Erste Testeinrichtung für künftige Konformitätsprüfungen steht:

FTZ rückt den Graubereichen der OSI-Standards zu Leibe

21.03.1986

Wenn erst einmal die meisten Endgerätetypen miteinander "konform" gehen, dann wird es um den Markt der DÜ-Einrichtungen generell nicht mehr gut bestellt sein, theoretisch jedenfalls. Bis dahin wird indes noch viel Wasser den Rhein hinabfließen. Installiert jedoch ist bereits, wie der folgende Beitrag des Referatsleiters für die Entwicklung von Daten- und Textendgeräten beim Fernmeldetechnischen Zentralamt in Darmstadt zeigt, die Testsoftware für die Konformitätsprüfungen, die künftig nach dem Willen der Europäischen Gemeinschaft für die Allgemeinzulassung von Endgeräten verbindlich sein wird. Sie läuft auf einer VAX 785 unter Unix und wurde von der Danet GmbH in Darmstadt im Auftrag der Deutschen Bundespost und der Schweizer Postverwaltung entwickelt. Lizenzen werden zur Zeit an europäische PTTs vergeben.

Aufbauend auf einer Lageanalyse für den Telekommunikationssektor hat die EG-Kommission einen neuen Anstoß zu einer Gemeinschaftsaktion im Bereich Fernmeldewesen zur schrittweisen Abstimmung der europäischen Fernmeldepolitik gegeben.

Im Rahmen mehrerer Aktionslinien wird unter anderem von der EG die gegenseitige Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Telekommunikations-Endgeräten verfolgt. Dieser langfristigen Forderung liegen folgende Voraussetzungen zugrunde:

- Der Markt für Telekommunikations-Endgeräte sowie die Nutzung des gesamten Potentials der neuen Telekommunikationsdienste sind für die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinschaft von großer Bedeutung,

- der Aufbau eines eigenen Industriepotentials für Telekommunikations-Endgeräte in Europa ist unbedingt notwendig und

- ein schneller Fortschritt bei der Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes auf diesem Sektor ist von großem Interesse.

Die gegenseitige Anerkennung der Zulassung von Telekommunikations-Endgeräten ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes in diesem Sektor. Damit soll sichergestellt werden, daß die betroffenen Endgeräte Informationen austauschen können und kompatibel kommunikationsfähig sind.

Schrittweises Vorgehen

Infolge unterschiedlicher Ausgangslagen sowie technischer und administrativer Sachzwänge in den Mitgliedsstaaten der EG kann dieses Ziel nur schrittweise erreicht werden.

Der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Endgeräten muß deshalb eine Zwischenphase vorausgehen. Diese Phase sieht die gegenseitige Anerkennung der Ergebnisse von sogenannten Konformitätsprüfungen gegenüber vereinbarten Kommunikationsstandards als Teil der Allgemeinzulassung von Endgeräten vor. Die Prüfung auf Konformität in anerkannten Prüfstellen und die Zertifizierung der Übereinstimmung der vorgestellten Endgeräte mit dem jeweiligen Standard bilden die Grundlage dafür. Damit wird gegenüber dem augenblicklichen Zustand, daß in jedem Mitgliedsstaat aufgrund der Ergebnisse von Prüfungen in nationalen Prüfstellen Übereinstimmung mit jeweils nationalen technischen Spezifikationen, einzelstaatliche Genehmigungen erteilt werden, ein wesentlicher Fortschritt erzielt.

Die oben angeführten Konformitätsprüfungen und die gegenseitige Anerkennung der Prüfergebnisse setzen jedoch voraus, daß Einigkeit erzielt wird über die

- Auswahl der vorrangigen Endgerätetypen,

- die Erarbeitung von gemeinsamen technischen Spezifikationen für die Entwicklung und für die Konformitätsprüfung dieser Geräte sowie

- die Einrichtung von gemeinschaftsweiten Konformitätsprüfstellen und die Anwendung von gemeinsam erarbeiteten beziehungsweise anerkannten Testmethoden.

Die Liste vorrangig zu berücksichtigender Endgeräte sowie der zugehörigen Normen ist im Benehmen mit CEN/Cenelec im sogenannten "Harmonized Document" (HD) 40001 festgelegt worden. Dieses Dokument basiert auf einer Aufzählung von internationalen Normen und Empfehlungen, welche durch die zuständigen Gremien von CCITT (Comité Consultatif International Télégraphique et Téléphonique), ISO (International Standardization Organisation) und IEC (International Electrotechnical Commission) festgelegt und gemäß des Basisreferenzmodells für offene Systeme (OSI gemäß ISO-International Standard 7498) strukturiert worden sind.

Ausschlaggebend für die Erarbeitung von gemeinsamen technischen Spezifikationen ist das Konzept und die Struktur von sogenannten "funktionalen Standards", welche in dem gemeinsamen Memorandum 01 beziehungsweise 02 von CEN (European Committee for Standardization), Cenelec (European Committee for Electrotechnical Standardization) und CEPT (Conférence Européenne des Administrations des Postes et Telecommunication) im einzelnen festgelegt und aufgezählt worden sind. Funktionale Standards bestehen aus einer Zusammenstellung (Memorandum 02) einer oder mehrerer Normen beziehungsweise Empfehlungen für Kommunikationsprotokolle, um eine bestimmte Art der Kommunikation zwischen Endsystemen erreichen zu können.

Darüber hinaus enthalten funktionale Standards Angaben über Konformitätsbedingungen und Hilfen für Implementierungen, wie zum Beispiel bevorzugte Bereiche von Parameterwerten und Interpretationen von sogenannten "Graubereichen" innerhalb des Standards.

Funktionale Standards werden in drei Hauptklassen für anwendungsbezogene Funktionen (Schichten 5 bis 7 des OSI-Modells), für netzbezogene Funktionen (Schicht 1 bis 4) zum Beispiel für paketvermittelnde Netze und kombinierte Funktionen für die Darstellung von Telematikdiensten der Fernmeldeverwaltungen, zum Beispiel Teletex, Faksimile und Mixed Mode über Fernsprech-, leitungsvermittelte und paketvermittelnde Datennetze eingeteilt. Daneben gibt es Klassen für Relaisfunktionen zwischen verschiedenen funktionalen Standards und ergänzende Funktionen im Zusammenhang mit sogenannten anwendungsbezogenen Funktionen.

Spezifikationen eindeutiger fassen

Mit der Zusammenstellung funktionaler Standards sind noch keine gemeinsamen technischen Spezifikationen geschaffen worden und, da die vorher erwähnten CCITT, ISO und IEC-Empfehlungen beziehungsweise Normen mitunter unvollständig sind, Optionen beinhalten und aufgrund der Anerkennungsmodalitäten teilweise ungünstige Kompromisse enthalten, müssen diese Spezifikationen im Hinblick auf die Verwendung im europäischen Bereich vervollständigt, auf weniger Optionen beschränkt, eindeutiger gefaßt und um die für die Konformitätstests durchzuführenden Prüfungen ergänzt werden.

Diese Überarbeitungen werden für die Spezifikationen für öffentliche Netze beziehungsweise Dienste von der CEPT und für den privaten Bereich von CEN/Cenelec übernommen. Dazu ist eine enge Koordinierung zwischen diesen Organisationen erforderlich. Die Einrichtung von gemeinsamen "Expert groups" und eines "Steering committees" sollen die Voraussetzungen dafür schaffen.

Die Überarbeitung internationaler Spezifikationen und die Betonung der europäischen Harmonisierung darf jedoch auf keinen Fall zu Inkompatibilitäten bei Fernmeldeverbindungen zu außereuropäischen Endgeräten und zu einer Abschottung des europäischen Marktes führen. Das Ergebnis der Überarbeitungen soll nach den in der EG üblichen Abstimmungsmodalitäten dann für die Partnerländer verbindliche europäische Normen (EN) ergeben.

Für den zeitlichen Ablauf dieser Aktion hat sich die EG die in dem Memorandum 04 festgelegten ehrgeizigen Terminziele - Abschluß der Aktion Mitte 1987 - gesetzt.

Gemeinsame Konformitätsprüfdienste

Für die Einrichtung von Konformitätsprüfstellen hat die EG in ihrem Amtsblatt C90/2 vom 12. April 1985 zur Abgabe von Angeboten für den Aufbau und die Unterhaltung von Konformitätsprüfdiensten für Normen im Bereich der Informationstechnik aufgefordert.

Ziel der EG ist es dabei, in diesem sehr komplexen und kostenintensiven Bereich über die teilweise Finanzierung den Aufbau gemeinschaftsweiter Konformitätsprüfdienste mit Testlabors für das Prüfen der Konformität und mit Zertifizierungsstellen für diese Konformität zu erreichen.

Prioritäten sind dabei von der EG für die folgenden Bereiche gesetzt worden:

- OSI-Protokolle;

- Datenaustausch, sowohl über Datendienste, zum Beispiel Teletex, als auch über Datenträger, zum Beispiel Magnetbänder;

- Programmiersprachen;

- Graphic Kernel System.

Die Deutsche Bundespost hat aufbauend auf dem mit gutem Erfolg im Fernmeldetechnischen Zentralamt Darmstadt weltweit benutzten Testsystem "Petrus" (Protokoll-Entwicklungs- und Testrechner-Universalsystem) zusammen mit British Telecom (BT), Centre National d'Etudes des Telecommunications (CNET) und dem National Computing Centre (NCC) für die OSI-Protokolle für den Zugang zu leitungs- und paketvermittelnden Netzen und ISDN, zum Beispiel X.2 1, X.25, I.430, I.441, I.451, für Teletex, Message Handling System und File Transfer Access and Management ein gemeinsames Angebot abgegeben. Die Auswertung dieses Angebots und der Angebote weiterer Bieter haben ergeben, daß die EG für die technischen Bereiche OSI-Protokolle und Datenaustausch über Telematikdienste mit der DBP, BT, CNET und NCC und als weiteren Vertragspartnern Telefonica aus Spanien, der dänischen Post- und Fernmeldeverwaltung und dem Centro Studi e Laboratori Telecommunicazioni (CSELT), Italien, die Einrichtung von Konformitätsprüfdiensten vorsieht.

Die Arbeiten für die Ausarbeitung von harmonisierten Testverfahren und der Aufbau von Testanlagen für Kommunikationsprotokolle sollen im Februar 1988 abgeschlossen sein.

An Kosten werden für die Vertragspartner zirka 43 Millionen Mark entstehen; an denen sich die EG mit zirka 15 Millionen Mark beteiligen wird.

Internationaler Fernmeldemarkt

Nach der Unterzeichnung eines Konsortionalvertrages zur Regelung der Beziehungen der Vertragspartner untereinander im Januar 198(...) ist der Vertrag mit der EG am 17. Februar 1986 unterzeichnet worden.

Nach der vereinbarten Zeit werden in jedem Fall in den Ländern der Vertragspartner die Konformitätsprüfdienste bestehen, die ihren Dienst europaweit zu gleichen Gebühren anbieten müssen. Zu bisher nicht an dem Projekt beteiligten Ländern der EG muß auf Verlangen ein Know-how-Transfer aufgebaut werden, der auch diese Länder in die Lage versetzt, Konformitätsprüfdienste mit gegenseitiger Anerkennung der Zertifikate aufzubauen.

Mit den vorgenannten Aktionen erhofft sich die EG einen großen Schritt in Richtung eines gemeinsamen Fernmeldemarktes. Die Absichten und die Mittel sind löblich. Es ist jedoch zu hoffen, daß der Weitblick auf die Geschehnisse außerhalb der EG erhalten bleibt. Denn Telekommunikation ohne einen weltweiten Bezug ist von Inkompatibilitäten geprägt und einer Abkopplung des EG-Marktes vom Weltmarkt.

* Peter Schneider ist am FernmeIdetechnischen Zentralamt (FTZ), Darmstadt, Referatsleiter für die Entwicklung von Daten und Textendgeräten.