Firmen entwickeln neue Vergütungsstrategien

Immaterielle Anreize gewinnen an Attraktivität

18.02.2000
Über 90 Prozent der europäischen Unternehmen haben in den letzten drei Jahren ihre Vergütungssysteme geändert. Der Trend geht laut einer Studie der Vergütungsberatung Towers Perrin zu maßgeschneiderten, auf die Firmenphilosophie abgestimmten Gehaltsmodellen, wobei bereits 70 Prozent der Befragten mit immateriellen Komponenten experimentieren.Von Gabriele Müller*

Wer qualifiziertes Personal sucht und langfristig binden will, der muss mehr bieten als nur "Lohn und Brot". Wie erfolgreiche Vergütungsstrategien aussehen können, zeigten Unternehmen bei den Düsseldorfer Vergütungstrend-Tagen auf. Von Mitarbeiterbeteiligungsplänen bis zu kompetenzorientierten Gehaltsstrukturen reichte das Spektrum bei dieser Veranstaltung der Management Circle GmbH.

Karl-Heinz Raster, Senior Consultant bei der Vergütungsberatung Towers Perrin in Frankfurt am Main, charakterisierte den Arbeitsmarkt der Zukunft so: "Rasante Technologieentwicklung, neue Organisationsformen und ein gesellschaftlicher Wertewandel machen auch ein neues Denken bei der Personalgewinnung und -bindung notwendig."

Deshalb seien innovative und variable, leistungsorientierte sowie flexible Arbeitszeit- und Vergütungsmodelle gefordert. Nach Amerika und Großbritannien erreicht dieses Bewusstsein nun langsam auch Kontinentaleuropa, glaubt der Gehaltsberater, und belegte die These mit einer Studie seines Arbeitgebers. Im Rahmen der Erhebung "Euro Rewards 2000 - Reward Challenges and Changes" befragte Towers Perrin im vergangenen Jahr 460 europäische Unternehmen aus 13 Ländern zur derzeitigen Vergütungs- und Versorgungspraxis sowie zu aktuellen Trends. Das Ergebnis: Die Firmen wenden sich von den eher undifferenzierten Vergütungsmodellen ab und suchen nach individuellen, maßgeschneiderten Konzepten, die sich an den spezifischen Unternehmenszielen und der Strategie orientieren.

Die Studie belegt, dass rund 94 Prozent der befragten Unternehmen in den letzten drei Jahren ihre Vergütungssysteme signifikant geändert haben. 96 Prozent planen weitere Veränderungen. Die stärksten Neuerungen existieren bei Bonusplänen, die bereits 93 Prozent der befragten Unternehmen eingeführt haben und immer differenzierter ausgestalten. 55 Prozent der Firmen, die ihre Nebenleistungen verändert haben, planen die Einführung weiterer flexibler Nebenleistungsprogramme.

Dabei spielen die Einführung immaterieller Leistungsanreize wie flexible Arbeitsmöglichkeiten, Arbeitszeiten und -bedingungen eine erhebliche Rolle. Die Studie kommt zum Schluss, dass Trainings- und Personalentwicklungs-Möglichkeiten "die Schlüsselkomponenten zur Rekrutierung der technologisch gut ausgebildeten, ständig arbeitsplatzwechselnden Generation X" sein werden. 72 Prozent der Unternehmen haben laut Befragung ihre Bemühungen in puncto Training intensiviert. 70 Prozent bieten darüber hinaus Programme zur besseren Bewältigung der Balance zwischen Privat- und Berufsleben an, also Tele- und Teilzeitarbeit oder Job-Sharing.

Besonderes Augenmerk richten die Unternehmen auf Mitarbeiter, die am Arbeitsmarkt stark begehrt sind wie IT-Spezialisten. Immerhin 73 Prozent der Studienteilnehmer haben für diese Gruppe zusätzliche Regelungen eingeführt. Am häufigsten werden dabei Marktzulagen gezahlt, aber auch Treue- oder garantierte Boni und Unternehmensbeteiligungen kommen zum Zug.

Über den Stand der Einführung und Erfahrungen mit flexiblen und variablen Vergütungskomponenten referierte Gerhard Hentsch, Leiter des Bereichs Personalpolitik und Grundsatzfragen bei Audi in Ingolstadt. Der Autobauer hat 1998 für alle Mitarbeiter der inländischen Werke eine Erfolgsbeteiligung eingeführt. "Damit wollten wir auch für den Tarifbereich eine variable Entgeltkomponente schaffen, die sich am Unternehmenserfolg orientiert", so der Personal-Manager. Das Ziel: Stärkere Identifikation mit dem Betrieb und größere Motivation der Mitarbeiter. Dabei wird in Ingolstadt die Höhe der Beteiligung nicht nach der absoluten Höhe des Gewinns berechnet: "Für uns zählt die relative Zielerreichung im Verhältnis zur Unternehmensplanung", informierte Hentsch.

Das sieht konkret so aus: Zur so genannten Basisbeteiligung aus festem Grundbetrag und variabler Prämie je nach Betriebszugehörigkeit kommt eine Beteiligung am Gesamterfolg von Audi. Diese berechnet sich nach Umsatzrendite, Produktivität, Qualität und Gesundheitsstand. "Die Voraussetzung für die Motivation der Mitarbeiter ist, dass sich ein Gefühl für die ökonomischen Zusammenhänge im Unternehmen ergibt", erläuterte Hentsch. Dazu gehört auch, dass Audi seinen Beschäftigten Alternativen zur Barauszahlung ihrer Erfolgsbeteiligung bietet. Neben Belegschaftsaktien oder Aktienoptionsscheinen können die Beschäftigten auch ein "Zeitwertpapier" erhalten.

Seit Herbst 1999 setzen Mitarbeiter auf freiwilliger Basis Geld ein, um ihre Lebensarbeitszeit zu verkürzen. "Dieses Papier ist eine renditestarke Finanzanlage, die dazu dient, eine aktive Altersvorsorge zu betreiben", so der Audi-Personaler. Denn mit dem eingesetzten Kapital, das das Unternehmen in Fonds anlegt, können sich die Beschäftigten eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit "erkaufen". "Ein Mitarbeiter hat damit die Möglichkeit, für eine bestimmte Zeit vor Erreichen der Altersgrenze sein Gehalt weiter zu beziehen und dabei von der Tätigkeit freigestellt zu werden", nannte Hentsch ein Beispiel.

Mit neuen Vergütungsformen hat auch die Stadtwerke Solingen GmbH (SWS), experimentiert. "Mit der Liberalisierung des Strommarktes mussten wir uns auch über neue Vergütungssysteme Gedanken machen", blickt Petra Mofidi, die Leiterin des Personal- und Sozialwesens bei den SWS, zurück. Nicht nur enge tarifliche Vorgaben hätten Innovationen erschwert, sondern auch "alte Gewohnheiten und eingefahrenes Denken".

In das neue System sind nun alle Mitarbeiter von der Unternehmensspitze bis zum Arbeiter eingebunden. "Damit wollten wir nicht nur die Motivation erhöhen, sondern auch die SWS als Arbeitgeber attraktiver machen", erklärte Mofidi. Gleichzeitig sollte damit aber trotz enger tariflicher Rahmenbedingungen und Budgetierung genügend Flexibilität geschaffen werden.

Seit Sommer 1998 arbeiten die Solinger mit einem System von Zielvorgaben für alle Unternehmensebenen, das sich unmittelbar auf einen variablen Teil der Vergütung, die Leistungszulage, auswirkt. "Um hier von Anfang an Transparenz und Identifikation zu gewährleisten, wurde eine regelmäßige Dokumentation von Zielvorgaben und tatsächlich Erreichtem eingeführt", so Mofidi. Das neue System kommt gut an: Bislang gab es kaum Beschwerden von Mitarbeitern über die Berechnung der neuen Zulage.

"Das heißt aber nicht, dass wir bei der Einführung keine Probleme gehabt hätten", zog die Leiterin des Personal- und Sozialwesens erste Bilanz. "Vor allem beim Erstellen von messbaren Zielen und Kriterien und beim Abschluss von Zielvereinbarungen, bei denen keine messbare Wertschöpfung stattfindet, traten Schwierigkeiten auf." Dem wollen die Stadtwerke mit systematischen Qualitäts-Checks für Zielvereinbarungen und einem intensiven Schulungsprogramm begegnen.

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.

Abb.1:Noch nicht am Ziel

Die Einführung neuer Gehaltssysteme scheitert in erster Linie an der mangelnden Kommunikation. Quelle: Towers Perrin

Abb.2: Wenig Flexibilität

Noch ist die variable Vergütung in Europa nicht so verbreitet, wie sich das viele Unternehmen wünschen. Quelle: Towers Perrin