IT in Banken/Alternative Szenarien fuer die Waehrungsunion

Eurogeld: Zirka drei Jahre fuer die Phase der Doppelwaehrung

22.03.1996

Welchen enormen informationstechnischen Aufwand die Waehrungsunion verursachen wird, zeigt eine Studie der europaeischen Bankenvereinigung vom Mai 1995: Allein 54 Prozent der Umstellungskosten entfallen auf die Datenverarbeitung. So rechnen Grossinstitute wie die Deutsche Bank oder Barclays jeweils mit Aufwendungen von ueber 250 Millionen Mark. Insgesamt wird die Einfuehrung der Eurowaehrung in der Kreditwirtschaft Milliarden verschlingen. Allein bei den Volksbanken und Sparkassen in Deutschland sind rund eine Viertelmilliarde Konten betroffen.

Die Komplexitaet der Umstellung hat bereits eines der diskutierten Szenarien obsolet gemacht. Den grossen Knall, das heisst die harte Umstellung der Waehrung zu einem bestimmten Stichtag ohne Uebergangsphase, wird es mit ziemlicher Sicherheit nicht geben. Denn die logistischen und organisatorischen Probleme waeren vor allem bei der Informationstechnologie nicht zu bewaeltigen.

<H4>Umstellung in drei Phasen</H4>

Im wesentlichen laeuft die Einfuehrung der Waehrungsunion - unabhaengig vom gewaehlten Szenario - in drei Phasen ab:

- In der ersten Phase werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen; die europaeische Zentralbank wird eingerichtet.

- Die zweite Phase beginnt mit dem Start der Waehrungsunion und der Einfuehrung der EU-Waehrung.

- Die letzte Phase schliesslich sieht die Etablierung der EU- Waehrung als einziges Zahlungsmittel mit allen Konsequenzen bei Bargeld und Kontofuehrung vor.

Das europaeische Waehrungsinstitut geht von einem Zeitraum aus, dessen erste Phase vom 31. Dezember 1997 bis zum 31. Dezember 1998 dauert; der naechste Abschnitt reicht vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2001, und der letzte soll am 30. Juni 2002 beendet sein. Ob sich dieser Zeitplan einhalten laesst, haengt von zahlreichen noch offenen politischen Entscheidungen und Entwicklungen ab.

Die verschiedenen Umstellungskonzepte duerften gravierende Auswirkungen auf die Datenverarbeitung der Banken haben. Die weitreichendsten Folgen werden dem Referenzszenario nach dem EU- Gruenbuch nachgesagt. Es zielt darauf ab, in den europaeischen Laendern eine "kritische Geldmasse" zu schaffen, um die Waehrungsunion unumkehrbar zu machen.

<H4>Die gesamte DV ist betroffen</H4>

In der zweiten Phase der Umsetzung werde es den Kunden noch freistehen, ob die Konten in Mark oder Eurowaehrung gefuehrt werden. Transaktionen sollen nach diesem Modell dual abgehandelt werden, damit den Kunden der Gegenwert zur Mark in Euro ausgewiesen werden kann. In dieser Phase kursiert der gesamte inlaendische Zahlungsverkehr jedoch noch in Mark.

Das Alternativszenario der Deutschen Bundesbank geht davon aus, dass die Konten von Anfang an in Eurowaehrung gefuehrt werden. Eine duale Doppelwaehrung wird also in diesem Fall nicht verwendet.

Der sogenannte Delayed Big Bang schiebt die Umstellung auf den Beginn der dritten Phase. Erst dann werden die Kunden- und Kontenbestaende sowie das interne und externe Meldewesen auf die Eurowaehrung umgestellt. Der Vorteil gegenueber dem Big Bang: Der Uebergang soll erst dann erfolgen, wenn die Banken fuer den Einstieg in die dritte Phase bereit sind. Praktischer und politischer Nachteil dieses Modells ist die Tatsache, dass der Tag X wegen staendiger Veraenderungen immer weiter nach hinten rutschen koennte. Getroffene Vorbereitungen wuerden dann moeglicherweise durch geaenderte Rahmenbedingungen nutzlos.

Unabhaengig davon, welches Modell letztlich angewandt wird, werden spaetestens zum Beginn der dritten Phase saemtliche Bankenverfahren von der Umstellung beruehrt. In der Praxis wird jedenfalls die gesamte Datenverarbeitung vom Rechnungs- und Meldewesen ueber Kunden- und Kontenbestaende bis hin zu den Zahlungsverkehren mit Banken und Kunden sowie die komplette Dokumentation an die neuen Bedingungen angepasst werden muessen. Da vieles dafuer spricht, dass es eine Mischung aus Gruenbuch-Szenario und dem Modell der Bundesbank zum Tragen kommen wird, bedeutet dies, dass die Banken bereits ab dem Beginn der zweiten Phase, das heisst voraussichtlich zum Stichtag 1. Januar 1999, parallel zur Mark Eurowaehrung verarbeiten koennen muessen.

Die Doppelwaehrungsphase, die etwa drei Jahre dauern soll, wird den Kreditinstituten die meiste Arbeit bringen. In dieser Zeit sind sie gezwungen, in zwei Waehrungen verarbeitungsfaehig zu sein und vor allem saemtliche Buchungs- und Konversionsvorgaenge nachvollziehbar zu halten. Die IT-Abteilungen werden vor allem mit folgenden Aufgaben beschaeftigt sein:

1. Fuer die Umrechnung von Mark in Euro und umgekehrt muessen neue Programme geschrieben und in saemtliche wichtige Programme implementiert werden. Dies betrifft auch die Bereiche des bankinternen Meldewesens.

2. Um nachvollziehbar zu machen, in welcher Waehrung ein Zahlungsvorgang entstand und gebucht wurde, muessen die gesamte Dokumentation und Verarbeitung um eine Waehrungskennzeichnung ergaenzt werden.

3. Fuer Kundenverwaltung, Konten- und Produktverarbeitung muss eine Mehrwaehrungsverarbeitung eingefuehrt werden, um zum Beispiel die Saldenfuehrung innerhalb eines Kontos in zwei Waehrungen zu ermoeglichen.

Der Banken-IT fordert die Waehrungsunion auf alle Faelle einen bislang noch nicht dagewesenen Aufwand ab, der saemtliche Kraefte auf Jahre hinweg beanspruchen wird. Neben dem engen Zeitfaktor und der nach wie vor herrschenden politischen Unsicherheit sind es vor allem die vorhandenen, zum Teil aber auch noch fehlenden technischen und personellen Ressourcen, die Kreditinstituten zu schaffen machen werden. Schon heute gehen Experten davon aus, dass saemtliche Entwickler, die nicht mit der Wartung bestehender Systeme befasst sind, fuer mindestens zwei Jahre gebunden sein werden.

<H4>Eine Chance fuer Innovationen</H4>

Besonders betroffen sind Banken, die Individualentwicklungen oder sehr stark individualisierte Standardsoftware verwenden. Sie muessen grosse Teile ihrer Programme neu schreiben oder mit einem erheblichen Aufwand anpassen. Vor allem solche Unternehmen, die in der Vergangenheit um Themen wie Datenmodellierung einen Bogen gemacht haben und veraltete Systeme einsetzen, werden hier Schwierigkeiten bekommen. In vielen Instituten wird daher heute darueber nachgedacht, ob der Einschnitt "Waehrungsunion" nicht auch gleichzeitig fuer den Umstieg auf neue Technologien genutzt werden sollte. Der intensive Einsatz von Standardsoftware oder die Einbindung von Standardkomponenten kann hier einen Ausweg bieten.

Die moeglicherweise weitreichendste Auswirkung der Waehrungsunion auf die europaeische Kreditwirtschaft wurde bislang allerdings noch nicht in grossem Stil diskutiert: Waehrend die besten Entwickler hierzulande in den naechsten Jahren damit befasst sein werden, ihre Systeme an Normen und Standards anzupassen, bleiben innovative Neuentwicklungen auf der Strecke. Es bleibt abzuwarten, wie stark zum Beispiel japanische oder amerikanische Banken diesen Zeitraum zu ihrem Vorteil nutzen werden. Sie werden mit modernen Bankprodukten und -dienstleistungen auf den Markt kommen, die einen hohen IT-Unterstuetzungsbedarf haben und grosse Entwicklungsaufwendungen noetig machen. Hier werden unter Umstaenden durch die Einfuehrung der Waehrungsunion globale Wettbewerbsfaktoren zu ungunsten der Europaeer verschoben.

Waehrungsunion: Zehn Vorschlaege fuer das Umstellungsszenario

Ein fruehzeitiger Umstellungsplan ist Voraussetzung fuer eine erfolgreiche Bewaeltigung der Waehrungsunion. Hier einige Vorschlaege fuer ein Vorgehensmodell:

1. Rechtzeitige Gruendung eines Waehrungsumstellungsteams, das alle Probleme auf der Basis der vorhandenen Empfehlungen erarbeitet.

2. Klaeren: Wie kann ich meine bestehende Organisation den neuen Euro-Gegebenheiten anpassen?

3. Sachgebietsorientierte Umstellungsproblematik erarbeiten (jedes Sachgebiet bei Banken hat eigene Spezifika, zum Beispiel Zahlungsverkehr oder Wertpapiergeschaefte).

4. Leitfaden fuer die Detailarbeiten entwickeln. Verbaende erarbeiten schon heute Vorschlaege.

5. Personaleinsatz (Programmierkapazitaet) unter Beruecksichtigung des Tagesverkehrs fruehzeitig planen.

6. Gegebenenfalls den Einsatz externer Mitarbeiter einplanen, um die Spitzen waehrend der zwei- bis dreijaehrigen Umstellungsphase zu bewaeltigen.

7. Gegebenenfalls externen Umstellungsexperten als Berater hinzuziehen.

8. Bei Nutzern externer Bankensoftware muss aus der Sicht der Banken die Rolle und Verantwortung der Softwarehersteller definiert werden.

9. Die Arbeit der internen DV-Revision definieren.

10. Zusammenarbeit mit einem externen Wirtschaftspruefer anstreben, da dieser die Ordnungsmaessigkeit der Waehrungsumstellung testieren muss.

Kurz & buendig

Die bevorstehende Waehrungsunion wirft lange Schatten voraus. Von der Umstellung auf den Euro sind besonders Banken betroffen, die Individualentwicklungen oder stark individualisierte Standardsoftware verwenden. Sie muessen grosse Teile ihrer Programme neu schreiben oder mit grossem Aufwand anpassen. Das erfordert Zeit, die dann fuer innovative Neuentwicklungen fehlen koennte.

*Helmut Gsaenger ist Geschaeftsfuehrer der Alldata Banken Orga GmbH in Muenchen.