Stelle die schriftliche Reisebestätigung angefordert. Damit komme ich zum doppelt umrahmten Kasten. In dem Zustand "Reisebestätigung erstellen" zeigt die zweifache Umrahmung an, daß der in diesem Zustand zu führende Dialog in einem weiteren Interaktions-Diagramm verfeinert wird.

- Also ein Unterprogramm-Aufruf?

Genau. Mit dieser Konstruktion haben wir die Möglichkeit, Interaktions Diagramme Top-Down zu entwickeln.

- Schön und gut, aber hat man so oder so ähnlich nicht immer schon beim Entwurf von Dialogsystemen gearbeitet?

Soweit mir bekannt wurde, sind solche Methoden bisher nur im Bereich der interaktiven Computergraphik im Einsatz, beispielsweise für CAD - Anwendungen. Des weiteren sind solche Interaktions-Diagramme ja Zustands-Diagramme, also von der Informatik-Theorie bekannte graphische Darstellungen endlicher Automaten der Praxis aber wurden solche Modelle wohl nur selten genutzt.

- Was tut der Anwender, der sich über Interaktions-Diagramme näher informieren will?

Da sieht es leider zur Zeit noch schlecht aus. Voranging für unser Team ist zunächst das Design des START-Systems, und wir vollen auch zunächst diese Erfahrungen für eine spätere Publikation sammeln. Ich bin aber gerne bereit, mit interessierten Kollegen Erfahrungen auszutauschen, zumindest aber Kopien meines kürzlich auf dem International Computing Symposium 1977 in Lüttich gehaltenen Vortrags breitzustellen. Im übrigen kann bereits dieses Interview für viele Anregung sein, in ähnlicher Richtung zu arbeiten.

- Wie sehr glauben Sie an die Zukunft Ihrer Interaktions-Diagramme?

Ich sehe gegenwärtig kein anderes Verfahren, wirklich komplexe Dialogsysteme so oder so ähnlich zu beschreiben und zu dokumentieren.

Dr. Ernst Denert (34)

studierte Elektrotechik an der Technischen Universität Berlin (Dipl.-Ing 1970). Danach war er fünf Jahre wissenschaftlicher Assistent im TU-Fachbereich Informatik, wo er insbesondere zum Thema "Datenstrukturen" Vorlesungen hielt. (Soeben erschien sein Lehrbuch "Datenstrukturen" im B. I.-Verlag, Mannheim, zusammen mit R Franck). Promotion 1975 mit einer Dissertation über eine von ihm entwickelte zweidimensionale Programmiersprache "PLAN2D", mit der Programme gezeichnet werden können.

1976 ging Denert als Projektleiter zur Softlab GmbH, München, und startete dort gleich am START-Projekt, für dessen Dialog-Aspekte er "lnteraktions-Diagramme" als neue Beschreibungsmethode entwickelte.