Amazon, AOL, Ebay und Yahoo geben den Ton an

Im Internet sind die Claims abgesteckt

24.05.2002
MÜNCHEN (ba) - Nach jahrelanger Aufbauphase kristallisiert sich heraus, wer im Internet das Sagen hat. Experten warnen allerdings vor zuviel neuem Enthusiasmus um die starken Marken: Der Handel im Netz bleibt schwierig, und mit Content ist nach wie vor kein Geld zu verdienen.

Im vierten Quartal 2001 war es endlich soweit: Internet-Händler Amazon.com schrieb zum ersten Mal in seiner siebenjährigen Firmengeschichte schwarze Zahlen. Auch wenn der Profit mit fünf Millionen Dollar mager ausfiel, wertete die gesamte Branche den Gewinn als Meilenstein in der Geschichte des World Wide Web. Nachdem Amazon in den vergangenen Jahren einen Schuldenberg von 2,86 Milliarden Dollar angehäuft hatte, schien es nun endlich aufwärts zu gehen.

Mittlerweile erhielt die neu aufflammende Internet-Euphorie allerdings einen kleinen Dämpfer. In der Bilanz des ersten Quartals des laufenden Geschäftsjahres wies das im US-amerikanischen Seattle ansässige Unternehmen wieder einen Nettoverlust von 23,2 Millionen Dollar aus. Dieser Schönheitsfehler vermochte den Optimismus jedoch nicht zu erschüttern. Da im Vergleich zum Vorjahreszeitraum der Umsatz um 21 Prozent auf 847 Millionen Dollar anstieg und damit die Erwartungen der Analysten übertroffen wurden, steckte CEO Jeffrey Bezos die Messlatte für das Jahr 2002 ein ganzes Stück höher. Statt zehn sollen nun 15 Prozent mehr Einnahmen in die Kassen fließen als im Jahr 2001.

Mit effizienter Lagerhaltung in die Gewinnzone

Manche Analysten teilen den Optimismus des Internet-Händlers. So sei es in den beiden vergangenen Jahren gelungen, die Verkaufszahlen zu verdoppeln und gleichzeitig die laufenden Lagerbestände um 25 Prozent zu verringern, lobt Scott Elliff, Chef der Unternehmensberatung Capital Consulting & Management. Dies zeige, wie effizient die Amazon-Manager inzwischen ihre Lieferkette handhaben. Die Effizienz hat allerdings ihren Preis. So mussten zuletzt 1500 Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Außerdem wurden zwei Zentren für die Kundenbetreuung und ein Warenlager geschlossen.

Safa Rashtchy, Analyst bei U.S. Bancorp Piper Jaffray, warnt, dass Amazon die Kosten nicht endlos reduzieren könne. So hätten die Verantwortlichen in der Vergangenheit zwar einen guten Job gemacht. "Der größte Teil der möglichen Sparmaßnahmen ist jedoch ausgereizt." Um weiter zu wachsen, müsse sich die Internet-Company etwas einfallen lassen.

Ein Geschäftsfeld, das die Amazon-Bosse neu adressieren, ist der Handel mit dem eigenen Know-how. So bietet eine eigene Serviceabteilung anderen Unternehmen an, auf der Amazon-Site ihre Shops einzurichten und diese zu betreiben. Im Gegenzug kassiert der Online-Händler Gebühren und oft auch einen Anteil an dem über die Web-Seiten generierten Umsatz. Im vergangenen Jahr trug dieses Geschäft mit 227 Millionen Dollar bereits sieben Prozent zum Gesamtumsatz bei.

Allerdings scheinen die Kunden bislang wenig von diesem Modell zu profitieren, berichtet Holly Becker, Analystin bei Lehman Brothers, in ihrem jüngsten Report. Angesichts mangelnder Profitabilität würde sich beispielsweise der Spielwarenanbieter Toys R''us bereits überlegen, die Zusammenarbeit mit Amazon zu beenden. Wenn andere Firmen, die ebenfalls mit der Wirtschaftlichkeit ihres Online-Auftritts hadern, nachziehen, könnte dies problematisch für Amazon werden.

Gebrauchtwarenhandel soll Geschäft ankurbeln

Neben dem Geschäft mit Neuprodukten versuchen die Manager seit einiger Zeit, den Handel mit gebrauchten Waren auf der Amazon-Seite anzukurbeln. Laut Bezos seien fast ein Viertel aller Einkäufe auf der US-Site im vergangenen Jahr gebrauchte Produkte gewesen. Im Jahr 2000 habe der Anteil lediglich vier Prozent betragen. Mit der Möglichkeit, gebrauchte Waren im Netz anzubieten, kommt der Online-Händler allerdings einem anderen erfolgreichen Internet-Pionier in die Quere.

Die Auktionsplattform Ebay bietet ihren Kunden die Möglichkeit, gebrauchte Produkte via Internet zu versteigern. Für jede Transaktion kassiert der Plattformbetreiber einen Anteil am erzielten Preis. Neben dem Auktionsmodus offeriert Ebay den Verkäufern die Möglichkeit, ihre Produkte zu einem Festpreis anzubieten. Mittlerweile nutzten nach Ebay-Angaben fast die Hälfte aller Anbieter diese Option.

Vom Flohmarkt zum Einkaufszentrum

Doch damit mutiert das seit 1995 im Netz agierende Unternehmen nach Einschätzung von Experten zunehmend zu einer Art Online-Handelsplattform. Die zunehmende Zahl von professionellen Anbietern auf den Ebay-Seiten verstärkt den Trend weg vom Internet-Flohmarkt hin zu einem professionell geführten Online-Einkaufszentrum. Dem Erfolg scheint es allerdings nicht zu schaden. 2001 verbuchte das Auktionshaus einen Umsatz von knapp 750 Millionen Dollar. Das bedeutet eine Steigerung gegenüber 2000 um 74 Prozent.

Vor diesem Hintergrund setzt CEO Margaret Whitman dem Unternehmen ehrgeizige Ziele für die Zukunft. Nach ihrer Prognose sollen 2005 auf den Ebay-Seiten Waren im Wert von 30 Milliarden Dollar verkauft werden. Bei einem Anteil von zehn Prozent würden drei Milliarden Dollar in die Kassen des Plattformbetreibers fließen. Die Marktzahlen scheinen der Ebay-Chefin Recht zu geben. Weltweit bieten bereits über 46 Millionen Nutzer Waren auf den Internet-Seiten des Auktionshauses an. Damit kontrolliert Ebay 80 Prozent des weltweiten Online-Auktionsmarktes. Mit Zukäufen und Beteiligungen bei lokalen Internet-Auktionshäusern wie zum Beispiel Each Net in China oder Neocom in Taiwan will Whitman das Wachstum weiter forcieren.

Masse erdrückt Konkurrenz

Die mittlerweile erreichte kritische Masse erschwert potenziellen Konkurrenten den Zugang zum Auktionsgeschäft. So scheiterte beispielsweise Yahoo mit dem Versuch, eigene gebührenfreie Auktionen im Netz zu etablieren. Die Ebay-Verantwortlichen dagegen konnten es sich erlauben, die Auktionsgebühren in den vergangenen 13 Monaten zweimal zu erhöhen. Ein negativer Effekt auf die Nutzerzahlen war nicht zu verzeichnen.

Laut Michael Useem, Direktor an der Wharton School der University of Pennsylvania, dürfen die Ebay-Verantwortlichen jedoch nicht den Fehler begehen, zuviel Vertrauen in die eigene Stärke zu setzen. So bestehe die Gefahr, dass unseriöse Anbieter den Markennamen von Ebay beschädigen. Den Verantwortlichen empfiehlt Useem, möglichst nah am Kunden zu bleiben. "Sie sollten dem Grundsatz des ehemaligen Intel-CEOs Andy Grove folgen, dass nur der Paranoide überleben wird."

Ein Wermutstropfen trübt allerdings die sonst so erfolgreiche Bilanz. Mit 19 Millionen Dollar gingen die Werbeeinnahmen im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres um 32 Prozent zurück. Sie tragen damit nur mehr acht Prozent zum Gesamtumsatz bei. Ein Quartal zuvor waren es noch 13 Prozent.

Doch während der Online-Auktionator diesen Rückgang mit einem wachsenden Kerngeschäft kompensieren kann, sind andere Internet-Companys von diesem Problem stärker betroffen, so zum Beispiel der Online-Dienst AOL. Der mit 35 Millionen Mitgliedern größte Internet-Zugangsdienst verbuchte im ersten Quartal dieses Jahres bei stagnierenden Einnahmen von 2,3 Milliarden Dollar ein Ebitda-Ergebnis von 433 Millionen Dollar. Das bedeutet im Jahresvergleich einen Rückgang um 15 Prozent. Schuld daran seien in erster Linie die rückläufigen Werbeeinnahmen, die um fast ein Drittel einbrachen, erklärte Robert Pittman, COO des AOL-Time-Warner-Konzerns und designierter Chef der Online-Sparte.

Nach Einschätzung von Analysten dürfte es keine einfache Aufgabe werden, das Internet-Geschäft wieder in Schwung zu bringen. So hinke der Konzern beispielsweise in Sachen Breitband dem Markt hinterher, kritisiert Charlene Li von Forrester Research. Doch gerade mit breitbandigen Online-Zugängen könnte AOL seine Kunden mit Inhalten wie Filmen oder Musik aus den anderen Sparten des Medienkonzerns versorgen.

Steve Case, Chairman von AOL Time Warner, räumt Versäumnisse in Sachen Breitband ein. Allerdings habe er immer gesagt, der Weg hin zur Konvergenz sei ein Marathon und kein Sprint, rechtfertigt er sich. Das anlässlich des Mergers von AOL und Time Warner so oft beschworene integrierte Mediengeschäft wird demnach noch auf sich warten lassen. Guter Content von Time Warner werde durch das kombinierte Unternehmen verschwendet, kritisiert Tom Wolzien, Analyst bei Sanford Bernstein. Kritiker fordern deshalb bereits, den Konzern wieder aufzuspalten.

Auch Yahoo-Chef Terry Semel geht mit der Medienbranche hart ins Gericht. Die Firmen hätten bei dem Vorhaben versagt, Inhalte wie Filme oder Musik via Internet zu vermarkten. Yahoo spürt die geringe Akzeptanz kostenpflichtiger Multimedia-Angebote an der eigenen Bilanz. Das Portal vertreibt Angebote von Pressplay, dem Zusammenschluss der Musiklabels Vivendi Universal und Sony.

Weniger Geld mit Werbung

Die deutliche Kritik des CEOs passt zur Situation des Internet-Portals. Yahoo hat ebenfalls mit zurückgehenden Werbeeinnahmen zu kämpfen. Laut Semel soll die Abhängigkeit des Unternehmens von dieser Einnahmequelle weiter gesenkt werden. Lag vor etwa einem Jahr der Anteil der Werbeeinnahmen am Gesamtumsatz noch bei etwa 90 Prozent, konnte die Quote im ersten Quartal 2001 auf 63 Prozent gesenkt werden. Im Laufe des Jahres soll der Anteil auf unter 50 Prozent sinken. Gebührenpflichtige Dienste und Inhalte sowie Einnahmen über Shops auf der Yahoo-Seite sollen die Ausfälle bei den Werbeeinnahmen ausgleichen.

Ob dies gelingt, scheint indes fraglich. Denn im Gegensatz zu den profitablen Handelsplattformen kämpfen die Anbieter von kostenpflichitgen Inhalten im Internet nach wie vor mit Akzeptanzproblemen. Nach Ansicht von T-Online-Chef Thomas Holtrop sei es die größte Sünde gewesen, überhaupt jemals kostenlose Inhalte ins World Wide Web zu stellen. Nun müsse man die Internet-Nutzer umerziehen. Doch das wird dauern, vermutet Jörg Bueroße, Vorstandsvorsitzender der Tomorrow Focus AG. Kostenpflichtige Inhalte würden kurzfristig keine nenneswerten Umsätze generieren. Es bestehe außerdem immer die Gefahr, dass die Nutzer von kostenpflichtigen Angeboten zu kostenlosen Offerten im Netz abwandern. Das laufende Jahr werde unter dem Motto "Versuch und Irrtum" stehen, wenn die Internet-Firmen versuchen, ein funktionierendes Geschäftsmodell zu finden.

Unter der Rubrik Irrtum wird wohl der Versuch von "Spiegel Online" abzuhaken sein, die Titelgeschichte jeweils am Samstag vor Herausgabe des Politmagazins gegen eine Gebühr online anzubieten. Nicht einmal 500 Leser würden das Angebot nutzen, erklärt Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron. Ob andere Inhalte wie zum Beispiel Filmsequenzen von Blockbustern wie zum Beispiel Star Wars, die vor der Premiere online gegen eine Gebühr zu sehen sind, mehr Nutzer anlocken, bleibt abzuwarten.

Abb: Besucherzahlen im US-Online-Handel

Trotz des saisonbedingten Einbruchs der Visits nach Weihnachten konnten die US-Online-Shops ihre Besucherzahlen im Halbjahresrückblick steigern. Für 2002 rechnen Experten mit einem Umsatz von bis zu 45 Milliarden Dollar im US-Online-Handel. Quelle: Jupiter Media Metrix