Wissensdefizite bei neuen Techniken als Thema auf VDI-Tagung 1987:

Ingenieure im Konflikt über DV-Ausbildung

12.06.1987

MÜNCHEN - Wie einen Fremdkörper scheinen nicht wenige Ingenieure bislang die Datenverarbeitung zu betrachten. Auf dem "Deutschen Ingenieurtag 1987" in München legte CIM-Experte Günter Spur, Berlin, denn auch den Finger auf die Wunde: "Informationsverarbeitung hat etwas mit Ausbildung zu tun". Daran aber hapere es, lautete der Konsens bei den disputfreudigen Techniker-Junioren und -Senioren.

Das Schlagwort "Ein Chip - ein Job" ist durchaus noch bedrückendes Thema mit dem auch Ingenieure, besonders "vor Ort", zu kämpfen haben. Während der Diskussionen an mehreren Tagen auf dem "Deutschen Ingenieurtag 1987" in München zwischen VDI-Präsidium und Publikum mußten Unternehmensvertreter wie etwa Hermann R. Franz, Mitglied des Vorstandes der Siemens AG in München, ihr Bild von der Informationstechnik-Akzeptanz gründlich revidieren. Für ein entspanntes Verhältnis zur DV wird weit mehr als nur Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Denn eine beträchtliche Zahl der insgesamt 2300 versammelten Techniker aus über 22 Ländern schien Datenverarbeitung als etwas "nicht Beherrschtes und nicht Verstandenes" zu betrachten. Das "Ja" zu den neuen Werkzeugen scheitert indes nicht nur am Thema Ergonomie. "Informationstechnik hat mit Bildung zu tun", markierte Günter Spur, Direktor des Fraunhofer-Institutes für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin, den - neuralgischen - Punkt. Daß es dabei tatsächlich im

Argen liegt, bestätigte Hansjörg Sinn, Direktor des Instituts für technische und makromolekulare Chemie der Universität Hamburg. Denn Absolventen kämen bereits mit Nachholbedarf an technologischem Wissen aus den Hochschulen.

Diesen künftigen Anwendern fehlten gerade DV-Grundfertigkeiten, stellte auch Jungingenieur Heinz Handtrack, Mitglied des Württembergischen Ingenieurvereins, fest: "Der DV-Einsatz an den Hochschulen läßt sehr zu wünschen übrig". Bisher sei die Hardwareausstattung beinah sträflich vernachlässigt worden. Dabei bestehe eine hohe Motivation der Studenten, die DV als Werkzeug einzusetzen.

Studienabläufe neu zu gestalten, erscheint - besonders, mit Blick auf künftige Berufsfelder von Ingenieuren - deshalb unabdingbar. Überlegungen zu gewandelten Funktionen und Anforderungen stellte der akademische Technikernachwuchs auf dem VDI-Treffen an. Beispielsweise werde organisatorisches, soziologisches und psychologisches Zusatzwissen für den Einsatz von CA-Techniken benötigt. Im stark nachgesuchten Vertriebsbereich der Investitionsgüterindustrie ist künftig nicht mehr der Verkäufer, sondern der Problemlöser gefragt. Sein Anforderungsprofil zeichnen neben Erfahrung gleichermaßen Teamdenken wie auch die Fähigkeit, das Know-how "verkaufen" und Lösungen darstellen zu können, aus. Die neue Berufsvariante "Öffentlichkeits-Ingenieur" schließlich könnte für eine allgemeinverständliche Darstellung von Technik und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen sorgen. Er müßte zusammen mit Fachwissen auch pädagogische Kenntnisse besitzen.

Nicht unbedingt deckungsgleich scheinen dabei die Vorstellungen von Jung-Ingenieuren mit den Anforderungen der Industrie zu sein, steht dort nämlich das bereichsübergreifende Fachwissen an erster Stelle. Persönlichkeitsbildung unter dem Stichwort "Studium generale" betrachten wiederum Studenten als vordringlich. Sie benennen als großes Defizit: Die Ausbildung stelle für den Ingenieur nicht die Möglichkeit bereit, "Verantwortung zu tragen, auch lernen zu können".

Doch gerade aus dem mangelnden Vertrauen in die Bereitschaft des Technikers, die Folgen seiner Arbeit nämlich auch abschätzen zu wollen, resultiere derzeit hierzulande eine beachtliche Diskrepanz zwischen objektiver Leistung und öffentlicher Wertschätzung dieses Berufsstandes: Er kann nur mit einem mäßigen Ansehen - Allensbacher Meinungsforscher siedelten ihn kürzlich im unteren Mittelfeld des öffentlichen Meinungsbarometers an - trotz international anerkannter technischer Glanzleistungen aufwarten. Das Image reicht dabei vom "abhängig Angestellten" über den "Scheuklappen tragenden Techniker" bis zum "Erfüllungsgehilfen der Politik".

Sprachlosigkeit gehört der Vergangenheit an

Zumindest die Sprachlosigkeit der Techniker gehört, so hat es seit dem Ingenieurtag '87 den Anschein, der Vergangenheit an. Deren öffentliche Standortbestimmung zum Tagungsthema "Forschung und Technik - Freiheit und Verantwortung" nahm der Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Karl Eugen Becker, unmißverständlich vor: "Technik bedeutet Restrisiko." Weltweiter Wettbewerbsdruck indes erfordere deutsche wissenschaftliche wie auch technische Höchstleistungen. Deshalb sei sowohl mit übertriebenen Wunschvorstellungen wie auch Abneigungen aufzuräumen. Beides führe zu zwiespältigen Haltungen in der Öffentlichkeit. Die Informationspflicht dazu trage der Ingenieur als Bringschuld den Bürgern gegenüber.

Technik bedeute soziale wie auch wirtschaftliche Zukunft, war Tenor in den Grundsatzreferaten der Gastredner Franz Josef Strauß und Bundeskanzler Helmut Kohl. Indes seien "Achtung und Würde des Menschen gegen neue technische Entwicklungen abzuwägen".

Politikern technische Lösungen aufzeigen

Die ideologische Richtschnur des Ingenieurs, die Hansjörg Sinn dazu wies, nahm sich fast wie eine Sentenz aus einem Glaubensbekenntis aus: "Der Ingenieur kann keine politischen Entscheidungen fällen, für die Politiker berufen sind; vielmehr ist es Aufgabe des Ingenieurs, technische Lösungen für politisch Wünschbares aufzuzeigen. Weiterhin haben Ingenieure politische Entscheidungen für technisch Mögliches zu erleichtern, aber sie haben auch politische Entscheidungen für technisch Unsinniges zu klassifizieren."

(Siehe auch Gastkommentar Seite 8).