Quelloffene Industrie

Gut und günstig: Maschinen mögen freie Software

24.04.2008
Von Handelsblatt 
Bei PCs und Notebooks ist Linux noch immer die Ausnahme. In der Automatisierungsindustrie und im Maschinenbau dagegen tritt das quelloffene Betriebssystem den Siegeszug an.

Die Open-Source-Software ermöglicht es verschiedenen Firmen, gemeinsam Komponenten zu entwickeln und zu nutzen. Mittlerweile zählt Linux bei Geräten wie DSL-Routern, Smartphones und Maschinen- und Anlagensteuerungen zu den meistverwendeten Systemen. Die kostenlose Software kommt als Betriebssystem der Produkte zum Einsatz und steuert, für den Benutzer meist unsichtbar, das komplexe Gerät. "Statistiken zufolge setzen derzeit 15 bis 25 Prozent der Entwickler Linux ein", berichtet Carsten Emde, Geschäftsführer der Genossenschaft Open Source Automation Development Lab (OSADL), die sich für die Weiterentwicklung des Linuxkerns einsetzt. "Wir gehen aber davon aus, dass die Zahl tatsächlich noch höher ist", ergänzt er.

Linux ist bei Maschinen- und Anlagenbauern so beliebt, weil es ihnen hilft, die Investitionen in die eigenen Betriebssysteme zu minimieren, ohne sich von Lieferanten abhängig zu machen. Die Abhängigkeit kostet nicht nur mehr, sondern führt auch zu technischen Problemen. So muss ein Maschinenbauer sicherstellen, dass seine Systeme zehn bis 15 Jahre laufen. In dieser Zeit bringen kommerzielle Softwareanbieter aber zahlreiche Updates heraus. Zum Teil wird die Wartung und Pflege älterer Versionen eingestellt. Linux als Betriebssystem dagegen kann nicht eingestellt werden, da der Anwender jederzeit selbst Korrekturen, Änderungen oder Erweiterungen an der Software vornehmen kann.

Außerdem ist sie kostenlos zu haben. Wird kommerzielle Software in den Geräten eingesetzt, machen die Lizenzkosten einen erheblichen Teil der Produktionskosten aus - insbesondere bei kleinen Produkten, die in hoher Stückzahl produziert werden. "Linux bietet für die Automatisierung mehr Zuverlässigkeit und Investitionssicherheit als viele kommerzielle Betriebssysteme", bringt Jürgen Gorka, Produktmanager bei Wago Kontakttechnik in Minden, die Vorteile auf den Punkt. Sein Unternehmen setzt daher bei seinen Controllern und Industrie-PCs bereits seit 2004 auf das Open-Source-Betriebssystem.

Für den entscheidenden Durchbruch sorgte im vergangenen Jahr die Echtzeitfähigkeit. Das bedeutet, dass ein System jederzeit innerhalb eines vorher festgelegten Zeitintervalls auf ein unvorhergesehenes Ereignis reagiert. "Das konnte bisher mit Linux nur sehr schwer abgebildet werden. Inzwischen jedoch haben wir diese Hürde genommen", sagt Emde. Daher könne heute auch eine Kreissäge, deren Sägeblatt stehen bleiben muss, sobald eine Lichtschranke durchbrochen wird, mit Linux gesteuert werden.

Allerdings muss Linux noch eine weitere Hürde nehmen, um den Markt wirklich dominieren zu können: In Branchen, die ihre Anlagen wegen der Betriebssicherheit zertifizieren lassen müssen, ist das quelloffene Betriebssystem noch wenig verbreitet. Das ist beispielsweise bei Bahn- oder Automobiltechnik der Fall oder bei eben jener Kreissäge. "Bislang muss jeder Hersteller seine Produkte einzeln zertifizieren lassen - ein aufwändiger Prozess", berichtet Emde. Seine OSADL-Initiative, der Firmen wie Trumpf oder Heidelberger Druck angehören, hat deshalb Dokumente für die Zertifizierung erarbeitet, auf die alle Mitgliedsunternehmen zugreifen können. Der Linux-Kern sei schließlich immer gleich, die Hersteller müssten ihn also nur noch ergänzen. Emdes Hoffnung: "Wenn die Behörden immer wieder die gleichen Papiere vorgelegt bekommen, werden sie die Zertifizierung erleichtern."

Im Linux-Vormarsch sieht er einen doppelten Paradigmenwechsel: Zum einen kümmern sich die Maschinenbauer wieder selbst um ihre Betriebssysteme, kochen dabei aber nicht mehr das eigene Süppchen, sondern bauen auf Standards auf. Zum anderen machen sie ihre Software frei zugänglich. "Das wäre früher undenkbar gewesen. Das war ein wohl gehütetes Betriebsgeheimnis", sagt Emde. Inzwischen hätten die Unternehmen aber erkannt, dass sie Basistechnologien gemeinsam entwickeln müssen, damit sie überleben können.