*Dipl.-lng. Hans-Dieter Schommer ist Referent beim Minister für Arbeit, Gesundheit und
Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.
Seit der Einführung von Bildschirmarbeitsplätzen ist deren Gestaltung mehr oder
weniger umstritten. Welche Bedingungen müssen Hard- und Software erfüllen? Wie muß
das Umfeld des Bildschirmarbeitsplatzes gestaltet sein? Die Ergonomie, also die
Erforschung der Leistungsmöglichkeiten und optimalen Arbeitsbedingungen, stellt
zahlreiche - meist theoretische, teils umstrittene Erkenntnisse zur Verfügung. An der
praktischen Umsetzung fehlt es häufig.
Die Ergonomie als interdisziplinäres und integratives Aufgabengebiet setzt
Maßstäbe für optimale, beschwernisfreie Arbeitsbedingungen unter zentraler Orientierung
auf persönlichkeitsspezifische Kriterien. Ergonomische Fragen der
Bildschirmarbeitsplatzgestaltung, die sich auf die Arbeitsmittel- und Raumgestaltung
konzentrieren, lassen sich mit den klassischen Erkenntnissen der Ergonomie beantworten.
Die folgerichtige und praxisorientierte Anwendung setzen Ergonomieverständnis, Fähigkeit
zu analytischem Vorgehen und Konsequenzen voraus.
Bei der menschengerechten Gestaltung der Bildschirmarbeitszeit standen zunächst
Fragen der Schnittstelle Benutzer-Arbeitsmittel (Hardware-Ergonomie) im Vordergrund. Der
Dialog Benutzer-Bildschirm, der von einfachen Unterstützungstätigkeiten bis zu qualifizierten Aufgabenerledigungen reicht, wird jedoch weitgehend von der eingesetzten Software bestimmt. Als Schlußfolgerung hieraus wurde die Software-Ergonomie entwickelt. Sie beschäftigt sich vor allem mit Konsequenzen, die sich aus den grundlegenden
Eigenschaften der menschlichen Informationsaufnahme- und Verarbeitungskapazität und
den damit zusammenhängenden, vorwiegend psychomentalen Belastungen ergeben. Eine
benutzerorientierte Dialoggestaltung als Kernstück der Software ist ein folgenden Kriterien
zu messen:
- Die Struktur der Bildschirmbilder muß wahrnehmungspsychologischen Gesetzmäßigkeiten
entsprechen.
- Das Dialogsystem muß steuerbar, erwartungskonform, fehlertolerant und transparent sein.
- Die Dialogstruktur muß der Problemlösungsstrategie der Benutzer entsprechen.
- Help-Funktionen müssen im Hinblick auf Selbstqualifizierung gestaltet sein.
- Bedienungsfehler müssen leicht erkennbar und korrigierbar sein.
- Unbeabsichtigtes und unbefugtes Löschen von Arbeitsergebnissen muß ausgeschlossen
sein.
Mit der Einführung der Bildschirmarbeit in bestehende Arbeitssysteme werden in
der Regel auch arbeitsorganisatorische Gegebenheiten verändert. Die Formen und
Methoden der Organisationsänderungen im Hinblick auf ein optimales Zusammenwirken von Arbeitsteilung und Kooperation werden nicht durch den Bildschirm als Arbeitsmittel, sondern durch die Umstrukturierung der Arbeit infolge des Rechnereinsatzes beeinflußt.
Die Folgen sind sehr umstritten
Der dialogorientierte Computereinsatz bietet Möglichkeiten sowohl der weiteren
Differenzierung als auch der Integration von Funktionsbereichen und Tätigkeiten. Die
Gestaltungsansätze für eine humane Arbeitsorganisation müssen in Übereinstimmung mit
den arbeitswissenschaftlichen Beurteilungshierarchien für traditionelle Arbeitstätigkeiten
stehen und ausführbar, schädigungsfrei, zumutbar und persönlichkeitsfördernd sein.
Kriterien hierfür sind:
- Qalifikatorische Voraussetzungen für eine zuverlässige, forderungsgerechte
Aufgabenerledigung,
- frühzeitige, angemessene Einarbeitungszeiten,
- notwendige, handlungsbezogene Informationen,
- keine quantitative Überforderung durch Leistungsverdichtung,
- variable Leistungsanforderungen für ältere, leistungsgeminderte oder chronisch kranke,
aber arbeitsfähige Mitarbeiter,
- keine fachliche Dequalifikation,
- Weiterentwicklung vorhandener Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen,
- ausgeprägte Dispositionsspielräume.
Es gibt bislang keine wissenschaftlichen Untersuchungen, in denen
Gesundheitsschäden als Folge von Einwirkungen einer fortschrittlichen Bildschirmarbeit
diagnostiziert wurden. Demzufolge wird die arbeitsmedizinische Vorsorge vielfach auf
ophthalmologische Aspekte - wegen der besonderen visuellen Anforderungen - reduziert.
Dies ist am Phänomen "Augenbeschwerden" leicht nachvollziehbar.
Unbewußte körperliche Fehlhaltungen am Bildschirm können Kopf oder
Rückenschmerzen auslösen und unzureichende Streß-Bewältigungsformen oder -strategien
des Bildschirmbenutzers - um nur zwei Problemfelder zu nennen - weisen auf
orthopädische beziehungsweise psychomentale Gesichtspunkte hin, die eine umfassendere
arbeitsmedizinische Betreuung in Abhängigkeit von potentiellen Belastungsfaktoren
erfordern. Die Notwendigkeit der Umsetzung arbeitsmedizinischer Erkenntnisse bestätigt
auch folgende Aussage eines Bildschirmbenutzers: "Früher kam ich müde nach Hause schlief eine Stunde und war wieder fit. Heute komme ich kaputt heim und kann nicht einschlafen".
Beim Betrieb eines Bildschirmgerätes entstehen elektromagnetische und
elektrostatische Felder sowie Röntgenstrahlung. Hinsichtlich der Meßergenisse an
Bildschirmen, die wesentlich unter den Grenzwerten liegen, die zum Schutz gegen Bioeffekte
festgelegt wurden, bestehen keine kontroversen Auffassungen. Erst die Bewertung dieser
Meßergebnisse führt zu widersprechenden Schlußfolgerungen.
Nach den bisherigen sehr umfangreichen weltweiten Untersuchungen gibt es keine
Hinweise auf genetische oder sonstige Gefahren für den Organismus beziehungsweise für
das werdende Leben bei schwangeren Frauen. Sie können derzeit aber auch nicht mit
absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, da in bezug auf Mehrfachbelastungen und
Kombinationsbelastungen durch Medikamenten-, Alkohol- und Drogeneinwirkungen
beziehungsweise individuelle Dispositionen noch zahlreiche offene Fragen bestehen.
Mängel in der Gestaltung der Arbeitsumgebung, Ergonomie und Arbeitsorganisation
sowie ein schlechtes psychosoziales Arbeitsklima können zu komplexen
Belastungsstrukturen führen. Die Sorgen über die Folgen möglicher Mehrfachbelastungen,
über deren wahre Bedeutung niemand genaues weiß, deren potentielles Gesundheitsrisiko
auch nicht annähernd verläßlich bestimmt werden kann, gibt Raum für Mutmaßungen, die
zwischen Bedeutungslosigkeit und besorgniserregenden Spätfolgen schwanken. In Kürze
sind hier auch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erwarten. Die Grenzen
sind nicht das Machbare, sondern das menschliche Erkenntnisvermögen. Hier stellt sich die
gesellschaftspolitische Frage, ob um der Vorteile des Bildschirmeinsatzes willen, potentielle
Risiken als sozialadäquate Lasten hingenommen werden müssen.
Die Vielschichtigkeit der Humanisierungsaspekte ist selbst für Experten beinah
unentwirrbar; die menschliche Vernunft, die ihren eigenen Kräften allein überlassen bleibt,
besitzt nicht die Mittel, die eine vollständig befriedigende Lösung liefern könnten. Bislang
liegen Gestaltungsaussagen nur für die Arbeitsumgebung, für die ergonomische Gestaltung
der Hardware-Komponenten und in Ansätzen für die Software vor. Benötigt werden aber
pragmatische Gestaltungshilfen auch für die übrigen Humanisierungsfelder.
Chancen und Risiken erst genau ausloten
Während die Regelungsbedürftigkeit unumstritten ist, ist die Regelungsfähigkeit im
Sinne konkreter Regeln oder Prinzipien, insbesondere für die Bereiche Software-Ergonomie
und Arbeitsorganisation umstritten. Hier muß nach neuen Wegen gesucht werden, um das
umfangreiche wissenschaftliche Material für den Praktiker anwendungsgerecht
aufzuarbeiten.
In der Arbeitswelt wächst zunehmend das Bewußtsein, daß der Computereinsatz nicht automatisch und risikofrei gesellschaftlichen Fortschritt verbürgt. Die hochgeschraubten Erwartungen der Anwender an den Nutzen der Einführung von Computern werden sich auch nicht immer erfüllen. Hierfür maßgebend sind unter anderem ungelöste Anwender-Probleme und unerfüllte Versprechungen der Systemhersteller und nicht die am Computer arbeitenden Mitarbeiter. Die Sozialpolitik und die für eine humane Arbeit in den Betrieben und Verwaltungen Verantwortlichen müssen vorausschauend und systematisch Chancen und Risiken des Computereinsatzes identifizieren, bewerten und bewältigen unter dem zentralen Gesichtspunkt einer humanen Gestaltung der Arbeit.