Lernen und Arbeiten in der Informationsgesellschaft

Grünbuch der EU verheißt rosarote Perspektiven

11.10.1996

"Leben und Arbeiten in der Informationsgesellschaft - im Vordergrund der Mensch" ist der Titel des neuen EU-Grünbuchs, das der irische EU-Kommissar für Arbeit und soziale Angelegenheiten Padraig Flynn in Dublin auf einer internationalen Konferenz vorstellte.

Damit auch ja keine Mißverständnisse aufkamen, betonte der Kommissar, daß Brüssel fälschlicherweise als Symbol für Bürokratie hingestellt werde, "in Wirklichkeit" sei es aber "eine treibende Kraft für die Modernisierung Europas".

Er plädierte für einen europäischen Weg zur Informationsgesellschaft, ein Punkt, der bei einigen Teilnehmern auf Unverständnis stieß: Wie wolle man im Zeitalter der Globalisierung eine abgegrenzte eigene Entwicklung forcieren? Der EU-Angestellte ist jedenfalls überzeugt, daß die Informations- und Kommunikationstechnologien "enorme Möglichkeiten für eine Steigerung der Produktivität und höhere Reallöhne" biete. Er wisse aber auch, daß "für viele die Informationsgesellschaft einfach ein weiterer Grund der Sorge um die Zukunft der Arbeitsplätze" sei. Es gebe keine Gewißheit, wie viele neue Arbeitsplätze entstünden und wie viele verlorengingen.

Flynn forderte daher eine "aktive Sozialpolitik", die die berufliche Qualifikation in den Vordergrund stelle und Menschen jeden Alters Zugang zur Bildung verschaffe. Weiterhin sollten durch "Arbeitsrecht, Tarifvereinbarungen und Arbeitsbeziehungen geeignete gesetzliche und vertragliche Rahmen" geschaffen werden.

Auf die sozialpolitische Komponente wies auch die irische Arbeitsministerin Eithne Fitzgerald hin und warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die mit Informationstechnik umgehen können, und solche, die keinen Zugang dazu haben.

Die Hälfte der Erwachsenen, zitierte sie eine Untersuchung, seien nicht in der Lage einen Videorekorder zu programmieren. Die PC- Durchdringung der Haushalte lasse ebenfals sehr zu wünschen übrig. Laut einer Statistik aus dem Jahre 1994 hätten nur elf Prozent der Europäer einen PC zu Hause und nur 3,5 Prozent einen Internet- Zugang. Mittlerweile gibt es aktuellere Zahlen, die von rund 20 Prozent sprechen. Die meisten PCs stehen dabei in dänischen Haushalten.

Da aber fast alle Haushalte über Telefon und Fernseher verfügten, schlug sie der Industrie vor, den Internet-Zugang über diese Kanäle zu ermöglichen. Weiterhin regte die Ministerin an, Computerequipment öffentlich zugänglich zu machen. Als Beispiel nannte sie Bibliotheken, in denen Schüler, aber auch Erwachsene, den Umgang mit dem PC erlernen oder im Internet surfen können.

Die Entwicklung in Richtung Informationsgesellschaft schreite mit großen Schritten voran und werde die Arbeitswelt stark verändern, ist Frau Fitzgerald überzeugt. Arbeit werde zunehmend wissensbasiert verrichtet, zudem benötigten die Mitarbeiter ein breitgefächertes Know-how.

Die Veränderungen erforderten ihrer Meinung nach:

- größere Investitionen in die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter, um einen Prozeß des lebenslangen Lernens zu erreichen,

- eine aktive Zusammenarbeit der Arbeitnehmervertreter und des Managements, um eine Atmosphäre zu verschaffen, in der Veränderungen und mehr Flexibilität ermutigt werden, sowie

- besseren Schutz der Mitarbeiter, da die klassischen Formen der Beschäftigung abnehmen.

In vier Workshops diskutierten dann die etwa 300 Teilnehmer die Thesen des Grünbuchs. Auffallend war die Zuversicht der Referenten und die verglichen damit eher kritische Perspektive der Konferenzbesucher.

Die Sprachlosigkeit der Brüsseler Beamten wurde beispielsweise deutlich, als der englische Gewerkschaftsvertreter Peter Skyte fragte, wie denn die EU gedenke, den Weg in die Informationsgesellschaft zu unterstützen, angesichts der Tatsache, daß noch immer weit über 50 Prozent des Brüsseler Haushalts nach wie vor für die Landwirtschaft ausgegeben werde. Auch deutsche Vertreter waren zum Teil enttäuscht von den qualitativ unterschiedlichen Vorträgen in den Workshops. So bemängelte ein Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit, daß "der "Megatrend unserer Zeit" gar nicht erst zur Sprache kam, nämlich die neuen Scheinselbständigen. Statt dessen gehe es nur um die Telearbeit, die für ihn ein Randthema sei. "Das haben wir schon 1985 diskutiert und sind heute nicht weiter als damals", meinte der Nürnberger Berufsbildungsexperte resigniert.

EU-Grünbuch

Das neue Grünbuch der EU geht auf 35 Seiten vor allem auf die Schwerpunkte Arbeiten, Beschäftigung und Leben in der Informationsgesellschaft ein.

Darin enthalten sind viele Allgemeinplätze, die jedem bekannt sein dürften. So wird eine bessere Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen gefordert, die Bildung solle stärker gefördert und niemand aus der Informationsgesellschaft ausgegrenzt werden.

Weitere Informationen sind bei der Europäischen Kommission, GD 5/B/5, Rue de la Loi 200, Wetstraat 200, B-1049 Brüssel oder unter http://www.europa.eu.int/ erhältlich.