Informatiker - die begehrten Helfer in der Medizintechnik

04.04.2012
Die Gesundheitswirtschaft liegt im Aufwind. Dort zu arbeiten finden auch viele Informatiker attraktiv. Ein medizintechnisches Studium ist nicht unbedingt nötig.

Software für Autos oder neue Apps für Mobiltelefone faszinieren längst nicht jeden Informatiker. Doch es gibt Alternativen. In der Medizin nimmt die Zahl der attraktiven Betätigungsfelder für IT-Spezialisten ständig zu. Kein Wunder, dass sich im Gesundheitswesen immer mehr IT-Experten nach interessanten Joboptionen umschauen. Denn die wachstumsstarke Branche gilt als solide und attraktiv zugleich.

Nikolaus Bolle interessierte sich schon während seines Wirtschaftsinformatik-Studiums für Medizintechnik. Als sich der junge Absolvent 1994 nach einem Job umsah, gab es wenige Angebote für Berufsanfänger in dieser Sparte. "Siemens hat damals 20 Absolventen eingestellt", erinnert sich Bolle. Obwohl der Konzern dem IT-Experten für das erste halbe Jahr nur einen Halbtagsjob anbieten konnte, entschied er sich für die Offerte. Neben einem Einarbeitungsplan aus der Personalabteilung organisierten die Berufsanfänger sogenannte Ingenieurszirkel, um sich im Kollegenkreis selbst weiterzubilden.

"Wir suchen immer gute Leute"

In den 18 Jahren bei Siemens Healthcare wechselte Bolle zwar regelmäßig den Arbeitsort und die Position, doch der Unternehmenssparte Medizintechnik und seinem Thema blieb er in gewisser Weise immer treu. Anfangs programmierte Bolle noch selbst, inzwischen führt er ein 150-köpfiges Entwicklerteam. "Einfach gesagt entwickeln wir Software, die den Medizinern die Diagnose erleichtert. Wir bereiten Datensätze, die mit bildgebenden Verfahren gewonnen wurden, so auf, dass sie leicht interpretierbar sind", erläutert Bolle die Aufgabe. Die Programmierer arbeiten in kleinen Gruppen von zehn Entwicklern und stehen in engem Kontakt zu Ärzten und Krankenhäusern, um die Wünsche und Anforderungen der späteren Kunden einzuplanen.

Siemens Healthcare beschäftigt mehr als 6000 Mitarbeiter in Erlangen und der näheren Umgebung, weltweit sind es in dieser Unternehmenssparte rund 51.000 Beschäftigte. "Wir suchen immer gute Leute", sagt Personalchef Andre Heinz. Absolventen mit einem medizintechnischen Studium sind zwar willkommen, doch die Spezialisierung sei nicht zwingend erforderlich, da das Unternehmen ein intensives Training anbiete, um den Berufseinsteigern neben den Grundzügen der Medizintechnik auch das notwendige Expertenwissen zu vermitteln.

Die Gesundheitswirtschaft gilt als stabiler Wachstumsmarkt. Die hohen Exportquoten der deutschen Industrie von bis zu 68 Prozent im ersten Halbjahr 2011 sowie die große Inlandsnachfrage verleihen diesem Wirtschaftssektor besonderes Gewicht. Auch die stete Nachfrage nach besseren medizinischen Leistungen und eine alternde Bevölkerung gelten als Garant für weiteres Wachstum. Mit rund 5,4 Millionen Beschäftigten ist die Gesundheitswirtschaft ein wichtiger Arbeitgeber.

Medizin oder Informatik?

Irina Wächter-Stehle entschloss sich nach dem Abitur zu einem Informatikstudium in Karlsruhe. "Ich habe mich im Hauptstudium gezielt für den Schwerpunkt Biomedizin entschieden, weil ich Medizin und Technik miteinander verbinden wollte." Dem Diplom folgte die Promotion in London. Mit einem Stipendium von Philips konnte die Informatikerin drei Jahre in der britischen Metropole über medizinische Bildbearbeitung forschen und gleichzeitig in den Forschungslabors von Philips in Aachen und Eindhoven ihre Experimente vorantreiben.

Exportschlager Medizintechnik

Während der Promotion vertiefte Wächter-Stehle ihr medizinisches Wissen. "Ich habe nebenher Vorlesungen in Anatomie und Physiologie besucht. Das ersetzt zwar kein Medizinstudium, doch es hilft mir besser zu verstehen, was Ärzte brauchen und wie wir sie mit unseren Produkten unterstützen können", erklärt die 32-Jährige. Die Lektüre medizinischer Fachbücher und regelmäßige Gespräche mit Ärzten sind für die Forscherin selbstverständlich: "Auf diese Weise kann ich eigene Ideen weiterentwickeln und besser abschätzen, was klinisch relevant ist."

Viele medizintechnischen Produkte sind Exportschlager. Besonders in den sogenannten Schwellenländern wird die Nachfrage bis 2020 um jährlich zwischen neun und 16 Prozent steigen, wie eine Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts belegt. Auch viele Angestellte in der Medizintechnikbranche arbeiten längst international. Siemens-Mann Nikolaus Bolle beispielsweise sammelte drei Jahre in Seattle Erfahrungen. Die Informatikerin Irina Wächter-Stehle forscht für Philips in Deutschland und den Niederlanden.

Internationales Arbeiten wünschte sich auch Christian Dongov. Der Wirtschaftsinformatiker startete nach dem Studium in einem kleinen Beratungsunternehmen in der Nähe von München ins Berufsleben. Doch viele der Projekte des SAP-CRMBeraters fanden im Großraum München statt, weshalb Dongov über einen Jobwechsel nachdachte. Seit Ende 2009 arbeitet er für B. Braun in Melsungen. Das in der Nähe von Kassel angesiedelte Medizintechnik-Unternehmen suchte für einen internationalen Rollout seiner CRM-Software neue IT-Mitarbeiter.

Harte Arbeit am Image

Seit November betreut Dongov den Rollout in einer Niederlassung im Norden Englands: "In Melsungen arbeite ich zusammen mit vier Kollegen an diesem globalen Projekt. Teamarbeit ist hier wichtiger als in der Beratung." Auch die Marketing- und Verkaufsprozesse, die mit der CRM-Software gesteuert werden, sind anders, denn B. Braun verkauft seine Produkte nicht direkt an die Verbraucher. Für Personalchef Jürgen Sauerwald heißt das, dass er B. Braun als Arbeitgeber bekannt machen muss. Während ein Automobilhersteller über seine Produkte Absolventen anlockt, wählt das Melsunger Unternehmen andere Wege: "Aus diesem Grund bieten wir für Studenten verstärkt Praktika, Bachelor- oder Master-Arbeiten im Unternehmen an oder auch Werkstudentenverträge", berichtet Sauerwald. Rund 500 Praktikanten aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland kommen jährlich an die verschiedenen Unternehmensstandorte Melsungen, Tuttlingen oder Berlin, um dort Praxiserfahrungen zu sammeln und möglicherweise ihren zukünftigen Arbeitgeber kennenzulernen.

Internationalität als Pluspunkt

Das familiengeführte Unternehmen beschäftigt in Deutschland an verschiedenen Standorten rund 11.500 Mitarbeiter, weltweit arbeiten etwa 44.000 Menschen für B. Braun. "Wir bieten zahlreiche betriebliche Programme für Familien und zahlen wettbewerbsfähige Gehälter", so Sauerwald. Auch wer im internationalen Umfeld arbeiten möchte, findet passende Aufgaben.

Christian Dongov suchte nicht ausschließlich in der Medizinbranche nach einem Job, doch mit seiner Wahl ist er nun zufrieden: "Ich konnte hier von Anfang an mitgestalten." Wenn in einigen Monaten die Software in den lateinamerikanischen Niederlassungen des Unternehmens implementiert werden soll, wäre der 28-Jährige gerne dabei.

Auch Siemens-Mann Bolle ist mit seiner Berufswahl zufrieden: "Schon während meines Studiums hatte ich den Wunsch, im Beruf innovative Produkte zu entwickeln und etwas zu bewegen. Dieser Wunsch hat sich für mich erfüllt." Heute arbeitet sein Team an iPad-Anwendungen und Cloud-Lösungen. Bolle weiß aber auch, dass die Branche den üblichen wirtschaftlichen Zyklen unterworfen ist: "Wir haben auch schwierige Zeiten mitgemacht." (hk)

Spitzen-Cluster in der Region Erlangen-Nürnberg

Die Medizintechnik in der Region Erlangen-Nürnberg blickt auf eine lange Tradition zurück. Das dort angesiedelte Spitzen-Cluster "Medical Valley Europäische Metropolregion Nürnberg (EMN)" weist beeindruckende Zahlen vor: Mehr als 180 Medizintechnikunternehmen mit rund 16.000 Mitarbeitern gibt es in der Region Nürnberg, darunter Schwergewichte wie Siemens Healthcare; 40 Krankenhäuser mit unterschiedlichen Spezialisierungen versorgen Patienten; rund 60 Lehrstühle mit einem medizintechnischen Schwerpunkt forschen und lehren dort; 20 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ergänzen das Netzwerk.

Im Jahr 2010 gewann das Medical Valley EMN den Wettbewerb um den Titel als SpitzenCluster und darf sich bis zum Jahr 2015 über 40 Millionen Euro Fördergelder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) freuen. Weitere 40 Millionen stehen dem Cluster über eine Kofinanzierung der Partner zur Verfügung. Mit den Fördermitteln konnten bereits mehr als 40 Forschungsprojekte angestoßen werden. Gewachsene Strukturen und die 130-jährige Geschichte der Medizintechnik in der Region tragen zum Erfolg bei. In dem 2003 eröffneten Gründerzentrum "Medical Valley Center" forschen rund 35 Startups an Neuentwicklungen.