Ein EG-Projekt für ein europaweites CASE-Verfahren

"Euromethod": Ein Standard für die Software-Entwicklung

11.10.1991

Der DV-Einsatz und damit die Software Entwicklung ist auch für die öffentliche Hand ein wichtiges Thema. Mehr noch als die private Wirtschaft dürfte der öffentliche Sektor von dem für 1993 geplanten EG-Binnenmarkt beeinflußt werden: Dann müssen sich die staatlichen Software-Anbieter einem europaweiten Wettbewerb stellen. Doch dafür brauchen sie transparente und vergleichbare Angebote. Heinz Weiler* berichtet über das Projekt "Euromethod", das für einen einheitlichen EG-weiten Standard der Sofware-Entwicklung sorgen soll.

Die öffentliche Hand beschafft, realisiert und betreibt umfangreiche Projekte im Bereich Informationstechnik (IT). Sie handelt dabei entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag - und dies eifrig. So gaben die Behörden 1988 in Deutschland rund zwei Milliarden Mark für Software aus. Die Summe entspricht 17 Prozent des gesamten Marktes an extern beschaffter Software. In diesem Jahr dürften es etwa 2,8 Milliarden Mark sein.

Darüber hinaus erstellte die öffentliche Hand mit schätzungsweise 58 000 eigenen Entwicklern Software im Wert von rund 5,5 Milliarden Mark; das entspricht 26 Prozent der gesamten von Anwendern geleisteten internen Softwarewertschöpfung. Marktforscher registrieren eine steigende Tendenz zur externen Beschaffung auf dem freien Markt.

Das Angebot muß transparent sein

Doch wo ein freier Markt ist, muß Beschaffung offen und das Angebot transparent sowie vergleichbar sein. Deswegen hat , die Kommission der Europäischen Gemeinschaften das Projekt "Euromethod" ins Leben gerufen.

Hintergrund, ist der magische Termin 1993, denn ab diesem Zeitpunkt wird die öffentliche Hand in allen EG-Ländern den größten Teil ihrer IT-Projekte europaweit ausschreiben und abwickeln müssen. Euromethod soll für eine durchgängige Planung, Ausschreibung, Beschaffung Entwicklung, Wartung und Leitung von IT-Projekten der öffentlichen Hand - den gesamten Lebenszyklus eines IT-Projektes - sorgen und so EG-weit eine einheitliche Basis schaffen.

Überwiegend auf Initiative von Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien wurde das EG-Projekt gestartet. Deutschland, die Niederlande sowie Belgien und Luxemburg begnügten sich vorerst mit einer Beobachterrolle. Zunächst ging konnte keine Akzeptanz für eine neue Metamethode gefunden werden. Die Haupthindernisse waren

- die meist nur unvollkommene Abdeckung des Lebenszyklusses von IT-Projekten durch die heutigen Methoden etwa in den Bereichen Planung, Durchführbarkeitsstudie, Projektleitung und Qualität,

- technische Abweichungen bei der Festlegung von Aufgaben, Lieferprodukten und Kundenbeziehungen innerhalb der benutzen Methoden,

- die Fragmentierung des EG-Marktes infolge der unterschiedlichen Methoden und des Umfangs ihres Einsatzes,

- fehlende oder gegensätzliche Standardisierungsansätze,

- bereits getätigte Investitionen und damit verbundene Festlegungen in einzelnen EG-Ländern.

Diesen Schwierigkeiten stand das Ziel einer EG-weiten Methode, der Euromethod, gegenüber, für die folgende Anforderungen und Zielsetzungen unabdingbar sind:

- Die Anwendungsmöglichkeiten bestehender Methoden müssen bei gleichzeitige Erhöhung der Produktivität zu einer echten Euromethod erweitert werden.

- Es ist nötig, die Terminologie der einzelnen Methoden zu vereinheitlichen.

- Die Euromethod soll als Basis für einen offenen und transparenten Wettbewerb dienen können, bei der zugleich die Vergleichbarkeit von Angeboten gegeben ist.

- Die einheitliche Realisierung von Projekten unter Abschöpfung der gesamten verfügbaren Qualifikation der IT-Spezialisten innerhalb der EG muß möglich werden .

- Die Förderung von multinationalen Kooperationen ist ein weiteres Ziel.

- Eine Voraussetzung für die Realisierung einer einheitlichen Vorgehensweise liegt in der Beseitigung der heutigen Marktfragmentierung.

- Schließlich sollte schon jetzt eine Basis für eine einheitliche Methode gelegt werden, die sich auch auf Ausbildungsaspekte erstreckt.

Alle Projektbeteiligten sind sich darüber einig, daß mit Euromethod der für die öffentliche Hand angestrebte europäische Binnenmarkt erreichbar ist.

Die vier Phasen des EG-Projekts

Das EG-Projekt wurde in vier Phasen aufgeteilt (siehe Kasten). Die erste Phase dauerte von 1988 bis 1989 und diente der detaillierten Formulierung aller Anforderungen. Für die zweite Phase wurde im Juni 1990 nach einer EG-weiten Ausschreibung ein europäisches Industriekonsortium von der EG und dem für das Beschaffungswesen der öffentlichen Hand zuständigem Beratungsgremium Public Procurement Group (PPGG) mit einer Durchführbarkeitsstudie beauftragt. Das Industriekonsortium setzt sich aus elf Softwarehäusern aus acht EG-Ländern zusammen. Die deutschen Interessen vertrat das Münchner Softwarehaus Softlab. Ziel auf Basis der Ergebnisse aus der ersten Phase die erforderliche gemeinsame technische Methodenbasis zu finden, Kosten- und Nutzenaspekte aufzuzeigen und das weitere Vorgehen für die Realisierung vorzuschlagen. Im Dezember 1990 / übergaben die Projektbeteiligten ihre Arbeitsergebnisse in Form einer sechsbändigen Dokumentation der EG.

Insgesamt 19 Methoden wurden von dem Industriekonsortium untersucht, verglichen und auf eine gemeinsame Basis überprüft. Das wichtigste Auswahlkriterium für die Berücksichtigung dieser Methoden waren statistische Erhebungen über Umfang und Häufigkeit ihres Einsatzes.

Die wesentlichen Ergebnisse der Durchführbarkeitsstudie: Die Vielfalt der Methoden verwirrt Beschaffer und Anwender gleichermaßen. Mehr oder minder sind die Methoden technisch ausgereift, insbesondere im Hinblick auf den Lebenszyklus eines IT-Projektes. Alle untersuchten Methoden unterscheiden sich in den Bereichen Technik und Management, so zum Beispiel in den durchzuführenden Arbeiten, den zu liefernden Ergebnissen, den Rollen der Projektmitarbeiter und der Beziehung zum Auftraggeber. Frühe Bearbeitungsphasen wie strategische Planung und Durchführbarkeitsüberlegungen sind kaum oder nicht aus reichend abgedeckt.

Nationale Behörden als SW-Auftraggeber

Darüber hinaus haben sich in den einzelnen EG-Ländern bevorzugt eingesetzte "nationale" Methoden herausgebildet, die für öffentliche Auftraggeber entwickelt worden sind. So arbeiten die Anwender in Großbritannien überwiegend mit SSADM (Marktanteil 40 Prozent, seit Anfang der achtziger Jahre entwickelt und gefördert von der Beschaffungsbehörde CCTA). In Frankreich ist "Merise" unumstritten die Nummer eins (Marktanteil 45 Prozent, seit 1976 unter anderem vom französischen Industrieministerium gefördert).

In Deutschland gab es bis vorigen Monaten keine "nationale" Methode. Im März 1991 nun das Bundesinnenministerium das sogenannte Vorgehensmodell als das geeignetste Modell ausgewählt und der EG als deutschen Vorschlag für die dritte Projektphase benannt. Mit der Einführung und der zugesagten Harmonisierung des Vorgehensmodells soll Euromethod aktiv unterstützt werden. Das Vorgehensmodell, ebenfalls seit März dieses Jahres auch vom Bundesverteidigungsministerium als Methode für IT-Projekte fixiert, ist ab 1986 von dem Ottobrunner Technologieunternehmen IABG in Zusammenarbeit mit Softlab entwickelt worden.

Die deutsche Softwareszene wird stark von mittelständischen Betrieben geprägt; die etwa 2400 Unternehmen sind überwiegend auf dem inländischen Markt tätig. Die Behörden sind für deutsche Software-Unternehmen - mit Ausnahme der Deutschen Telekom - kein dominierender Auftraggeber.

In Frankreich und Großbritannien stellt sich die Situation gänzlich anders dar. Dort sind eine ganze Reihe von Softwarehäusern echte Großunternehmen, nicht zuletzt dank der IT-Projekte der öffentlichen Hand, mit denen sie etwa 60 Prozent ihres Umsatzes erzielen.

Erste Ansätze einer europaweiten Lösung

Trotz dieser unterschiedlichen Voraussetzungen in den EG-Ländern konnten zum Abschluß der Durchführbarkeitsstudie Vorschläge und eine Vorgehensweise erarbeitet werden, ein europäischer Methodenstandard aussehen soll und wie er sich entwickeln und einführen läßt.

Die wichtigsten Vorschläge seitens des Industriekonsortiums waren:

-Beschreibung des Standes der Technik und des Methodeneinsatzes sowie Ermittlung des Bedarfs für einen erweiterten und flexibleren Einsatz bei Beschaffern und Anbietern,

- Erarbeitung eines Euromethod-Strukturmodells (Referenzmodell), das den verschiedenen Teilnehmern in der Systementwicklung, dem Beschaffer, dem Projekt Manager, dem Qualitätsverantwortlichen und anderen einen flexiblen Einsatz erlaubt; das Referenzmodell soll auf den wichtigsten Methoden aufbauen, Qualität und Standardisierung strikt betonen und eine Integration der heutigen Methoden zugunsten einer späteren Harmonisierung gestatten,

- Erstellung eines Datenmodells für die Methodenunterstützung, genannt Euromethod Dictionary,

- eine technische Vorgehensweise, die auf den Gemeinsamkeiten der heutigen Methoden aufsetzen, deren Anwendungsmöglichkeiten erweitern, einen Vergleich der Angebote sowie eine konsequente Qualitätskontrolle ermöglichen und die Zusammenarbeit von unterschiedlich ausgebildeten und örtlich getrennten Projektmitarbeitern fördern soll.

- Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, die Nutzenaspekte wie offenes System, Public Domain, Unterstützung durch IT-Anbieter. Mitbewerbersituation und Produktivitäts- und Qualitätsaspekte aufzeigen.

Erste konkrete Produkte sind für 1994 vorgesehen

Die Ergebnisse der Phase zwei wurden bis zum Frühjahr 1991 von der EG, der PPG und den EG-Ländern bewertet. Dabei befürworteten die EG-Länder die Weiterführung des Projektes auf der Basis der abgestimmten Ergebnisse des Industriekonsortiums. Der Grund: Sie erkannten die Machbarkeit, den Nutzen und die Einführbarkeit der Euromethod unter den vorgeschlagenen technischen und administrativen Randbedingungen. Alle EG-Länder erklärten sich bereit, ihre nationale Methode oder - falls noch nicht vorhanden - eine dann zu benennende Methode entsprechend Euromethod einzusetzen.

Wegen der zustimmenden Haltung der EG-Länder kann die dritten Projektphase bereits im Herbst 1991 in Angriff genommen werden. Auch hier wird dies in Form eines Industriekonsortiums geschehen. Mit den Möglichkeiten der Unterstützung von konkreten Werkzeugen wird sich das Projekt jedoch noch nicht befassen.

In der dritten Phase soll, so die Planung, bis 1993 eine Art Beta-Version von Euromethod fertiggestellt und im Folgejahr die endgülte Fassung fixiert werden. Die technischen, administrativen und aufs Management bezogenen Lieferprodukte sollten in dieser Phase in enger Abstimmung mit der EG und der PPG entstehen.

Bei Abschluß der dritten Projektphase sollen folgende Ziele erreicht sein:

- flexibler Einsatz und Mobilität von Personal,

- Bildung von EG-Konsortien,

- Projektleitung von multinationalen Projekten,

- Vergrößerung des Marktes für lT-Anbieter und -Beschaffer

- Standardisierung gemäß ISO 9001 Qualitätsstandard,

- EG-weiter Einsatz von nationalen Methoden und Tools.

Wenn das Projekt soweit gereift ist, wird die erste EG weite Beschaffung von IT-Projekten auf objektiver Bewertungsbasis möglich sein. In einer vierten Phase sollen dann ab 1994 die mit der Einführung der Euromethod erforderlichen Maßnahmen erfolgen, etwa der Aufbau einer EG-weiten Infrastruktur zur Pflege der neuen Methode und zur einheitlichen Ausbildung der Software-Entwickler.

Der Einsatz von Euromethod wird die EG ihrem Ziel, internationale Industriestandards einzusetzen, deutlich näherbringen.

Diese einheitliche Methode dürfte vor allem den Behörden zugute kommen. Da keine neue Methode eingeführt wird, lassen sich bestehende IT-Methoden weiter nutzen und gemäß der Euromethod harmonisieren. Die bereits getätigten Investitionen in die Qualifikation des IT-Personals bleiben weiter nutz bar. Über die Zeit hinweg wird dann "konkurrenzlos" Euromethod anzuwenden sein.

In Deutschland wird mit dem Vorgehensmodell erstmals eine "nationale" Methode zur Verfügung stehen, die eine transparente und wettbewerbsfördernde IT-Beschaffung zuläßt und alle IT-Anbieter chancengleich berücksichtigt.

Außerdem soll Euromethod Public Domain sein, so daß sich die Abhängigkeit von den anbieterspezifischen Methoden verringert. Auch ist zu erwarten daß sich im internationalen Wettbewerb besser vergleichbare und kostengünstigere Angeboten ergeben. Die IT-Produkte werden sich besser realisieren lassen. Schließlich wird auch das Verhältnis zwischen Anbieter und Auftraggeber transparenter.

Der angestrebte Methodenstandard eröffnet den deutschen Software-Anbietern zwar Chancen birgt aber auch Risiken. Folgende Vorteile sind zur warten:

- Wachstum: Die Anzahl der IT-Projekte wird sich erhöhen, da die Zersplitterung der IT-Märkte wegfällt und die meisten Projekte auszuschreiben sind.

- Chancengleichheit: IT-Produkte werden nach für alle gültigen und vergleichbaren Methoden ausgeschrieben, bewertet und realisiert; mit objektivierten Auswahlverfahren erhalten auch kleine und mittlere Anbieter bessere Marktchancen.

- Effizienz und Produktivität: Die Angebote sind nach einheitlich gültigen Standards zu erstellen und erleichtern internationale Kooperationen.

- Euromethod wird Public Domain sein; anbieterspezifische Methoden lassen sich aber harmonisieren.

- Für CASE- und Tool-Anbieter dürften sich neue Marktchancen eröffnen; denn die Tool-Unterstützung müssen die CASE-Anbieter offerieren.

- Die Ausbildungskosten werden sich verringern; heute sind bis zu acht Prozent des IT-Budgets für Schulungszwecke aufzuwenden.

Sowohl die öffentliche Hand als auch IT-Anbieter werden CASE-Systeme einsetzen, weil sie die notwendige Transparenz und Produktivität nur mit einer computerunterstützten Methode erreichen können. Zur Zeit nutzen lediglich 14 Prozent der IT-Anwender der öffentlichen Hand CASE-Systeme.

Die Vorteile einer standardisierten europäischen Public-Domain-Methode wird dazu führen, daß sich eine große Anzahl von Anbietern und Anwendern auf Euromethod umstellen. Für etliche, insbesondere proprietäre Methoden und Tools bedeutet dies allerdings das Aus.

Die EG-weite Einführung von Euromethod wird schon aus Ausbildungsgründen nur schrittweise erfolgen. Ihr Einsatz und die Harmonisierung der deutschen Methode "Vorgehensmodell'' verlangt noch aufzubauende Ressourcen, Zeit und Geduld. Hier ist das Bundesinnenministerium aufgefordert, auch die Behörden ihres Zuständigkeitsbereiches über die entsprechenden Gremien für Euromethod zu gewinnen.

Gerade die deutschen IT-Anbieter werden eine EG-weite Marketing-, Vertriebs- und Unternehmensstrategie aufbaue müssen, die zu erheblichen Mehrbelastungen führt.

Der internationale Wettbewerb auf dem in Deutschland vergleichsweise offenen Markt wird sich noch verstärken; alle großen europäischen Softwarehäuser sind inzwischen mit deutschen Töchtern vertreten. Dagegen läßt die deutsche Präsenz im Ausland zu wünschen übrig.

Der Wettbewerb wirkt sich vor allem auf die Angebotskosten aus. Deutsche Unternehmen werden hier mit einer höheren Produktivität und einer genaueren Kostenkalkulation kontern müssen. Die Erfahrungen zeigen, daß gerade die großen italienischen und französischen Softwarehäuser andere Vorstellungen von Wirtschaftlichkeit haben und mit wenigen Ausnahmen über potente Gesellschafter, zum Beispiel große Banken, verfügen.

Euromethod ist auf die Anforderungen, die Zielsetzungen und den Bedarf der EG ausgerichtet. Deshalb wird das EG-Programm erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Unternehmen werden, falls sie Auftragnehmer der öffentlichen Hand sind, Euromethod bei sich selbst einsetzen müssen. Sie werden dies auch für ihren eigenen IT-Beschaffungsbedarf tun, so wie es bereits mit den marktbeherrschenden Methoden in Großbritannien und Frankreich der Fall ist.

Speziell europaweite Beschaffer dürften den Vorteil nutzen, mit einer Public-Domain-Methode eine eigene einheitliche Beschaffung und Realisierung von IT-Projekten in der gesamte EG durchzusetzen. Die Abhängigkeit von proprietären Methoden wird zurückgehen; denn proprietäre Methoden sind gemäß Euromethod zu harmonisieren - allein schon, um beim öffentlichen Auftraggeber die eigenen Chancen zu wahren Längst ist Euromethod kein rein europäisches Thema mehr. Alle bedeutenden IT-Anbieter aus den USA haben inzwischen ihr Interesse an Euromethod bekundet, um auch weiterhin auf dem EG-Markt anbieten zu können.