Virtuelles Lernen attraktiver gestalten

Freizeit ist bei der Weiterbildung nicht länger tabu

06.07.2001
Die Phantasie der Weiterbildungsbranche und die Realität in den Unternehmen sind gerade bei den neuen Lernmöglichkeiten oft noch Welten voneinander entfernt. Mit Heinz Mandl, Professor am Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sprach CW-Redakteurin Ingrid Weidner über die Entwicklung von E-Learning-Szenarien.

CW: Glauben Sie, dass sich E-Learning-Kurse als echte Alternative neben den Präsenzkursen etablieren können?

Mandl: Klar ist, dass sich neben den traditionellen Präsenzveranstaltungen gut ausgearbeitete E-Learning-Angebote etablieren. Insgesamt betrachtet wird der Anteil an E-Learning in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. Allerdings eignet sich netzbasierendes Lernen nicht gleich gut für alle Inhalte wie auch Teilnehmer. Dazu müssen in den nächsten Jahren noch weitere Erfahrungen gesammelt werden.

CW: Wo lassen sich elektronische Kurse gut einsetzen?

Mandl: Sie bieten sich besonders für die Vor- und Nachbereitung an, um beispielsweise Teilnehmer mit unterschiedlichen Vorkenntnissen auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen oder Inhalte zu vertiefen. In manchen Bereichen ersetzt ein virtueller Kurs eine Präsenzveranstaltung. Bewährt hat sich die Verbindung von Präsenz- und virtuellen Lernphasen. So findet in dem von uns zusammen mit Siemens konzipierten Knowledge-Master-Kurs zu Beginn und am Ende der jeweiligen Module eine Präsenzveranstaltung statt. Die restliche Zeit, jeweils zirka vier Wochen, arbeiten die Teilnehmer in virtuellen Gruppen an der Lösung von Fällen.

CW: Können Sie sich vorstellen, dass Unternehmen mit Hilfe von E-Learning ihre Mitarbeiter dazu bringen, ihre Weiterbildung auf eigene Kosten zu Hause durchzuführen?

Mandl: In Zukunft werden mehr Unternehmen die Rahmenbedingungen für das virtuelle Lernen in Form von Lernplattformen und -inhalten zur Verfügung stellen. Gleichzeitig erwarten die Firmen von ihren Mitarbeitern, dass sie sich die Inhalte selbständig zum Teil während der Arbeit, aber auch in der Freizeit aneignen. Allerdings können die Unternehmen die Kosten für die Weiterbildung nicht auf die Mitarbeiter abwälzen.

CW: Wie ließen sich Ihrer Meinung nach die als widersprüchlich empfundenen Bereiche Arbeit und Freizeit verbinden?

Mandl: Vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, etwa kürzere Arbeitszeiten und wachsende Anforderungen an die Qualifikation, wird eine stärkere Ausrichtung auf Weiterbildung immer wichtiger. Somit können Mitarbeiter ihre Freizeit zunehmend für Weiterbildung nutzen.

CW: Wie können Unternehmen die Mitarbeiter motivieren, ihre kostbare Freizeit lernend vor dem Rechner zu verbringen?

Mandl: Die Unternehmen müssen Anreize schaffen, die das zusätzliche Lernen in der Freizeit attraktiv machen. Lernen in der Freizeit sollte nicht nur auf den unmittelbaren Bedarf des Unternehmens ausgerichtet sein, sondern auch die Interessen der Mitarbeiter in Hinblick auf ihre eigene Weiterqualifizierung berücksichtigen.

CW: Bisher sind Lernprogramme oft sehr langweilig gestaltet. Bietet die wissenschaftliche Forschung attraktivere Szenarien?

Mandl: In der Forschung und praktischen Umsetzung spielt das aktive, selbstgesteuerte und kooperative Lernen eine große Rolle. Kennzeichnend sind authentische und interessante Problemsituationen aus der Praxis, welche die Teilnehmer einer virtuellen Gruppe gemeinsam lösen. Dabei ist es aber notwendig, dass die Lernenden entsprechende Unterstützung, beispielsweise von Tele-Tutoren, erhalten. Bei MultimediaProgrammen müssen die Kosten immer in einem vernünftigen Verhältnis zu den Anforderungen stehen.

CW: Wie wird sich der Weiterbildungsmarkt im Hinblick auf die neuen Lernformen verändern? Welche Chancen und Risiken sehen Sie?

Mandl: Der E-Learning-Markt wird sich weiter ausdehnen. Die neuen Lernformen können sich jedoch nur dann behaupten, wenn die didaktischen Forschungsergebnisse bei der Gestaltung und Wissensvermittlung berücksichtigt werden. Notwendig ist dabei, dass die Lernenden bereits in Schule und Hochschule Fähigkeiten erwerben, mit virtuellen Lernumgebungen umzugehen sowie selbstgesteuert und kooperativ zu lernen. Meiner Meinung nach gehören neben virtuellen Lernphasen jedoch immer auch Präsenzphasen zum Weiterbildungskanon.

CW: Wie sehen Sie die Rolle der Hochschulen? Könnten Universitäten in vielen Wissensgebieten als Content-Lieferant ihre leeren Kassen auffüllen?

Mandl: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Universitäten hier stärker aktiv werden. In der Tat besteht die Kernkompetenz der Universitäten in der Entwicklung neuer kreativer Inhalte. Die Universitäten müssen sich als Wissensproduzenten mit Multimedia-Dienstleistern, Network-Providern und Service-Providern verbinden sowie Geschäftsmodelle für die Vermarktung hochwertiger und attraktiver Wissensinhalte entwickeln. Wertvolles Wissen steht dann sicher nicht mehr zum Nulltarif zur Verfügung.