IT im Marketing

Impulse für Image und Kundenbindung

17.09.1999
Während die Mehrheit der deutschen Firmen sich bereits mit einer Website schmückt, verdient noch nicht einmal jede zehnte Geld damit. Fata Morgana Internet? Winfried Gertz* hat sich bei Dienstleistern umgehört, worauf es in Sachen Marketing beim Internet-Auftritt ankommt.

Niemand nimmt den Mund so voll wie Harald Summa. "Intelligenter, mediengerechter und kundenfreundlicher" soll die neue Generation der Web-Auftritte werden. Nahezu täglich trommelt der Geschäftsführer des Verbands der deutschen Internet-Wirtschaft, Electronic Commerce Forum e.V. in Köln (www.eco.de), in eigener Sache. Doch auch Summa kann die Welt nicht verändern. Seine nüchterne Bilanz: "Beinahe 80 Prozent aller Internet-Auftritte gehen über eine einfache Präsenz im World Wide Web nicht hinaus, und knapp 20 Prozent sind mit minimaler Funktionalität ausgestattet." Schuld daran seien insbesondere die spezialisierten Internet-Agenturen, die an Kreativität und geeigneten Technologien zu wünschen übrig lassen.

Diesen Vorwurf lassen sich die Experten in den Marketingagenturen nicht gefallen. Michael Heine, Director E-Commerce bei Pixelpark in Berlin (www.pixelpark.de): "Um E-Commerce-Anwendungen überhaupt erfolgreich im Markt zu plazieren, muß man vor allem Technik- und Beratungskompetenz unter Beweis stellen." Carsten Dierks, Geschäftsführer von Mindways Multimedia in Hamburg (www. mindways.de), räumt ein, daß es ein großer Fehler ist, das Internet nur als Werbemedium, Fernsehersatz oder Marketingtool zu begreifen. "Vielmehr handelt es sich um eine eigene digitale Welt mit eigenen digitalen Marktplätzen und realen Kunden mit realen Wünschen und realen Warenströmen." Wer sich nicht ausreichend kümmert um Service, Informa- tion und Kommunikation, um einfache Bedienbarkeit, verlockende Inhalte und um Nutzen für die Anwender oder auch nur einen dieser Aspekte vernachlässigt, zahlt teures Lehrgeld.

Daß es genug zu tun gibt für die "kreativen" Dienstleister, steht außer Frage. Wie Pilze schießen Agenturen in den Metropolen aus dem Boden und expandieren, was das Zeug hält. Kaum haben Web-Designer, Datenbank-Experten und Software-Entwickler ihre Rechner installiert, wird es schon wieder zu eng. 1750 solcher Firmen buhlen zwischen Hamburg und München, Köln und Berlin um die Gunst der Unternehmen.

Fragt man die Anwender nach den Gründen für ihre E-Commerce-Investitionen, sprudelt es nur so aus ihnen heraus. Für viele ist der Web-Auftritt eine Komponente im allgemeinen Marketingmix, vergleichbar mit der Anzeigenwerbung oder dem Fernsehspot. Wie eine Umfrage der Intouch GmbH, Bad Homburg (www.intouch.de), unter deutschen Konsumgüterherstellern und Handelsunternehmen zeigt, erhoffen sich mehr als 60 Prozent von der Präsenz im Web einen positiven Einfluß auf ihr Image. 37 Prozent wollen ihre Firmen- oder Produktmarke weiterentwickeln. Daß vom Web-Auftritt positive Impulse für die Kundenbindung ausgehen, nehmen 58 Prozent der Unternehmen an. Allerdings verweigert jedes vierte Unternehmen dem Web-Surfer Gelegenheit zur Kontaktaufnahme - die E-Mail-Funktion scheint einfach vergessen zu werden.

Eine Website ist wie ein lebendiger Organismus

Also doch nur schöner Schein, der näheren Betrachtung nicht wert? Ja und nein. Warum, erläutert Alexander Felsenberg, Geschäftsführer des Deutschen Multimedia Verbands (DMMV) in Düsseldorf (www.dmmv.de): "Seit Anfang des Jahres verzeichnen wir einen regelrechten Boom im Internet. Zuerst sind die Unternehmen recht zaghaft, probieren erst einmal aus und sammeln erste Erfahrungen." Doch eine Website, philosophiert Felsenberg, sei wie ein "lebendiger Organismus", sie durchlaufe mehrere Zyklen, bis sie optimal auf die Bedürfnisse des Unternehmens paßt. Erst wenn das Internet als Thema im Unternehmen akzeptiert sei, könne die eigentliche Arbeit beginnen, nämlich die Integration des Unternehmens und seiner komplexen Prozesse ins Netz. "Doch das haben weltweit erst sehr wenige Unternehmen realisiert."

Keine Frage: Kleinvieh macht auch Mist, und deshalb sind die Auftragsbücher der Agenturen proppenvoll. Während Konzerne Abermillionen in die virtuellen Kanäle pumpen, müssen sich kleinere Unternehmen jede Mark vom Mund absparen.

Selbst für die ersten Schritte sind Zigtausende von Mark zu berappen; für den Aufbau der Homepage, über die Pflege der Web-Seiten, für Werbung und Provider-Leistungen bis zu Verwaltung und Online-Gebühren kommen locker sechsstellige Summen zusammen. Vor allem die Werbung ist teuer: Wer online etwas verkaufen will, muß laut Alain Blaes, Chef der Münchener PR-COM (www.pr-com.de), mindestens das Achtfache der Ursprungsinvestition einkalkulieren.

Daß ihre Web-Investitionen sich schnell auszahlen, davon sind die meisten Unternehmen weit entfernt. Statt dessen sind sie mit einem Sammelsurium aus unstrukturierten Informationen und Diensten konfrontiert. Carl-Michael Moeser von der Münchener Agentur Schaeffler+Partner (www. schaeffler.de): "Der User muß sich mit viel Mühe bis zum Ziel durchwühlen, was natürlich zu Frustration und mangelnder Akzeptanz beiträgt." Moeser plädiert daher für die Entwicklung intuitiver Benutzerschnittstellen, für die logische Strukturierung von Inhalten sowie eine unterhaltsame, erlebnisorientierte Präsentation.

Ganz andere Erkenntnisse hat man bei der Tria AG in München (www.tria.de) gewonnen, einem auf IT-Training und E-Business spezialisierten Dienstleister. Tria berät insbesondere Unternehmen aus der Finanzwirtschaft. Marketingleiter Bernhard Schmid: "Wie bei vielen technologischen Revolutionen sind nicht so sehr die technischen als die mentalen Barrieren ausschlaggebend." Überzeugende E-Business-Lösungen setzen ein Umdenken vor allem im Top-Management voraus, denn schließlich handele es sich um völlig neue Wertschöpfungsketten. Anzupassen seien die internen Abläufe auf das neue Medium, "und zwar in Internet-Zeit". Die Entwicklung und Integration neuer Techniken im IT-Backoffice müßten zügiger vonstatten gehen. Dienstleister wie Tria sollten Navigatoren sein für solche Veränderungsprozesse, sie sollten auch Bedenken von Anwendern und Shop-Betreibern hinsichtlich sicherer Transaktionen im Internet überwinden helfen. Denn: "Wer schnell die kritische Masse erzielen kann, schafft sich einen nahezu uneinholbaren Vorsprung."

Bewußtseinswandel unter Anwendern zu fördern ist leichter gesagt als getan. Pixelpark-Direktor Heine: "Die Lernkurve wird in den Firmen noch stark unterschätzt." Die externen Marketingspezialisten sind in erster Linie "Geburtshelfer". Angesichts verlockender Folgegeschäfte ist vielen das Hemd näher als die Hose: Wenn "König Kunde" unbedingt ins Internet will, ist uns sein Wille Befehl. Moeser drückt es realistischer aus: "Auf den Agenturen lastet ein immenser Zeitdruck, Auftraggeber beginnen zu spät mit der Planung und sind sich über den Konzeptions- und Produktionsaufwand nicht im klaren."

Ob da von "strategischer" Beratung noch etwas übrig bleibt, steht in den Sternen. Dessen ungeachtet gibt Eco-Chef Summa schon mal den Takt vor. Beeindruckt vom Erfolg des Internet-Pioniers Amazon.com formuliert er sechs Anforderungen an die Web-Präsenz der dritten Generation:

- Bereitstellung "virtueller Agenten", die den User bei der Bedienung und Navigation unterstützen,

- Eins-zu-eins-Beziehungs-Management, um Seiten individuell an den jeweiligen Besucher anzupassen,

- Einsatz von Sicherheitsmechanismen wie SSL (Secure Socket Layer) und SET (Secure Electronic Transaction), um Vertrauen zu erzeugen und zu rechtfertigen,

- integrierte Warenwirtschaft und Logistik, damit bestellte Waren zügig ausgeliefert werden,

- Anbindung an ein Call-Center, damit der Surfer über einen "Push-to-Talk"-Button im Web Telefonkontakt zum Anbieter aufnehmen kann, und

- Verwendung von XML/EDI (Extensible Markup Language, Electronic Data Interchange) für den strukturierten Datenaustausch beim Business-to-Business.

Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um überhaupt Lösungen mit hohem Nutzen für Verbaucher oder das Business-to-Business gestalten zu können. Mindways-Chef Dierks nennt Beispiele:

- die Online-Recherche von Zugverbindungen und Fahrzeiten, verknüpft mit der Bezahlung und genauen Angabe von Gleisen und Umsteigezeiten;

- die individuelle Konfiguration eines Pkw mit allen Extras - Kaufpreis, eine Liste der Auslieferungshändler sowie ein passendes Finanzierungsangebot inklusive;

- Ablesen des Stromzählers, Neuberechnung der Abschlagszahlung sowie An- und Abmeldung beim Umzug;

- Recherche von Produktneuheiten durch Einkäufer großer Handelszentralen inklusive elektronischer Sales Folder sowie Testmarktergebnisse, Trends, Werbebudgets, Artikeldaten und Preise. Damit nicht genug: Einkäufer vereinbaren Präsentationstermine, Datenbanken der Lieferanten bestimmen automatisch zuständige Verkäufer, und Service steht rund um die Uhr zur Verfügung.

Keine Frage - die Akzeptanz des Internets wird weiter Boden gutmachen, und Unternehmen werden sich auf die neuen virtuellen Prozesse einstellen. Ob dies gleich "revolutionären" Charakater haben muß, bleibt abzuwarten. Wer auf der sicheren Seite sein möchte, sollte sich Heines Rat zu Herzen nehmen: zuerst einen Shop aufbauen und die Organisation darauf einschwören, dann Instrumente für Kundenservice und Kundenbindung integrieren und schließlich die Internet-Anwendungen mit Back-end-Systemen verknüpfen. Durchdachte Konzepte, nicht kurzfristigen und teuren Aktionismus empfiehlt Dierks. Manager sollten "surfen, surfen, surfen", um sich selbst vom Potential des Netzes zu überzeugen. Völlig verfehlt seien Aufträge an, so Moeser, "günstige Studentenklitschen um die Ecke". Auch der Freund vom Sohn des Chefs, der Informatik studiert und sich ganz toll auskennt, sei den hohen Erwartungen kaum gewachsen. DMMV-Chef Felsenberg zufolge sollten Unternehmen sich direkt an die Dienstleister wenden, auf Referenzen bestehen und Wettbewerbspräsentationen veranstalten. Die Spezialisten wüßten, "was dem Fisch schmeckt, und nicht dem Angler". Tria-Mann Schmid sieht im "Webifizieren" der Arbeitsabläufe vielleicht die entscheidende Erfolgskomponente. "Nicht nur das Unternehmen hat sich auf E-Commerce vorzubereiten, sondern natürlich auch Zulieferer und Kunden." Schmid schaut über den Tellerrand hinaus; demnach spielen Shopping und Bezahlen im Internet nur noch eine Nebenrolle. Bald geben IP-Telefonie, Videoconferen- cing und Multimedia-Call-Center den Ton an. Der Kampf um die Augäpfel geht in die nächste Runde.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.