Software-Systemtechniker sollen die Kommunikation verbessern

"In der Informatik reden die meisten aneinander vorbei"

09.04.1999
"Das Kommunikationsproblem der Informatiker und ihre Unfähigkeit, es wahrzunehmen". Siegfried Wendt, Professor für Digitale Systeme und Datenverarbeitung an der Uni Kaiserslautern, hat seinem Aufsatz bewußt einen ketzerischen Titel gegeben. Als frisch bestallter Direktor des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) an der Universität Potsdam will er aus den Studenten kommunikative Informatiker machen, die den Blick für die großen Software-Architekturen haben. CW-Redakteurin Alexandra Glasl besuchte den kritischen Geist in Walldorf.

CW: Warum brauchen wir mehr Informatiker, die wie Ingenieure denken?

Wendt: Das Problem in der Informatik ist, daß keine seriösen Alternativdiskussionen stattfinden können. Wenn Sie ins Bauwesen gehen, können Sie zwei oder drei Alternativen in Plänen an die Wand hängen und über Vor- und Nachteile diskutieren. In der Software gibt es sehr viel Scheindiskussionen. Die meisten reden aneinander vorbei, sie benutzen zwar die gleichen Wörter, meinen aber unterschiedliches. Sie haben nicht gelernt, große Systeme auf dem Niveau und mit der technischen Präzision darzustellen wie es sich im Ingenieurwesen gehört. Schauen Sie sich diese Bildchen an, die Software-Architekturen zeigen - das ist doch eine Schande, hilfloses Gekrakel.

CW: Sie wollen den Studenten des HPI den Überblick vermitteln, ohne sich in Details zu verlieren. Wie soll das umgesetzt werden?

Wendt: Wir bilden die Studenten dazu aus, darzustellen, Fragen zu stellen und in richtigen Kategorien zu strukturieren. In der Software müssen wir Gedanken darstellen, die Programmzeilen sind nur Sprache, und Sprache ist dargestelltes Denken. Spezifikation ist nichts anderes als hingeschriebener menschlicher Wille. Implementierung ist das Hinschreiben für die Maschine, damit sie weiß, was wir wollen.

CW: Wenn den Informatikern die übergreifende Darstellungsqualität fehlt, sollte das HPI nicht auch Aufbaustudiengänge anbieten, damit Informatiker lernen, wie Ingenieure zu denken?

Wendt: Es gibt gewisse Denkmuster, die prägen den Menschen. Wer in den ersten zwei, drei Jahren seines Studiums nicht zum Ingenieur ausgebildet wird, sondern zum angewandten Mathematiker - das Denken des Informatikers ist mathematisch geprägt -, befindet sich in einer Einbahnstraße. Die Informatiker haben ein ganz anderes Weltbild.

CW: Wie setzt sich dieses Weltbild von Informatikern zusammen?

Wendt: Die Informatik formalisiert und automatisiert. Da können Sie Sätze lesen wie "leider ist dieser Bereich noch nicht formalisiert". Wenn Sie das als Unglück empfinden, und Formalisierung der höchste Wert ist, dann sind Sie für gewisse Dinge wie etwa Design überhaupt nicht mehr zu gebrauchen. Sie verhalten sich so, wie es Immanuel Kant empfohlen hat: "In einer Sache ist nur soviel Wissenschaft, wie in ihr Mathematik ist".

CW: Braucht ein Software-Ingenieur also keine mathematischen Kenntnisse?

Wendt: Die Leute, die vor 27 Jahren den Begriff Software-Engineering geprägt haben, hatten die Vorstellung, daß der Ingenieur wie ein Baustatiker berechnet, um wieviel Millimeter sich der T-Träger durchbiegt. Interessanterweise wird aber genau die Tätigkeit, die nichts mit Rechnen zu tun hat, von den Ingenieuren als Engineering bezeichnet. Engineering bedeutet Planen, dabei spielen solche Kriterien wie "vernünftig" oder "zweckmäßig" eine Rolle. Ich muß an das Mitwirken von vielen Leuten denken. Mathematiker können Stubengelehrte sein. Den Beweis, ob ein Satz richtig oder falsch ist, führt man allein.

CW: Aber die Informatiker sollen heute doch auch teamfähig sein.

Wendt: Wenn die Informatik Teamvorstellungen hat, geht man immer von Gruppen aus, die ständig beieinander sind. Die Informatik bildet ihre Studenten aus, als würden sie nachher in Softwarefirmen mit acht Leuten arbeiten. Sie hocken im selben Labor, haben dasselbe Niveau, reden den ganzen Tag miteinander, verstehen ihre Hieroglyphen, jeder weiß immer alles. Es ist überhaupt kein Zwang da, sich um Kommunikationsformen Gedanken zu machen. Wenn aber wie bei der SAP AG 3500 Software-Entwickler arbeiten, muß man darüber nachdenken. Die meisten wissen gar nicht, daß sie zur selben Firmen gehören, geschweige denn, daß sie am selben Produkt arbeiten. Da gibt es überhaupt keinen, der alles weiß. Da sind wir plötzlich in einem Bereich, in dem Engineering gebraucht wird.

CW: Werden die Informatikstudenten also nicht genügend auf solche praktischen Anforderungen vorbereitet?

Wendt: Die meisten Leute können sich nicht vorstellen, welche Kommunikationshürden in einer großen Softwarefirma zu überwinden sind. Was in der Informatik geschrieben wird, ist keine Fachsprache, sondern Kauderwelsch, Vernebelung, Unfähigkeit.

CW: Die Informatiker wollen aber zum Teil auch gar nicht anders.

Wendt: Was denken Sie, welche Widerstände da sind, wenn man Dinge transparent und verständlich machen will, so daß es auch der Durchschnittsfachmann versteht. Dann heißt es doch, sie hätten Informationsmonopole in den Köpfen der Leute zerstört: "Wenn ich nicht der einzige bin, der es weiß, und es sogar verständlich nachlesbar ist, dann habe ich meinen Guru-Status verloren." Bisher müssen sie doch alle auf den Knien rutschen und mich um Informationen bitten. Jeder bewundert, was ich alles weiß. Diesen Status gibt doch keiner freiwillig auf. Die Informatik ist selber schuld, sie hat das Guru-Wesen gezüchtet - auch wenn die Professoren jetzt darüber jammern.

CW: Wie sehen dann Ihre Idealkandidaten aus?

Wendt: Sie brauchen Freude an der Präzision, der Kommunikation, am Erklären und ein gewisses didaktisches Geschick. Das größte Glück ist es, wenn es die anderen auch kapiert haben, schließlich hat man immer mit anderen Menschen zu tun. Was macht denn der Architekt, wenn seine Pläne vom Polier nicht verstanden werden. Dann entsteht das Haus nicht._VS:Am liebsten sind mir die Studienanfänger, die noch nicht programmiert haben. Den Programmier-Heimwerkern muß man erst beibringen, daß sie nichts wissen. Das Programmieren lernt heute jeder leicht, dazu gehört kein intellektuelles Niveau. Ich bin ja auch kein Maschinenbauer, nur weil ich die Bohrmaschine halten kann und ein Loch in die Wand bohre.

CW: Mit diesem Standpunkt schrekken Sie aber viele potentielle Kandidaten ab. In der Regel wird gepredigt, daß man sich schon während der Schulzeit intensiv mit dem PC beschäftigen soll.

Wendt: Wer ist daran interessiert, daß alle Schulen vernetzt werden? Zum einen die Hersteller, die damit ein wahnsinniges Geschäft machen. Zum anderen die alten Bildungspolitiker, die selbst computerscheu und der Meinung sind, sie würden es verstehen, wenn man es ihnen in der Schule beigebracht hätte. Das bringt nichts. Genauso wenig wie man ein Auto auf den Schulhof stellt, damit die Schüler mal lernen, was ein Auto sei.

CW: Ist in der Broschüre für das HPI bewußt kein einziger Computer abgebildet?

Wendt: Ja, die Software-Systemtechnik stellt menschliches Denken dar. Unser Bewußtsein läßt uns Information erleben. Man muß darüber nachdenken, wie wir kommunizieren. Das ist nicht alles nur Formalismus. Wir müssen die Brücke schlagen zur intuitiven Semantik - "Käse" zum Beispiel wird assoziiert mit Frankreich. Der Rechner hat keine intuitive Semantik von Käse. Ich wüßte nicht, wie ich einen Rechner bauen sollte, der sich über französischen Käse freut. Da fehlt eine Kategorie. Darum will ich Leute haben, die bereit sind, mit mir diesen Ausflug in die Analyse menschlichen Denkens mitzugehen. Was gab es schon an Strukturen, bevor der Computer erfunden wurde? Ich muß über Kommunikation im menschlichen Bereich nachdenken. Letztlich wird unser Weltbild in Codeformen im Computer abgebildet.

CW: Welchen Einfluß hat Hasso Plattner als Geldgeber?

Wendt: Herr Plattner hat den gleichen Einfluß auf das Institut wie es ein Aufsichtsrat auf die Produktpalette einer Firma hat. Der Vorstand legt die Richtung fest, der Aufsichtsrat kann sei- nen Einfluß insofern ausüben, indem er den Vorstand entläßt, wenn er entgegen seinem Willen handelt. Herr Plattner kann mir nichts vorschreiben, solange ich Direktor bin. Wir diskutieren miteinander. Ich handle den Studiengang mit der Universität Potsdam aus.

CW: Wenn wir die Zeit vier, fünf Jahre weiterdrehen, wo sehen Sie dann Ihre Software-Philosophen im Einsatz?

Wendt: Ich bin überzeugt, daß sie uns aus den Händen gerissen werden. Es war vom ersten Tag an klar, daß das HPI keine Ausbildungsstätte für die Firma SAP ist. SAP R/3 wird nur eines unter vielen Systemen sein, mit denen man sich befaßt. Wir werden auch CAD-Systeme oder Filmkonstruktionssoftware betrachten. Die Palette der Funktionen wird sehr breit sein. Die Funktion ist dabei zweitrangig.

Siegfried Wendt

Vor 31 Jahren hat Siegfried Wendt einem jungen Diplomanden Tips zu Datenstrukturen in Assembler-Programmen gegeben. Ab Ende diesen Jahres arbeitet der 58jährige Professor für ihn als Direktor des Hasso-Plattner-Institutes in Potsdam. SAP-Gründer Plattner hat den Studiengang für Software-Systemtechnik mit einer Stiftung von 100 Millionen Mark ins Leben gerufen.

Bislang war Wendt Ordinarius für Digitale Systeme und Datenverarbeitung an der Universität Kaiserslautern. Der studierte Elektro- und Nachrichtentechniker lehrte unter anderem an der State University of New York in Buffalo/Staat New York und war Berater bei Siemens. Bei SAP hat er ein Labor für Software-Engineering aufgebaut.

Hasso-Plattner-Institut

Mit einer der größten privaten Stiftungen in Deutschland rief SAP-Vorstandssprecher Hasso Plattner den Studiengang für Software-Systemtechnik ins Leben. Im kommenden Wintersemester beginnt für 100 Studenten die Ausbildung am Hasso-Plattner-Institut. In Potsdam sollen sie lernen, übergeordnete Baupläne für Softwaresysteme zu entwickeln. Die Studenten haben die Wahl zwischen einem sieben- und einem zehnsemestrigen Studiengang, der mit einem Bachelor beziehungsweise Master abschließt. Informationen zu Aufnahmebedingungen und Anmeldung gibt es im Internet unter www.hpi.uni-potsdam.de oder unter der Rufnummer 0331/ 909 720.