Nach der Übernahme Strategie bekanntgegeben

In Zukunft nur noch eine CPU bei Silicon Graphics und Cray

17.05.1996

Vor rund einem Monat übernahm Silicon Graphics (SGI) zu einem Preis von 30 Dollar je Aktie 75 Prozent der Anteile am Supercomputer-Hersteller Cray Research Inc. und legte dafür rund 1,1 Milliarden Mark auf den Tisch. Bis Mitte des Jahres, so schätzt das SGI-Management, werde der Zusammenschluß zu 100 Prozent vollzogen sein. Die ausstehenden 25 Prozent sollen über einen Aktientausch im Verhältnis eins zu eins in das Unternehmen kommen, wie Program Manager Eddy Vandersmissen von SGI in München erklärte.

Teams von Cray und SGIs Advanced Systems Division, die für die Hochleistungsrechner "Power Challenge" verantwortlich sind, entwarfen mittlerweile ein erstes Konzept für die Zusammenführung der Supercomputer-Produktlinien beider Unternehmen. Dave Orten, SGI-Vice-President und Verantwortlicher der Division, versicherte, daß trotz der unterschiedlichen Wurzeln der beiden Unternehmen Einigkeit über die zukünftige Marschrichtung bestehe: "Wir werden um das Jahr 2000 eine einzige skalierbare Architektur haben, die vom Desktop bis zum Teraflops-System reicht."

Das Unternehmen verschreibt sich dabei dem Markt für technisch-wissenschaftliche Anwendungen. "Die User heutzutage wollen die untersuchten Vorgänge verstehen, sie wollen in ihren Daten leben", erläuterte Robert ("Bo") Ewald, President von Cray Research. So würden in der Automobilindustrie Unfälle zunehmend am Computer simuliert, statt teure Crash-Tests ablaufen zu lassen. Aber auch auf beim Data-Mining etwa im Finanzbereich oder der Konsumforschung (Erkennen von Kaufgewohnheiten) fielen enorme Datenmengen an, die es auszuwerten gelte.

Weitgehend Einigkeit besteht bei SGI/Cray darüber, mit welchen Rechnern die Anwender in Zukunft diese Probleme lösen können. Bevor allerdings um das Jahr 2000 herum die "Unified Scalable Architecture" auf Basis der Mips-Chips fertig gezimmert sein wird, muß sich das Tandem mit der Konsolidierung von fünf verschiedenen Prozessortypen auseinandersetzen.

Während SGI ausschließlich Systeme mit den RISC-Prozessoren der Tochter Mips fertigt, bietet Cray Rechner mit vier verschiedenen CPUs an. So nutzt der Vektorrechner "T90" proprietäre Bausteine in der Emitter-Coupled-Logic-(ECL-)Technik, während der Supercomputer "J90" mit einer CMOS-Implementation des Cray-Codes arbeitet. Die Planungen sehen vor, daß beide Produktlinien so lange weitergepflegt werden, bis irgendwann die Mips-Prozessoren leistungsfähig genug sind, um die proprietären CPUs ersetzen zu können.

Crays skalierbarer Parallelrechner "T3E" arbeitet schon mit RISC-Chips. Digital Equipment liefert sie und wird dies, so Ewald, auch weiterhin tun. Für das System liegen Bestellungen in Höhe von 200 Millionen Dollar vor. Anfang 1997 soll mit "T3E+" ein Nachfolgemodell auf den Markt kommen, das mit DECs Alpha-Flaggschiff "21164A" bestückt sein wird. Das hoch skalierbare SMP-System soll nach Angaben des Cray-Präsidenten Tausende von CPUs beherbergen können.

Keine klare Aussage über die Zukunft der Cray-Maschine "CS6400" konnten oder wollten Ewald und Orten treffen. Dieser Rechner benutzt pikanterweise Sparc-Prozessoren vom SGI-Konkurenten Sun Microsystems, wodurch die Firma nun zugleich zum Kunden des Mitbewerbers wird. Während sich Orten vor einer klaren Aussage scheut ("Wir arbeiten an einer Strategie, aber wir können dazu im Moment nichts Neues sagen"), nimmt SGI-CEO Ed McCracken kein Blatt vor den Mund: "Wir werden uns auf die eigene CPU konzentrieren, nicht auf die von Sun." Für Fabio Gallo, European Marketing Director der Supercomputing-Division von SGI, sind diese Rechner zumindest kein strategisches Produkt im gemeinsamen Portfolio. In Kürze soll Näheres über die Zukunft dieser Systeme mitgeteilt werden. Gallo schloß einen Verkauf nicht aus.

SGIs eigenes Hochleistungssystem "Power Challenge 10000" mit Mips-Prozessoren bleibt auf jeden Fall im Produktportfolio. Zwar gibt es Berührungspunkte mit Crays Arbeitspferd J90, dessen Stärke jedoch in der Verarbeitung von Vektorprogrammen liegt, während Power Challenge auf hohe skalare Leistung ausgerichtet ist. Beide Systeme haben sich nach Firmenangaben 1995 gut verkauft, wobei das SGI-System im Preisbereich von 90000 bis zu einer Million Dollar liegt, während Cray für die J90-Maschine zwischen 0,5 und 2,7 Millionen Dollar verlangt. Nicht ausschließen wollte Ewald allerdings, daß die J90-Vektorrechner eines Tages zugunsten der Power Challenge 10000 vom Markt verschwinden werden. Dann nämlich, wenn die Mips-Prozessoren entsprechend leistungsfähig geworden sind.

Bis dahin werden die Plattformen weiterentwickelt. So wird für den Supercomputer T90 mit dem "CM03" ein schnelleres Speichersystem angeboten, das die Gesamtgeschwindigkeit der Rechner um bis zu 40 Prozent steigern soll. Zudem können Anwender nun einen Zusatzprozessor für Fließkommaberechnungen einbauen, der die entsprechende IEEE-Norm erfüllt. Damit soll der T90 auch Daten von Workstations und anderen IEEE-kompatiblen Systemen verarbeiten können. Beide Optionen lassen sich vor Ort nachrüsten.

Auch die Software soll zusammenwachsen

Die J90-Klasse erhält mit dem "J90se" Zuwachs. Der neue Prozessor verdoppelt nach Herstellerangaben die Skalargeschwindigkeit und steigert bei Vektor-Skalar-Programmen die Gesamtleistung um bis zu 40 Prozent. Der neue Prozessorkomplex kann mit vorhandenen Modulen gemischt betrieben werden.

Auch im I/O-Bereich gibt es Verbesserungen. Der im November vorgestellte "Gigaring" kann jetzt auch in den Vektorrechnern T90 und J90 implementiert werden. Mit einem Datendurchsatz von über 38 GB/s gehört dieses I/O-System nicht nur zu den schnellsten am Markt, es erlaubt auch die Verwaltung von Festplattenkapazitäten bis zu einem Petabyte (1015 Byte). Außerdem taugt der skalierbare Gigaring auch für Supercluster, also dem Cluster-Verbund aus Supercomputern.

Während die Hardware Jahre hinweg Schritt für Schritt in Richtung Mips-Architektur getrimmt wird, beginnen die Arbeiten an einer vereinheitlichen Software-Umgebung sofort. Im "Sigma"-Softwareprojekt sollen Wege zu einer Annäherung der Betriebssysteme "Unicos" (Cray) und "Irix" (SGI) gefunden werden. Endziel ist auch hier ein einheitliches Programmiermodell und eine gemeinsame Betriebssystem-Umgebung. Denkbar sei, so Ewald, ein zukünftiges Betriebssystem je nach Größe und Bedarf des Zielrechners auszuliefern.

Die Stärken der bestehenden Implementationen will man allerdings zugunsten der Einheit nicht aufgeben. Deshalb sollen in einem ersten Schritt einige Funktionen von Irix in Unicos/mk eingepflanzt werden und umgekehrt. Die Benutzerumgebung (Compiler, Tools, Bibliotheken und Befehle) soll auf ein gemeinsames API umgestellt werden und die Kompatibilität der Quellcodes sicherstellen. Nach der verbesserten Interoperabilität und der Quellcode-Kompatibilität soll um das Jahr 2000 die binärkompatible Austauschbarkeit der Programme erreicht sein.

Pläne bestehen über das gemeinsame Auftreten von SGI/ Cray in Deutschland: Der Vertrieb wird in einer Abteilung "Supercomputing" zusammengefaßt, die neben den Cray-Produkten auch SGIs Power Challenge anbieten soll. Keine Probleme soll es nach Aussagen von SGI-Manager Vandersmissen auch beim Service geben, den ebenfalls eine gemeinsame Crew übernehmen werde. Das Hauptquartier von SGI/Cray bleibt in München.