Mobile Computing/Stoßdämpfer inklusive

Industrie-Portable - tragbare Riesen für rauhe Einsatzgebiete

10.04.1998

Die Aufnahme und Verarbeitung von Meßsignalen erfordert üblicherweise eine große Zahl von Erweiterungssteckkarten. Während die meisten Anwendungen auch heute noch mit Steckkarten nach dem 16-Bit-ISA-Standard auskommen, erfordern viele neue Applikationen eine größere Bandbreite.

Die "Expert-Sniffer"-Netzwerkanalyse-Systeme für Fast-Ethernet- und ATM-Netzwerke von Network General zum Beispiel brauchen Steckplätze nach PCI-Standard. Zukünftige Anwendungen werden gar 64 Bit breite PCI-64-Steckplätze benötigen. Verschiedene Anbieter entwickeln derzeit Applikationen mit Karten nach dem "Cardbus"-Standard - die 32-Bit-Implementierung des insbesondere für Modems und Netzwerkkarten populären PC-Karten-Standards.

Interessant ist diese Bauweise vor allem für Anwendungen, die wenig Strom benötigen und in akkubetriebenen Notebooks eingesetzt werden sollen. Ein bisher nur unbefriedigend gelöstes Problem stellen für diese nur fünf Millimeter dicken Karten (Typ II) jedoch die Anschlußmöglichkeiten der Meßgeräte und Kabel dar. Viele Anwender von PC-Karten berichten von gebrochenen Steckern oder Anschlüssen an den Karten - ein Manko im Industrieeinsatz.

Die Hersteller von Industrie-Portables zeigen sich flexibel, was die Steckplätze anbetrifft, und bieten eine Vielzahl an Modellen und Optionen an. Die Vielfalt der Formen und Bauweisen erstreckt sich dabei vom Notebook-Format mit Akku bis zu Kofferlösungen für den Anschluß an das Stromnetz oder andere externe Stromversorgungen.

Systemintegratoren wissen diese Vielfalt zu schätzen. Bei der Konfiguration von Meßanwendungen belegen beispielsweise ein Anti-Aliasing-, ein Analog/Digital-Wandler- sowie ein DSP-Board bereits drei Steckplätze. Werden zusätzliche Meßkanäle benötigt, erhöht sich die Zahl entsprechend. Je nach Anzahl der Meßkanäle werden die Slots so schnell knapp. In den meisten Fällen reichen jedoch drei bis fünf Steckplätze völlig aus.

Fünf Steckkarten zur Datenaufnahme kommen beispielsweise in einer Lösung zum Einsatz, mit der sich Triebwerke von Düsenflugzeugen überprüfen lassen. Sie gibt den Technikern wertvolle Hinweise auf zu erwartende Lagerschäden oder Unwuchten in den Turbinen und ermöglicht damit eine vorausschauende Wartung beziehungsweise Reparatur.

Ebenso anspruchsvoll ist ein Telekommunikations-Server. Er enthält je nach Ausbaustufe bis zu acht ISA-Steckkarten. Damit läßt sich beispielsweise auf Baustellen oder an Katastrophenorten in kürzester Zeit ein komplettes Kommunikationssystem, bestehend aus Computernetzwerk mit Intranet-Fähigkeit, Telefonanlage, Anrufbeantworter und Faxsystem aufbauen. Eine integrierte unterbrechungsfreie Stromversorgung hält das System im Ernstfall 30 Minuten lang in Betrieb.

Mit Steckplätzen allein ist es jedoch nicht getan. Zusätzlich wird auch Platz zwischen und über den Steckkarten benötigt. Oft müssen auch die Karten mit Flachbandkabeln untereinander verbunden werden. Diese meist sehr breiten und "störrischen" Kabel unterzubringen ist in engen Gehäusen eine wahre Kunst.

Je nach Anwendung wird zudem eine hohe Speicherkapazität für die gewonnenen Daten benötigt. Ein Extrem in diesem Bereich stellen Videoanwendungen dar, die zur visuellen Prozeßanalyse eingesetzt werden. Eine Papierfabrik in den USA nahm unlängst ein solches System zu Hilfe, um der Ursache für reißende Papierbahnen im Fertigungsprozeß auf den Grund zu gehen. Sieben an einen Industrie-Portable angeschlossene Hochgeschwindigkeitskameras überwachten dabei die Produktion vor der Problemstelle. Alle Informationen der Kameras wurden über Videokompressionskarten digitalisiert und auf Festplatte gespeichert. Bei der Auswertung der Videodaten fand man die Ursache des Problems in einer vorgelagerten Produktionsstufe.

Videoanwendungen verlangen extrem schnelle Festplatten mit reichlich Kapazität. Anwender von Meß- und Steuerungsapplikationen profitieren von diesen Anforderungen durch eine größere Auswahl an Laufwerken und Kapazitäten. Im Industrieeinsatz haben die wenigsten Portables das Privileg, in gepolsterten Aktenkoffern zu einem sicheren Einsatzort gebracht zu werden. Sie müssen Stöße und Vibrationen beim Transport und Einsatz in Fertigungsumgebungen, bei der Fahrzeugerprobung oder im Feld- und Militäreinsatz aushalten. Ein solides Chassis sowie die stoßgedämpfte Aufhängung aller für den Betrieb kritischen Systemkomponenten ist daher Basisvoraussetzung für die Zuverlässigkeit eines solchen Systems.

Je nach Hersteller und Modell reichen die konstruktiven Maßnahmen in diesem Bereich von Ganzmetall-Druckgußgehäusen bis zu soliden Metallschalenkonstruktionen. Ein Hersteller bietet sogar schon ein speziell entwickeltes Doppelchassis an. Das innere Chassis ist völlig von der Außenschale entkoppelt und somit selbst gegen grobe Stöße abgesichert. Reicht der Bewegungsraum des Innenchassis nicht aus, wird es sanft von progressiv wirkenden Gummipuffern aufgefangen.

Schutz gegen Umgebungseinflüsse

Doch nicht allein die Plattform, auch die Erweiterungen müssen vor Erschütterungen geschützt werden. Zu leicht können sich sonst die Steckkarten in den ursprünglich für Desktop-PCs entwickelten ISA- und PCI-Formaten aus ihren Sockeln rütteln. Abhilfe schaffen spezielle Steckkarten-Halterungssysteme, die sich auf unterschiedliche Längen und Höhen der Karten einstellen lassen.

Speziell beim Einsatz in Fertigungsumgebungen wie Schmieden, Pressen oder in der Lebensmittelindustrie haben die Systeme noch mit weiteren computerfeindlichen Umweltbedingungen zu kämpfen: Staub- und Partikelemissionen sowie Tropfwasser und andere oft öl- oder fetthaltige Flüssigkeiten. Industrie-Schutzklassen (Industry Protection = IP) definieren hier die verschiedenen Anforderungsstufen an Partikel- (erste Ziffer) und Feuchtigkeitsschutz (zweite Ziffer). Ein Gerät, das der Schutzklasse IP-67 entspricht, ist beispielsweise vollständig gegen das Eindringen von Partikeln und Flüssigkeiten geschützt.

ANGEKLICKT

Auch für den industriellen Einsatz sind mobile Rechner gefragt. Sie müssen jedoch in vielen Punkten deutlich robuster ausgelegt sein als ihre "Büro-Kollegen", um für die rauheren Umgebungsbedingungen gewappnet zu sein. Die Trends für Industrial-Portables ähneln denen im normalen Markt, allerdings kommen aktuelle Techniken - etwa der PCI-Bus - hier mit leichter Verspätung zum Einsatz.

Jörg Mössinger ist feier Autor in Fremont, Kalifornien.