Informationsverarbeitung: Alle sitzen im selben Boot

03.07.1987

Paul Schumann, Beratungsgruppe Schumann, Köln

Die weitreichende Bedeutung der Informationsverarbeitung für den nachhaltigen Erfolg und die Existenzsicherung der Unternehmen ist heute unbestritten. Aus unserer Beratungserfahrung weiß ich, daß sich notwendigerweise auch die - Unternehmensführung selbst zunehmend mit Fragen der Informationsverarbeitung befassen muß. Häufig beschränkt sich die Auseinandersetzung des Managements allerdings auf die täglichen Probleme des DV-Geschäfts. Für die gleichermaßen notwendige Reflektion strategischer Fragen in diesem Bereich fehlt hingegen meist die Zeit. Ebenso wird auch die langfristige Perspektive nicht selten unterschätzt.

Wichtig erscheint mit in diesem Zusammenhang auf fünf strategische Herausforderungen hinzuweisen, denen sich jede Unternehmensführung losgelöst von den aktuellen Tagesproblemen, stellen muß.

Als erstes möchte ich hier die - Bewältigung des "Individualisierungsstaus" nennen. Wir wissen zwar, daß quantitative Anwendungsstaus heute grundsätzlich behebbar sind. Standardsoftware, Software-Tools sowie die Nutzung externer Spezialisten haben sich hier als geeignete Instrumente erwiesen. Sie werden auch zukünftig dazu beitragen, den quantitativen Anwendungsstau in den Griff zu bekommen. Bisher war es aber wirtschaftliches Gebot, diese Anwendungen am statistisch dominanten "Normalfall" auszurichten. Individuelle, qualitativ anspruchsvolle Einzelanwendungen und die Ausrichtung der Benutzerschnittstellen an den spezifischen Bedürfnissen des jeweiligen Anwenders erschienen aus wirtschaftlichen Gründen nicht wünschenswert. Doch nur durch ihre Realisierung werden Wettbewerbsfähigkeit und Benutzerakzeptanz erreicht und nachhaltig gesichert. Kundennähe und damit die langfristige Existenzsicherung der Anwenderunternehmen erfordern zwingend flexible und individuelle DV-Lösungen, die unsere Experten entwickeln können. Der "Individualisierungsstau" betrifft dabei sowohl die Fachabteilungen als auch das Management, das auf allen Ebenen möglichst aktuell informiert sein muß.

Individualisierte Konzepte, aber auch Experten- und Decision Support-Systeme bieten heute beste Voraussetzungen, diesen "Individualisierungsstau" zu meistern. Die Realisierung solcher Anwendungen kann, unterstützt durch Sprachen der vierten Generation, benutzernah, dezentral und zu vertretbaren Kosten erfolgen.

Die Einführung solcher benutzernahen Sprachen wirft allerdings Probleme auf, die denen der seinerzeitigen Umstellung von Assembler auf nächsthöhere Sprachen verwandt sind. Die Realisierung qualifizierter, dezentraler Anwendungen machen dabei - wie wir immer wieder in der Praxis erleben - frankierende Optimierungsmaßnahmen im Systembereich hinsichtlich, Auslastung und Transaktionszeiten zwingend notwendig.

In unserem Bemühen, den Fachabteilungen zu helfen, dürfen wir die DV-Abteilungen mit ihren traditionellen Problemen nicht alleine lassen. Die zentrale DV ist auch in Zukunft unerläßlich für die Tagesproduktion und schafft mit ihren komplexen Produktionssystemen erst die Voraussetzungen für die Informationssysteme der Endbenutzer. Die Vernachlässigung der klassischen zentralen DV mit den wartungsintensiven Massenanwendungen wäre fatal. Sie müssen zunächst optimiert werden. Die Meisterung dieser zweiten Herausforderung erfordert neben Expertenwissen bei der Gestaltung komplexen Anwendungen und der "richtigen" Systemumgebungen die Verfügbarkeit eines geeigneten Organisations- und Tool-Mix.

Als dritte Herausforderung neben dem Abbau des Individualisierungsstaus und der Optimierung zentraler Massenanwendungen muß auf der Basis konzeptioneller Lösungen ein geeigneter Dezentralisierungs- und Integrationsgrad der Informationsverarbeitung bestimmt werden.

Früher ließen die Kosten und das Handling der traditionellen DV ausschließlich eine strenge Zentralisierung zu. Die fortschreitende Verbesserung des Preis/Leistungs-Verhältnisses, die Miniaturisierung und die vereinfachte Handhabung der Systeme eröffnen nunmehr das gesamte Spektrum zwischen starker Zentralisierung und starker Dezentralisierung. Mit diesem neu gewonnenen Gestaltungsspielraum entsteht ein Entscheidungsbedarf des Managements hinsichtlich der Wahl der jeweils geeigneten Alternative. Bei der individuellen Entscheidungsfindung kann ein externer Berater von Nutzen sein.

Ein weiteres konzeptionelles Problem ist das der Integration eines dezentral realisierten Anwendungsspektrums. Fehlende umfassende Integrationskonzepte führen zu schwer koordinierbaren Insel-Lösungen, in deren Folge zwangsläufig eine PC-Ernüchterung eintreten muß. Das in diesem Zusammenhang kennzeichnende Stichwort vom "System-Zoo" betrifft gleichermaßen Hardware, Software und Datenbestände. Damit angesprochen sind die hardwaremäßige, physische Integration der Systemkomponenten, die softwaremäßige, logische Integration der Anwendungen sowie die Kompatibilität häufig historisch gewachsener, heterogener Datenbestände.

Die vierte strategische Herausforderung stellt die Bürokommunikation dar. Hier ist die wirtschaftlich sinnvolle Umsetzung des technisch Machbaren zu gewährleisten. Fehlende Konzeptionen sowie mangelnde Anwendungserfahrung führen allerdings häufig nur zur schlagwortartigen Verwendung dieses Begriffs. Wenn nämlich die Einführung von Bürokommunikationssystemen nicht einhergeht mit einer Reorganisation des Anwendungsumfeldes, wird lediglich "neuer Wein in alte Schläuche" gefüllt. Eine Eins-zu-Eins-Übertragung bisheriger organisatorischer Abläufe im Büro unter Verwendung neuer Techniken läßt aber wesentliche Rationalisierungspotentiale ungenutzt. Vielmehr ist eine gänzlich neue, aufgabenorientierte, informationelle Infrastruktur zu schaffen. Hierzu bedarf es der Feststellung des aufgaben und arbeitsplatzorientierten Informationsbedarfs und der entsprechenden Kommunikationsströme sowie der Bewertung von Produktivitätspotentialen einzelner Büroarbeitsplätze. Das bei allen Neuerungen zwangsläufig geringe Anwenderwissen macht die Nutzung externen Expertenwissens zweckmäßig.

Die fünfte strategische Herausforderung schließlich betrifft den Aufbau eines zentralen Informationssystem-Controlling. Die wachsende Komplexität der Informationssysteme, die dazu erforderlichen Investitionssummen und die generelle Bedeutung der Informationsverarbeitung für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erfordern zwingend ein entsprechendes Frühwarnsystem. Seine Aufgabe ist es, Fehleinschätzungen und -entwicklungen sowie Mißbräuche der informationstechnischen Infrastruktur rechtzeitig offenzulegen, um die zentrale Steuerbarkeit des Gesamtsystems jederzeit zu gewährleisten. Eine solchermaßen ausgerichtete Planung, Kontrolle und Steuerung der Informationsverarbeitung verhindert kostenspielige Fehlentwicklungen und die Vernachlässigung von Nutzungspotentialen. Das hierfür notwendige Informationssystem-Controlling ist firmenspezifisch zu konzipieren. Dem DV-Chef fällt dabei die Funktion des Informations-Managers zu. Er muß neben der erforderlichen hohen Fachkompetenz gleichermaßen kritische Distanz als auch innovatives Engagement bei der Gestaltung und Nutzung von Informationssystemen einbringen.

Die Lösung der vorab diskutierten strategischen Grundsatzfragen erfordert hierbei zwingend die Integration der Entscheidungskompetenz des Top-Managements und der Fachkompetenz des DV-Bereichs. Die Realisierung des anerkannten Führungsprinzips der Zusammenfassung von Entscheidung, Verantwortung und Fachkompetenz setzt dabei konsequenterweise die, Aufnahme der DV-Chefs in die Unternehmensführung voraus. Nur so wird auch organisatorisch der gestiegenen und weiterhin wachsenden Bedeutung der Informationsverarbeitung für die Unternehmen als Ganzes Rechnung getragen und alle, die es angeht, sitzen im selben Boot.