Französischer Elektrokonzern will Telecom-Teile des US-Multis übernehmen:

Fusionspläne bei CGE und der SEL-Mutter ITT

04.07.1986

MÜNCHEN(bk) - Die ITT Corp., New York, scheint nun doch die Telekommunikationsschiene verlassen und Ihre europäischen Töchter veräußern zu wollen. Das US-Unternehmen erklärte bislang aber nur, mit dem staatlichen französischen Elektrokonzern Compagnie Générale d ÆElectricité (CGE) Gespräche über ein "Gemeinschaftsunternehmen" im Telekommunikationsbereich geführt zu haben. Zu einer Vereinbarung sind beide Seiten laut ITT jedoch noch nicht gekommen.

Etwas ganz anderes verlautet dagegen von CGE in Paris: So befänden sich die Verhandlungen in einem "fortgeschrittenen Stadium", da man schon seit längerer Zeit mit ITT Gespräche über einen Verkauf der europäischen Töchter führe. Aus New York verlautete gar, daß ITT-Repräsentanten in Paris im Rahmen des Abkommens mit CGE bereits letzte Formalitäten klärten. Selbst der Kaufpreis sei schon zur Sprache gekommen: Der französische Elektrokonzern soll den Amerikanern rund zwei Milliarden Dollar geboten haben, verbunden mit der Verpflichtung, die Verbindlichkeiten von ITT in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar zu übernehmen. Jetzt, so ein Insider, müsse nur noch die französische Regierung dieser Transaktion ihren Segen geben.

Damit scheint sich der amerikanische Mischkonzern ernstlich aus dem Telekommunikationssektor zurückziehen zu wollen; ein Bereich, der lange Zeit mehr als nur ein Standbein des Unternehmens war. Doch gerade dieser Zweig bereitete den ITT-Verantwortlichen in den vergangenen Jahren arges Kopfzerbrechen. So machten die Telefonausrüstungen 1985 nur noch 23 Prozent des Umsatzes und magere vier Prozent des Gewinns aus. Allerdings glaubte ITT-Chairman Rand Araskog, dieses Ergebnis mit der Einführung der digitalen Vermittlungsanlage System 12 auf dem amerikanischen Markt nach oben hin korrigieren zu können. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf. Das Produkt wurde vom US-Markt nicht angenommen und ITT mußte erneut 105 Millionen Dollar "in den Wind schießen". Diese Pleite sehen Branchenkenner als einen der Hauptgründe für ITTs Aufgabe im Bereich der Nachrichtentechnik. Einhellige Meinung: ITT könne es sich nicht länger erlauben, in risikoreiche Märkte zu investieren. Das Unternehmen werde jetzt wohl sein Heil im "ruhigeren" Dienstleistungsgeschäft suchen.

Als Hauptbetroffene dieses Deals, sollte er zustande kommen, bezeichnen Insider die Standard Elektrik Lorenz (SEL) AG, Stuttgart. Die Schwaben können auf eine inzwischen 56jährige ITT-Beteiligung zurückblicken, die noch auf die Vorgängergesellschaften der SEL zurückgeht. Das Stuttgarter Unternehmen selbst entstand 1958 aus der Standard Elektrik AG und C. Lorenz AG und wurde 100prozentige ITT-Tochter, da die Amerikaner 1930 die Aktienmehrheit bei Lorenz erworben hatten. Seit "Öffnung" der SEL-Aktie 1977 für den deutschen Anleger hält ITT an der deutschen Tochter eine Mehrheitsbeteiligung von 86 Prozent; die restlichen 14 Prozent der Aktien befinden sich seitdem in öffentlicher Hand.

Die Schwaben sehen einem eventuellen Besitzerwechsel indes eher gelassen entgegen. Im Gegensatz zur amerikanischen Mutter ist SEL, so Pressesprecher Helmut von Stackelberg, im Telekommunikationsgeschäft recht erfolgreich. Das Unternehmen, das für das laufende Geschäftsjahr mit einem Umsatz von 5,5 Milliarden Mark rechnet, weiß laut Stackelberg um seinen Marktwert in diesem Bereich und sei für jede eventuelle neue Mutter interessant. Der SEL-Sprecher ist davon überzeugt, daß auch in Zukunft der Kommunikationssektor mit den, "Säulen öffentliche und private Nachrichtentechnik" das Hauptstandbein des Unternehmens bilden wird.

Als neue CGE-Tochter hätte SEL wohl kaum Nachteile zu befürchten. Im Gegenteil: Verwirklichten die Franzosen, so ein Branchenkenner, ihren Plan, mit dem Erwerb der ITT-Töchter ein europäisches Telefonbau-Konglomerat zu gründen, so könnte dies für die Stuttgarter nur von Nutzen sein. Die Franzosen beabsichtigen, an diesem Konsortium die Mehrheit zu halten (35 Prozent), den Amerikanern aber noch die Sperrminorität von 30 Prozent zu überlassen. Kleinere Beteiligungen (zehn Prozent) sollen die belgische Telekommunikations-Holding Société Générale Belgique und die italienische Holding Stet übernehmen, und auch britische Teilnehmer (General Electric Co. und Plessey Ltd.) sind Gespräch. Dagegen haben die Italiener ihre Beteiligung inzwischen schon wieder dementiert. Ein Stet-Sprecher erklärte in Rom: "Wir sind und waren an den Verhandlungen nicht beteiligt und haben auch kein Interesse an einer solchen Vereinbarung. "

Auf CGEs Beteiligungsliste fehlen indes führende Telekommunikationsanbieter wie Siemens. Der Münchner Elektrokonzern soll laut CGE von dem geplanten Konsortium ausgeschlossen werden. Die Münchener nehmen Æs jedoch gelassen. Man wisse schließlich noch nicht einmal, ob der ITT-Deal zustande käme.