Informationstechnologie als "Sesam-öffne-dich" undoder "Büchse der Pandora" Forderung nach Höherqualifizierung weckt irreale Hoffnungen

23.09.1983

Reißerische Aufmacher wie "Computer im Kuhstall" oder "Die Roboter kommen" sollen dem Leser suggerieren, nahezu jede menschliche Tätigkeit sei durch den Einsatz von Informationstechnologie ersetzbar. Leider ist der Aussagewert derartiger Veröffentlichungen in der, Regel mehr als dürftig. Es kommt nämlich nicht zum Ausdruck, daß sich der Computer meist nur zur Verarbeitung einfachster Datenstrukturen und zur Unterstützung recht simpler Abläufe einsetzen läßt. Paul Maisberger, Geschäftsführer der Berufsfachschule für Datenverarbeitung, bfd, in München, hält es daher für dringend erforderliche mögliche Tendenzen im Einsatz der Informationstechnologie und deren Auswirkungen auf die berufliche Erst- oder Höherqualifizierung darzustellen. Sein Artikel faßt zusammen, was in den letzten Jahren vorwiegend diskutiert wurde.

Viele Organisatoren sind bestrebt, bei der Gestaltung und Einführung von Informationssystemen im Unternehmen viel stärker als bisher die Benutzermitwirkung in den Vordergrund zu stellen. Die Maximalforderung geht dabei bis hin zum basisdemokratischen, autonomen Design der Informationssysteme.

Von wissenschaftlicher und gewerkschaftlicher Seite wird das Problem, Informationstechnologie einzusetzen, schwerpunktmäßig unter dem Aspekt der Humanisierung der Arbeitswelt untersucht.

Die folgenden Ausführungen und Übersichten über die Tätigkeitsfelder der Informationsverarbeiter orientieren sich an Klaus Haefners Buch "Die neue Bildungskrise" (vergleiche CW Nr. 38/83, Gastkommentar, Seite 6). In Übersicht 1 wurde versucht darzustellen, welche Tätigkeiten aus elf zentralen Bereichen sich im nächsten Jahrzehnt von der Informationstechnologie übernehmen lassen (Spalte 21 und inwieweit Anforderungen an neue Formen menschlicher Informationsverarbeitung erkennbar sind (Spalte 3). In Spalte 1 ist jeweils eine kurze Charakterisierung des Tätigkeitsfeldes angestrebt.

Es läßt sich erkennen, daß menschliche Informationsverarbeitungen an vielen Stellen des Berufes bereits durch Informationstechnologien berührt wird, zum Teil sogar schon ersetzt ist. Grundsätzliche Probleme ökonomischer und gesellschaftspolitischer Art haben diesen Substituierungsprozeß bisher nicht aufgehalten.

Ein zentrales Ergebnis ist, daß die wissenschaftlich technische Durchdringung menschlicher Tätigkeitsfelder heute bereits soweit fortgeschritten ist, daß sich Geistesarbeit ganz oder maschinell teilweise ersetzen laßt.

Mit relativ wenigen Ausnahmen sind alle großen Berufsgruppen vom Eindringen der Informationstechnik hinsichtlich Arbeitsstruktur und Volumen betroffen.

Menschliche Informationsverarbeitung wird weiterhin in Berufsgruppen nachgefragt, wo entweder komplexe Mustererkennung und Verarbeitung oder komplexere Kommunikationen notwendig werden. Hier bietet die Informationstechnik in den 80er Jahren keine ökonomische Alternative.

Die Analyse der Arbeitsabläufe in den Berufsgruppen zeigt, daß eine einfache Forderung nach "Höherqualifizierung" mit dem Ziel, dann "neue" Aufgaben übernehmen zu können, in vielen Fällen irreale Hoffnungen weckt.

Es läßt sich mit Hilfe der Analyse nicht unmittelbar erkennen, wo größere neue Berufsgruppen entstehen könnten, in denen menschliche Informationsverarbeitung intensiv und mittelfristig nachgefragt werden könnte. Sicher ist, daß die Einführung der Informatisierung selbst vielerlei Anforderungen an eine kleine Gruppe von Spezialisten stellt.

Weiteres Wirtschaftswachstum und Steigerung der Gesamtproduktivität unterstellt, kann die Informationstechnik immer größere Teile menschlicher Informationsverarbeitung übernehmen. Notwendigerweise wird es zu einer relativen Verringerung der Anforderung an menschliche Geistesarbeit kommen.

Forderungen an die Qualifikation

Von seiten der Gewerkschaften werden, um eine funktionierende Beteiligung der Arbeitnehmer zu garantieren, folgende Forderungen aufgestellt:

- Längerfristige Transparenz

Der Planungshorizont ist auszuweiten, längerfristige und umfassende Systementwicklungskonzepte sind den Beschäftigten und der betrieblichen Interessenvertretung zugänglich zu machen und zu diskutieren.

- Qualifizierung der Betroffenen

Die Mitarbeiter müssen umfassend und gezielt geschult werden, damit sie die technischen Vorschläge verstehen, und diese auf ihre Arbeitssituation übertragen können. Die Qualifizierung muß sich auf das EDV - System und seine Anwendungen selbst sowie auch auf seine Wirkungen und die möglichen Gestaltungsalternativen richten.

- Formale Absicherungen

Die Beschäftigten und ihre Interessenvertretung müssen in allen Projektgremien vertreten sein. Von wissenschaftlicher Seite werden unter anderem folgende Empfehlungen gegeben:

1. Die von technisch - organisatorischen Innovationen betroffenen Mitarbeiter sind frühzeitig über die Veränderungen zu informieren und in den Planungsprozeß einzubeziehen. Den Mitarbeitern sind Mitwirkungsmöglichkeiten zu eröffnen, die ihnen aktive Mitgestaltung erlauben.

2. Das Umfeld neu gestalteter Arbeitsplätze verlangt Elemente, die den Mitarbeiter Entwicklungsmöglichkeiten erkennen lassen und ihm Qualifizierungsmöglichkeiten offenhalten.

3. Eine zeitgemäße Ausbildung muß die durch neue Technologien entstandenen typischen Anforderungen sowie völlig neue Berufsfelder berücksichtigen.

Prof. Baethge äußert sich zu dieser Thematik in seinem Forschungsprojekt "Auswirkungen des Einsatzes der Informationstechnologien auf die Qualifikation und Ausbildung kaufmännischer Angestellter";

Die Annahme, daß bezogen auf die Abwicklung der Arbeit generell eine Verlagerung von Fachkenntnissen hin zu Verfahrenskenntnissen stattfindet, überschätzt den Qualifikationsbedarf an Verfahrens-, insbesondere an EDV - Kenntnissen und unterschätzt das nach wie vor erforderliche Fachwissen.

Umgekehrt bleibt das von den Unternehmensleitungen für die kaufmännischen Ausbildungen postulierte, enge Berufskonzept an eine zu begrenzte, betriebliche Arbeitsplatzperspektive gebunden, die zumindest in zwei Punkten für die betroffenen Angestellten problematisch und unbefriedigend ist: Zum einen hat sich in unseren Untersuchungen gezeigt, daß innerbetrieblicher Aufstieg und größere Chancen zum Arbeitsplatzwechsel auch begünstigt sind, wenn der Mitarbeiter sich mehr Verfahrens- und EDV-Kenntnisse aneignet. Einer der personalpolitischen Engpässe der Großunternehmen besteht gerade in der Verbindung von guten Fachkenntnissen und vertieften EDV - Kenntnissen.

Zum anderen baut die an den Betrieben dominierende Ausbildungskonzeption darauf auf, notwendige Qualifikationen im Arbeitsvollzug selbst zu vermitteln. Den Sachbearbeitern werden so letztlich nur die Bedienungsmodalität und die Arbeitstechniken an modernen Computersystemen vermittelt. Der Aufbau moderner Rechner und ihre Funktionsweise sind bei einem so reduzierten Anpassungsprozeß nicht vermittelbar. Damit aber werden den Angestellten Chancen und Möglichkeiten verwehrt, selbständig in die Veränderung der Arbeitsprozesse mit einzugreifen, aus ihrer Interessenlage heraus Ansprüche an die Weiterentwicklung und Gestaltung der qualitativen Arbeitsbedingungen einzubringen.

Die radikalsten Konsequenzen zieht Haefner in seinem Buch "Die neue Bildungskrise". Nach seiner Meinung wird es künftig drei "Klassen" von Berufstätigen geben.

Die Autonomen

Zu ihnen gehören die von der Expansion der Informationstechnik nicht unmittelbar Betroffenen. Bei ihnen spielen Mustererkennungsaufgaben oder komplexe, wenig reproduzierbare Bewegungsabläufe eine wichtige Rolle. Typische Beispiele sind für die 80er Jahre Landwirte, die Speisezubereiter sowie Berufe des Landverkehrs.

Die Substituierbaren

Hiervon sind all jene betroffen, in deren Tätigkeit die Informationstechnik derartig eingreift, daß sie unter Berücksichtigung einzelwirtschaftlicher Interessen in Zukunft nicht mehr für den alten Beruf gebraucht werden. Ihre Leistung läßt sich ersetzen, wobei der Arbeitsprozeß dann sogar schneller, sicherer und ökonomischer abwickelbar ist. Zu dieser Klasse gehören in den 80er Jahren beispielsweise Metallverformer, Bank- und Versicherungskaufleute, Bürofach- und Bürohilfskräfte.

Die Unberechenbaren

Gemeint sind jene, die in informationstechnischen Systemen verfügbare Informationen intensiv nutzen. Sie verrichten meist Arbeiten, deren Übertragung auf technische Systeme bisher nicht möglich war. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem Unternehmer, Ingenieure und Lehrer.

Selbstverständlich wird es eine ständige Bewegung zwischen diesen drei "Klassen" geben. Das Hauptproblem dürfte sein, daß noch kein breites Feld neuer Tätigkeiten für die Substituierbaren erkannt ist und wirklich in unserem Wirtschaftssystem angeboten wird.

Neue Anforderungen an die Qualifikation

Der Mensch muß sich weiterhin zur beruflichen Informationsverarbeitung qualifizieren können. Es ergeben sich neue Aufgaben von denen ein großer Teil dadurch entsteht, daß der Integrationsprozeß menschlicher und technischer Informationsverarbeitung vorangetrieben wird.

Neben den in vielen Ausbildungsplänen angedeuteten Zielen gemeinsamen Handelns wie Kooperativität, Kreativität, planmäßiges Denken und mitmenschliches Handeln müssen gewissen Qualifikationen "verlernt" werden wie überzogene Individualität in der Problemlösung, Drauf gängertum und Rücksichtslosigkeit.

Die Entwicklung in der Informationsverarbeitung ist gekennzeichnet durch den vermehrten Einsatz von Mikroprozessoren, Mikrocomputern und Prozeßrechnern.

Ihr Einsatz führt zu einer Dezentralisierung der Datenverarbeitung unter Verwendung der Hilfsmittel "Bildschirm" und "intelligentes Terminal" im Dialogbetrieb. Andererseits werden ständig neue und komplizierte Datenbank- und Datenfernverarbeitungsanwendungen konzipiert.

Damit verbunden ist eine Veränderung der Programmiermethodik mit der Zielrichtung Strukturierung und Normierung. Insgesamt läßt sich eine starke Spezialisierung innerhalb der bisher gültigen DV-Tätigkeitsfelder erkennen. Ausbildungsinstitutionen sind aufgefordert, auf diese Entwicklungen zu reagieren. Während einerseits eine Erstausbildung als brauchbare Grundlage für ein 30- bis 40jähriges Berufsleben erwartet wird, braucht man andererseits ein praxisnahes Detailwissen.