Problematisches Mittel zur Risikominderung

Genomanalysen greifen ins Persoenlichkeitsrecht ein

05.02.1993

Da Genomanalysen einen schwerwiegenden Eingriff in das Persoenlichkeitsrecht des einzelnen bedeuten, plant auch der deutsche Gesetzgeber, solche Verfahren explizit zu regeln. Danach soll weder der Versicherungsnehmer noch der Arbeitnehmer grundsaetzlich verpflichtet sein, sich genetisch untersuchen zu lassen. Ausnahmen sollen nur seitens der genetischen Forschung zugunsten der Verbesserung des Arbeitsschutzes zulaessig sein.

Gene enthalten brisante Informationen ueber die biologischen Existenzbedingungen des Menschen. So sind beispielsweise von den rund 4000 nach den Mendelschen Gesetzen vererbten Krankheiten etwa 400 molekulargenetisch definierbar. Gibt der einzelne seine genetischen Daten preis, so kommt das einer "Entblaetterung"/1/ seiner Person gleich.

Wen wundert es da, wenn Versicherer und Arbeitgeber ein immenses Interesse daran haben, mit Hilfe relativ billiger Genomanalysen gesunde Versicherungskunden und einsatzfaehige Arbeitnehmer herauszufiltern.

Schliesslich geht es um erhebliche Einsparpotentiale. So sind zahlreiche Faelle vor allem aus Amerika bekanntgeworden, wo Arbeitgeber und Versicherer einen Vertragsabschluss von dem Ergebnis einer Genomanalyse abhaengig gemacht haben /2/.

Die Folge ist, dass Menschen unversicherbar sind, Arbeitssuchende keine Stelle erhalten oder lebenslang auf unattraktive Positionen abgeschoben werden. Vor diesem Hintergrund sieht die New York Times eine "neuen Kaste von Unberuehrbaren"/3/ heranwachsen.

Dieser Wirkungsmechanismus beruht auf einem uneingeschraenkten Kontraktindividualismus. Freie Vertraege sollten jedoch nicht in die Entsolidarisierung fuehren. Sie gefaehrden zudem die individuelle Persoenlichkeit, die sich nur im Kontakt mit anderen entfalten kann. In dieser Situation werden daher von der amerikanischen Oeffentlichkeit bundesweit gesetzliche Regelungen der Genomanalysen zum Schutz der "Privacy" gefordert/4/.

Nichtwissen ist ein Selbstbestimmungsrecht

Anders als in Amerika ist das Gesundheitssystem in Deutschland nicht ausschliesslich nach den Regeln des freien Marktes gestaltet. Bei privaten Kranken- und Lebensversicherungen ist aber auch der deutsche Versicherungswillige erheblichen Einmischungen des Unternehmens ausgesetzt. Hier steht zu befuerchten, dass etwa der Abschluss einer Lebensversicherung von einer genetischen Information abhaengig gemacht wird/5/.

Umgekehrt koennen aber auch Versicherungssuchende etwaige erworbene genetische Kenntnisse ueber eine fruehe Invaliditaet oder Berufsunfaehigkeit ausnutzen, um Versicherungen von extremer Hoehe abzuschliessen. "Die Freiheit, genetische Informationen ueber die eigene Zukunft erst gar nicht erheben zu lassen, ist ein wesentliches Moment der Selbstbestimmung der Person"/6/.

Nur insoweit Betroffene bereits sichere Kenntnisse von einer ausgebrochenen oder kurz bevorstehenden Krankheit haben, wird man deshalb eine Offenbarungspflicht bejahen muessen. Jede andere Handhabung wuerde nicht nur den Datenschutz verletzen, sondern auch dem Prinzip der Solidargemeinschaft zuwiderlaufen, auf dem ein Versicherungsprinzip beruht/7/.

Wird allerdings ein besonderes genetisches Wissen von einem Betroffenen zu manipulativen Zwecken verwandt, muss der Versicherung gegebenenfalls das Recht zustehen, einen solchen Vertrag rueckgaengig zu machen.

Auswirkungen auf das Arbeitsleben

Die Erhebung genetischer Daten beruehrt den Kernbereich der menschlichen Persoenlichkeit. Einen Zwang zur Feststellung der "Erbgesundheit" darf es daher auch im Arbeitsbereich nicht geben. Genetische Untersuchungen duerfen dem Arbeitnehmer bei Bewerbungen, Versetzungen oder Kuendigungen nicht abverlangt werden. Der Gesetzgeber sollte nach dem Vorsorgeprinzip taetig werden und hier die geplanten Regelungen zur (Un-) Zulaessigkeit von Genomanalysen an Arbeitnehmern baldmoeglichst treffen. Die Erhebungsregeln im novellierten Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sind hier vor allem fuer den Bereich der Wirtschaft nicht ausreichend /8/.

Kennt ein Bewerber oder ein Arbeitnehmer aber bereits seine genetischen Daten, dann greifen die Grundsaetze der Recht-sprechung zum Fragerecht des Arbeitgebers. Danach darf der Arbeitgeber nur solche Fragen stellen, die fuer das Arbeitsverhaeltnis relevant sind und an deren Beantwortung der Arbeitgeber ein ueberwiegendes berechtigtes Interesse hat/9/.

Ein solches berechtigtes Interesse ist zu bejahen, wenn es sich um die Eignung zum Zeitpunkt des Dienstantritts einschliesslich einer kurzen Zeit danach handelt/10/.

Eine Offenbarungspflicht des Bewerbers oder Arbeitnehmers besteht deshalb nur hinsichtlich seines aktuellen Gesundheitszustandes. Auskuenfte ueber voraussichtliche zukuenftige Erkrankungen muss er nur dann geben, wenn er dadurch bereits in der Gegenwart seine Eignung zur Bewaeltigung der anstehenden Arbeit verloren hat/11/.

Kollegen duerfen nicht gefaehrdet werden

Eine Ausnahme von dieser Regel besteht, wenn bestimmte genetische Veranlagungen (beispielsweise Geisteskrankheit bei einem Piloten) oder eine Infektion (zum Beispiel Aids) geeignet sind, den Arbeitnehmer selbst oder andere Personen (Arbeitskollegen, Arbeitgeber, Kunden) zu gefaehrden/12/.

Ein besonderes Problem stellt die genetische Forschung an Arbeitnehmern dar. Es muss zulaessig sein, den Zusammenhang zwischen genetischer Veranlagung und arbeitsbedingten Erkrankungen zu ermitteln. Hier waere es ausreichend, die Datenerhebung und Datenverarbeitung anonymisiert durchzufuehren. Damit eine Reidentifizierung der auf bestimmte Arbeitsplaetze und Arbeitnehmer bezogenen Daten ausgeschlossen ist, schlaegt der Arbeitsrechtler G. Wiese vor, Untersuchungen zu Zwecken des Arbeitsschutzes in ausserbetrieblichen Einrichtungen durchzufuehren/13/. Da eine Verpflichtung zur Teilnahme nicht aus dem Arbeitsverhaeltnis abgeleitet werden kann, koennen sie nur auf freiwilliger oder gesetzlicher Basis erfolgen.

Die Pruefung der generellen Anfaelligkeit des Arbeitnehmers gegen Schadstoffe aller Art ist dagegen nicht zulaessig. Dadurch wuerde nicht nur der vorgeschriebene objektive auf einen subjektiven Arbeitsschutz verlagert. Eine solche Methode wuerde auch darauf hinauslaufen, weniger resistente Arbeitnehmer herauszufiltern und so eine neue Problemgruppe auf dem Markt zu schaffen/14/.

Der deutsche Bundestag plant noch in dieser Legislaturperiode die Anwendung der Genomanalyse in der Praxis, also auch im Arbeitsversicherungs-Sektor, bereichsspezifisch zu regeln. Ebenso ist mit einem Richtlinienvorschlag der EG zu diesem sensiblen Themenkomplex zu rechnen.

Literaturhinweise

/1/So anschaulich Schmidtke, Genomanalyse und Persoenlichkeitsrecht, Vortrag auf einer Fachtagung fuer InformatikerInnen der FH Muenchen in der Friedrich-Naumann- Stiftung, Konstanz, am 13. Maerz 1992.

/2/Simon und Heilmann, Medizinische Genetik 4/1991, S. 68 f. Vgl. auch Grurson, Gains in Deciphering Genes Set Off. Effort to Guard Data Against Abuses. In: The New York Times, 22. April 1992, S. C12.

/3/Ebenda.

/4/Ebenda.

/5/Ausfuehrlich dazu Wirtschaftwoche, 3. Januar 1992, S. 46 ff.

/6/Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, in: Catenhausen/Neumeister (Hrsg.), Chancen und Risiken der Gentechnologie, 1987.

/7/Ebenda.

/8/Vgl. Pgr. 28, Abs. 1, S. 2 BDSG, wonach die Datenerhebung gesetzlich nur erfasst ist, wenn die Daten zum Zwecke der anschliessenden Speicherung erhoben werden.

/9/Zur Begrenzung des arbeitgeberseitigen Fragerechts vgl. Fitting /Auffahrt /Kaiser, Handkommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 1990, S. 33 ff.

/10/ BAG AP Nr. 26 zu Pgr. 123 BGB, Blatt 3.

/11/ Tinnefeld/Boehm, DuD 1992, S. 64.

/12/ Wiese, RdA 1988, S. 219.

/13/ Deutsches Aerzteblatt, 20. April 1992, S. 6.

/14/ Simon/Heilmann, Medizinische Genetik 4/1991, S.68 f. mit einer Vielzahl von einschlaegigen Beispielen aus den USA.

*Dr. jur. Marie-Theres Tinnefeld lehrt Datenschutz an der Fachhochschule Muenchen.