ILM steckt in den Kinderschuhen

03.05.2006
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Wolfgang Miedl arbeitet Autor und Berater mit Schwerpunkt IT und Business. Daneben publiziert er auf der Website Sharepoint360.de regelmäßig rund um Microsoft SharePoint, Office und Social Collaboration.
Um die Datenflut in Unternehmen zu bewältigen, ist inhaltsbezogenes Datenmanagement gefordert. Die Experton Group hat untersucht, wie es in deutschen Unternehmen um ILM steht.

Von Wolfgang Miedl*

Ergebnisse der Experton-ILM-Studie

Noch hat ILM Defizite, befindet sich aber auf der IT- und Storage-Agenda in großen Unternehmen und dem gehobenen Mittelstand.

• Aktuell stehen folgende Aufgaben im Vordergrund: Business Continuity und Disaster Recovery (Datensicherheit), Bewältigung des Datenwachstums, Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und Langzeitarchivierung (Compliance) sowie Kostenkontrolle bei Speicherinfrastrukturen;

• im Wesentlichen konzentrieren sich die Aktivitäten darauf, "Pain Points" mit Hilfe von ILM-Elementen zu adressieren. Einsatzschwerpunkte sind dabei E-Mail und ERP;

• überwiegend verfolgen Firmen einen produktorientierten ILM-Ansatz. Nur eine Minderheit fasst ILM als einen gesamtheitlichen, von der Speicherinfrastruktur unabhängigen Prozess auf;

• die fortschreitende Standardisierung und die wachsenden Möglichkeiten der ILM-Automatisierung werden ab 2007/08 die ILM-Umsetzung erleichtern.

In der Vergangenheit wurde das Thema Speicher primär unter Hardwareaspekten betrachtet - wachsenden Datenmengen bei Backup und Desaster-Recovery, bei ERP, E-Mail oder CRM begegnete man in der Regel mit dem Ausbau der Speichersysteme. Mittlerweile zwingt das anhaltende Wachstum an Unternehmensdaten zum Umdenken, hinzu kommen wirtschaftliche und regulatorische Anforderungen, die einen besseren Zugriff auf Daten sowie intelligente Verwaltungsmechanismen unausweichlich machen.

Als ganzheitlicher Lösungsansatz bietet sich hierzu Information-Lifecycle-Management (ILM) an. Im Wesentlichen geht es dabei zunächst um das automatisierte Klassifizieren von Daten aus unterschiedlichen IT-Systemen. Auf dieser Basis können inhaltliche Zusammenhänge gefunden werden, um beispielsweise einen Geschäftsvorfall lückenlos mit Daten aus ERP, CRM und dem E-Mail-System zu dokumentieren. Wichtig ist außerdem das Sortieren in geschäftskritische und weniger wichtige Daten - so lassen sich die Inhalte gemäß ihrem Wert für das Unternehmen auf kostengünstige oder aufwändige, hochsichere Speichersysteme verteilen, bevor sie schließlich am Ende ihres Lebenszyklus gelöscht werden, um den Platz für neue Daten frei zu machen.

Immerhin 77 Prozent der befragten deutschen Unternehmen beschäftigen sich mittlerweile mit ILM, hat die Experton Group in ihrer zwischen Dezember 2005 und Februar 2006 betriebenen Umfrage herausgefunden. Allerdings ist es mit der konkreten Umsetzung noch nicht so weit her, wie Wolfram Funk, Senior Advisor ICT-Service bei der Experton Group, konstatiert: "Lediglich 3,5 Prozent der von uns befragten 135 Unternehmen haben derzeit ILM firmenweit umgesetzt, ein Viertel hat ILM zumindest punktuell realisiert." Einen deutlichen Unterschied verzeichneten die Analysten zwischen den Aktivitäten mittelständischer und großer Unternehmen. Letztere beschäftigen sich deutlich mehr mit Speicherfragen, als es die klassischen Mittelständler in der Kategorie bis 500 Mitarbeiter tun. Bezogen auf einzelne Branchen lassen sich ebenfalls charakteristische Unterschiede feststellen. Aktuell ermittelte Experton einen hohen ILM-Reifegrad bei Energieversorgern, Banken und Finanzdienstleistern sowie Versicherungen. Hier wird auch in den nächsten 24 Monaten mit hohen Zuwachsraten gerechnet, daneben sollen die Sparten Gesundheitswesen und Telekommunikation in Sachen ILM spürbar zulegen.

Welche Themen erscheinen den Anwendern im ILM-Kontext am wichtigsten? An vorderster Stelle rangiert hier "Business-Continuity und Desaster-Recovery" - also Datensicherheit. Danach folgen die "Bewältigung des Datenwachstums", "Compliance und Langzeitarchivierung", "Kostenkontrolle" und "Zentralisierung/Konsolidierung von Server und Storage". Noch halten sich die Firmen mit großen Umsetzungsvorhaben zurück, wie Funk konstatiert: "Derzeit gehen die Anwender überwiegend punktuell vor, indem sie bestimmte Problembereiche gezielt mit ILM-Elementen adressieren." Gefragt wurde auch, welche Anwendungen die höchste Priorität in Sachen intelligenter Speicherstrategie genießen. Für die Mehrzahl steht E-Mail an oberster Stelle, was wieder einmal die Bedeutung der elektronischen Kommunikation in der Wirtschaft unterstreicht. Es folgen auf dem zweiten und dritten Platz Enterprise Resource Planning (ERP) und Portal/Intranet/Extranet.

Defizite beim Compliance-Thema

Als wichtiger Treiber für ILM gilt der Bereich gesetzliche Bestimmungen und Regularien - Stichwort "Compliance" mit dem Schwerpunkt Langzeitarchivierung von Korrespondenz- und Geschäftsdaten. Die befragten Anwender erwiesen sich diesem Thema gegenüber als sehr aufgeschlossen - 70 Prozent bezeichneten sich als informiert über die gesetzlichen Auflagen. Andererseits stellten die Experton-Fachleute bei ihren Interviews aber auch fest, dass das Wissen über die jeweils gültigen Regelungen wie GDPdU, Basel II oder HGB im Detail recht lückenhaft sind. Ebenfalls gravierende Defizite offenbarten sich bei der Frage, ob das Unternehmen die volle Korrespondenz aus einem Geschäftsvorgang vorlegen könne - beispielsweise einen bestimmten Kundenauftrag inklusive aller involvierten E-Mails: Lediglich 20 Prozent sind hierzu ohne größere Schwierigkeiten imstande, 68 Prozent sehen sich dazu zwar in der Lage - jedoch nur mit erheblichem Aufwand, acht Prozent verneinten die Frage. "Hier zeigt sich, dass der Mangel an geeigneten Such- und Retrieval-Mechanismen nicht nur unter Effizienzaspekten negativ ist. Er kann auch zum Verstoß gegen Regelungen wie Sarbanes-Oxley (SOX) und somit zu empfindlichen Geldstrafen führen", kommentiert Funk die vorhandenen Defizite.

Auf technologischer Seite hat nach Einschätzung der Experton Group rund die Hälfte der deutschen Unternehmen die wichtigsten Grundlagen für ILM geschaffen. So genießt die Speicher- und Server-Konsolidierung als eine der zentralen Voraussetzungen bei den Befragten bis Ende 2006 eine hohe Priorität, ebenso die Konsolidierung der Backup- und Recovery-Architektur. Speichernetzwerke wie Storage Area Networks (SANs) und Network Attached Storage (NAS) sind vielfach umgesetzt oder geplant: So haben 44 Prozent der Anwender bis Ende 2005 SANs realisiert, zehn weitere Prozent wollen in Zukunft SANs einsetzen, und 31 Prozent nutzen NAS.

Es hapert an der Umsetzung

"Technisch betrachtet bietet der Markt heute alle notwendigen Werkzeuge und Produkte, um ILM punktuell umzusetzen", weiß Funk zu berichten. "Die organisatorische Seite steckt bei deutschen Unternehmen jedoch noch in den Kinderschuhen." Der Experton-Mann erklärt auch, woran es hapert: Zunächst geht es vor allem um die Schaffung und Standardisierung von Prozessen. Schlecht bestellt ist es derzeit insbesondere um das Change-Management für ILM-Prozesse, und auch die Datenklassifizierung - der Kern des Lifecycle-Managements - wird nur bedingt vorgenommen. Weitere Mängel zeigten sich bei der Vorbereitung auf Katastrophenfälle. Die Frage, ob es einen Verantwortlichen für den K-Fall gebe, beantworteten 69 Prozent mit "Ja" aber immerhin 26 Prozent mit "Nein". Wenig Interesse stellten die Analysten auch beim Thema verrechnungsbezogene Service-Level-Agreements (SLAs) fest: 52 Prozent der befragten Unternehmen hatten keine.

Obwohl es zwischen ILM und dem klassischen Enterprise-Content-Management offensichtliche Berührungspunkte gibt, sind die Bestrebungen zur Verknüpfung dieser Technologien noch kaum erkennbar. Das Gros der ILM-Initiativen wird in den Unternehmen in Verbindung mit Storage-Projekten vorangetrieben. Intelligente Funktionen, wie sie für ILM charakteristisch sind, werden nach Einschätzung der Experton Group mittelfristig zunehmend in Hardwarekomponenten wie Switches und Arrays zu finden sein. Eine weitere Entwicklung, die sich abzeichnet, ist die allmähliche Einführung der Grid-Technik im Speichersektor - sie bildet auch die Grundlage für zukünftige On-Demand-Konzepte, wie Funk erläutert: "Bisher behinderten unausgereifte Servicemodelle und Techniken die Akzeptanz für Storage-on-Demand. Aufgrund schärferer gesetzlicher Vorschriften und selektivem Outtasking erwarten wir in den nächsten beiden Jahren jedoch eine Renaissance dieses Konzepts."

Der Markt für Storage-Lösungen und -Dienstleistungen wird laut Experton-Studie in Deutschland 2006 um elf Prozent gegenüber dem Vorjahr wachsen. Das Volumen beträgt in diesem Jahr 5,3 Milliarden Euro, die sich aufteilen in 2,2 Milliarden Euro bei Hardware, 2,3 Milliarden bei Dienstleistungen sowie 0,8 Milliarden bei Software. Bereits fünf bis zehn Prozent der Storage-Umsätze haben nach Einschätung der Analysten hierzulande ILM-Bezug - mit steigender Tendenz.

*Wolfgang Miedl ist freier Journalist in Erding.