Im Maschinenbau geht nichts ohne IT-Know-how

05.10.2009
Informatik und Maschinenbau, ehemals unabhängige Disziplinen, sind zunehmend aufeinander angewiesen. Das haben auch die Universitäten erkannt.

Elektronik und Informationstechnologie spielen im modernen Maschinen- und Fahrzeugbau eine wichtige Rolle. Längst gibt es fließende Übergänge zwischen den Disziplinen. Ob in der Entwicklung von modernen Verbrennungsmotoren oder von Steuertechniken für Maschinen – voneinander unabhängige Disziplinen wie Maschinenbau, Informatik sowie Elektrotechnik verzahnen sich immer mehr. Ingenieure und Informatiker mit verschiedenen Studienschwerpunkten arbeiten gemeinsam an neuen Lösungen.

Automatisierung nimmt zu

In dieser Weise erfindet sich auch die Automobilbranche gerade neu. Wenn Ingenieure beispielsweise einen neuen Motor entwickeln, spielt die CO2-Diskussion eine ebenso große Rolle wie Hybridisierung oder Elektrifizierung des Antriebsstrangs, also jede Menge Elektrotechnik und Software. An der Technischen Universität München lernen Informatikstudenten deshalb während ihres Studiums verschiedene Anwendungsfelder kennen. In Projekten forschen und entwickeln Hochschule und Industriefirmen gemeinsam. Ein Maschinenbauprodukt besteht heute im Allgemeinen zu drei Vierteln aus mechanischen Komponenten und zu einem Viertel aus Software, Elektrotechnik und IT-Hardware, so das Ergebnis einer Umfrage des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Dieses Verhältnis werde sich weiter zugunsten von IT-Komponenten verlagern, denn die befragten Unternehmen messen der Software- und Automatisierungstechnik eine wachsende Bedeutung bei, prognostiziert Hartmut Rauen, Mitglied der Hauptgeschäftsführung im VDMA in Frankfurt am Main.

Autoindustrie stellt kaum ein

Die Karrierechancen von Maschinenbauingenieuren sind nach wie vor gut. Dagegen müssen Informatiker, die an der Schnittstelle zwischen IT und Maschinenbau einsteigen möchten, oft intensiver suchen, sagt die Münchner Personalberaterin Hildegard Freund: "Im Automotive-Bereich macht sich seit Oktober 2008 die Krise bemerkbar. Die Automobilbranche stellt gerade sehr zurückhaltend ein. Doch wer beispielsweise über Kenntnisse in Automotive, Visualisierung oder Hybridisierung verfügt, hat gute Chancen." Auch für die Optimierung von Fertigungsprozessen suchen Firmen qualifiziertes Personal. Doch die Anforderungen steigen. "Wessen Profil nur zu 90 Prozent passt, der erhält meistens keine Chance, selbst wenn er das fehlende Wissen leicht nachholen könnte", schildert Freund. Im klassischen Maschinenbau wirke sich die Wirtschaftskrise dagegen erst seit dem Frühjahr 2009 auf den Stellenmarkt aus.

Firmen fordern hohe Flexibilität

Wenn sich der Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitgeber verschiebt, müssen Absolventen und Bewerber ihre Suchstrategien anpassen. Beispielweise, indem sie sich bei kleineren und mittelständischen Firmen sowie im Dienstleistungssektor bewerben, denn die wachsen noch. "Wir beobachten seit etwa einem Jahr, dass gerade Großunternehmen sich Lösungen aus einer Hand wünschen", berichtet Thomas Repp von Invenio Engineering Solutions in Rüsselsheim. Das Beratungshaus mit seinen 300 Mitarbeitern in Deutschland und 600 weltweit braucht für die vielfältigen Aufgaben von der Installation über die Kundenberatung bis zur Inbetriebnahme von Anlagen eine ganze Reihe von Spezialisten. "IT und Maschinenbau verwachsen immer mehr miteinander", beobachtet Repp.

Wer als Ingenieur oder Informatiker bei Invenio im Beratungs- und Dienstleistungssektor einsteigen möchte, muss besonders flexibel sein, was Arbeitszeiten und Einsatzorte angeht. "Fachkräfte mit drei bis fünf Jahren Berufserfahrung fehlen nach wie vor", konstatiert Repp. Dabei spiele das Alter der Bewerber keine Rolle, beteuert der Invenio-Ingenieur.

Fächerübergreifendes Wissen

Zufrieden ist das Unternehmen mit Bewerbern, die vor ihrem Studium eine Ausbildung absolviert haben oder über den zweiten Bildungsweg kommen und somit Berufserfahrung und die nötige Zielstrebigkeit mitbringen. "Wenn jemand deshalb zwei Semester länger studiert hat, sehen wir darin kein Handicap. Wir haben gute Erfahrungen mit diesen Bewerbern gemacht." Repp achtet genau darauf, ob die Kandidaten Zeitvorgaben einhalten können.

"Innovative Produkte ohne Informatik sind kaum mehr möglich", erklärt Manfred Broy, Professor für Informatik an der Technischen Universität München. Für viele Unternehmen stehen die Disziplinen Elektrotechnik, Mechanik und Software zunehmend gleichwertig nebeneinander. Diese Entwicklung verlange von den Absolventen mehr interdisziplinäres Wissen. Gleichzeitig fordern Unternehmen von den Hochschulen flexiblere Ausbildungspläne; sie sollen ihr Studienangebot anpassen, fächerübergreifende Vorlesungen und Übungen anbieten, Teilgebiete umkrempeln und entrümpeln sowie auf manche Inhalte zugunsten von neuen Themen verzichten.

Denn Vorurteile gegenüber anderen Fachdisziplinen verschwinden nur langsam. Denis Sisic, Vorstandsvorsitzender der OSB AG aus München, kennt die Ressentiments von Informatikern und Maschinenbauern und ihre unterschiedlichen Arbeitsweisen. Das Unternehmen beschäftigt deutschlandweit rund 400 Mitarbeiter und bietet Ingenieur- und IT-Dienstleistungen an. Sisic weiß zwar aus Erfahrung, dass Ingenieure mitunter schneller programmieren können, doch wenn Projekte umfangreich und komplex sind und eine Dokumentation erforderlich ist, lohne es sich, einen Informatiker mit dieser Aufgabe zu betrauen. "Wir brauchen zwar Generalisten, die wissen, wie die Systeme funktionieren, doch Spezialisten sind weiterhin gefragt", so Sisic.

Techniker müssen zuhören können

Von Bewerbern erwartet er, dass sie die nötige Offenheit mitbringen, ihren Kollegen aus anderen Disziplinen zuzuhören und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Denn selbst wenn Maschinen und Geräte immer komplizierter werden, müssen sie einfach benutzbar sein. Das könne nur gelingen, wenn verschiedene Disziplinen gut kooperierten. Hochschulen sind deshalb auch weit davon entfernt, ganze Studiengänge zusammenzufassen, denn die Anforderungen an Informatiker und Maschinenbauer steigen. Solides Wissen im jeweiligen Fachgebiet ist weiterhin gefragt.

An der Schnittstelle von IT und Maschinenbau etabliert sich seit vielen Jahren das Ausbildungs- und Studienfach Mechatronik. "Mechatronik ist einer der erfolgreichsten neuen Ausbildungsberufe. Die Absolventen bringen die dringend notwendige Querschnittskompetenz zwischen Maschinenbau, Elektro- und Informationstechnik mit", sagt Hartmut Rauen vom VDMA.

Wo Mechatroniker arbeiten

Wer sich für den Beruf eines Mechatronikers interessiert, dem stehen unterschiedliche Wege offen: dreieinhalb Jahre duale Ausbildung oder ein Studium an einer Fachhochschule, Berufsakademie oder Universität. Die Absolventen arbeiten in Forschung und Entwicklung sowie Montage und Inbetriebnahme von Anlagen und Maschinen.

In vielen Forschungsabteilungen entwickeln Experten verschiedener Fachrichtungen gemeinsam an neuen Produkten. Dort hilft es dem Team weiter, wenn die interdisziplinäre Kooperation reibungslos funktioniert. "Es kommt immer mehr auf eine gute Zusammenarbeit zwischen den Absolventen unterschiedlicher Fächer an, denn sie entwickeln und forschen gemeinsam in Teams", sagt VDMA-Mann Rauen. Informatikern eröffnen sich so neue Jobchancen. Während im Maschinen- und Anlagenbau rund 150.000 Ingenieure beschäftigt sind, arbeiten dort etwa 34.000 Elektroingenieure und Informatiker. Ihre Zahl hat sich zwischen 1998 und 2007 verdoppelt. Nach Angaben des VDMA gaben die vom Verband befragten Unternehmen an, dass in den nächsten drei Jahren in der Softwareentwicklung und Automatisierungstechnik die Zahl der Arbeitsplätze um mehr als 30 Prozent ansteigen wird.

Informatikprofessor Broy von der TU München empfiehlt Studenten, über Praktika und Abschlussarbeiten in Zusammenarbeit mit der Industrie ihr Wissen zu erweitern und neue Anwendungsfelder kennen zu lernen. Automobil- und Energiebranche bieten Informatikern interessante Arbeitsfelder: "In der Motorsteuerung steckt ein Softwaresystem. Ob Drehzahl, Sicherheit oder Umweltschutz – all diese Themen beinhalten Informatikwissen." Auch der Energiesektor sei ohne Informatik nicht denkbar, wenn es darum gehe, Energieströme zu managen sowie große Anlagen zu steuern. Ingenieure und Informatiker brüten zwar häufig über den gleichen Fragen, doch der spezielle Blickwinkel, den sie aufgrund ihres Spezialwissens mitbringen, hilft mal diesen, mal jenen, schneller eine passende Lösung zu finden. (hk)

Münchner Studenten lernen interdisziplinär

Der Campus der Technischen Universität München (TUM) in Garching bietet gute Voraussetzungen für interdisziplinäres Lernen und Arbeiten, denn die Fakultäten für Maschinenwesen, Informatik, Mathematik, Physik und Chemie lehren und forschen bereits dort. Gerade für eine Technische Universität sieht Informatikprofessor Manfred Broy gute Chancen, den Studenten mit einem flexiblen Angebot den späteren Berufseinstieg zu erleichtern. Dem Hochschullehrer kommt es keineswegs auf die reine Wissensvermittlung an: "Wir möchten den Kontakt zwischen den Studenten verschiedener Fakultäten fördern." Neben Vorlesungen sieht Broy vor allem in gemeinsamen Forschungsprojekten ideale Bedingungen, sowohl fachlich enger zu kooperieren als auch die interdisziplinäre Teamarbeit schon an der Hochschule einzuüben. Ganz nebenbei könnten auf diese Weise Vorurteile gegenüber Studenten anderer Fächer abgebaut werden und fakultätsübergreifende Netzwerke entstehen, die den Absolventen in ihrem späteren Berufsalltag weiterhelfen.